Vielleicht wäre "seltsam" das richtige Wort für die Finanzpolitik in Sachsen. Oder wäre "ängstlich" das bessere Wort? Reihenweise rutschen im Freistaat die Kommunen in die Zahlungsunfähigkeit, die Sozialetats sprengen die eh schon auf Kante genähten Haushalte. Und der Freistaat füllt immer größere Fonds und Rücklagen mit Geld. Die "Sächsische Zeitung" berichtete am Donnerstag, 5. Dezember, von 1 Milliarde Euro im "Bunker".

Oder um die Titelzeile korrekt zu zitieren: “Sachsen bunkert über eine Milliarde Euro – Der Finanzminister freut sich über ein kräftiges Steuerplus. Aber viel von dem Geld darf nicht ausgegeben werden”. Ein Beitrag, der bestätigte, was die Opposition im Sächsischen Landtag seit vier Jahren kritisiert: Mit viel zu niedrig angesetzten Prognosen hat Finanzminister Georg Unland (CDU) die Erwartungen für die Haushaltseinnahmen jedes Jahr um 1 Milliarde Euro gedrückt. Just jene Milliarde, die jetzt in der “SZ” thematisiert wurde und die Unland einmal mehr in die Rücklagen stecken will, obwohl sie für die simple Finanzierung der Tagesaufgaben dringend gebraucht werden.

Dabei hat der Freistaat längst nicht nur 1 Milliarde Euro auf der hohen Kante, sondern mehr als 7 Milliarden, mittlerweile wohl bald 8 Milliarden. Eine weitere Milliarde hat er auch schon freigiebig für die Folgekosten des Sachsen-LB-Desasters hingeblättert.

Das Geld ist den wichtigsten Versorgungsbereichen des Freistaats entzogen. Der Bildung, der Sicherheit und mittlerweile auch der Gesundheitsversorgung.

“Es ist höchste Zeit, in die Zukunftssicherung des sächsischen Gesundheitswesens zu investieren, das bedeutet: Nach den Berechnungen des Sozialministeriums 100 Millionen Euro mehr pro Jahr in die Krankenhaus-Sanierung, was 140 Millionen Euro wäre und damit immer noch deutlich weniger, als von den Krankenhaus-Trägern angemahnt”, sagt dazu Rico Gebhardt, Vorsitzender der Linksfraktion im Landtag.

Das Geld, das Sachsens Finanzminister dem Haushalt jedes Jahr entzieht, fehlt vor allem den Kommunen, die mit den eigentlichen Zukunftsaufgaben allein gelassen werden. Das geht los bei der Kinderbetreuung. “Die Anpassung der seit acht Jahren unveränderten Kita-Pauschale ist im Interesse einer leistungsfähigen frühkindlichen Bildung längst überfällig – hier fordert der Sächsische Städte- und Gemeindetag eine Erhöhung von 1.800 auf 2.300 Euro. Auch die gesetzliche Umsetzung des Gerichtsurteils zur Lernmittelfreiheit kann und muss jetzt sofort erfolgen. Weitere 100 Millionen Euro sollten den Kommunen über die moderate Erhöhung des Finanzen-Verteilungsschlüssels zukommen, denn bisher rechnet sich der Freistaat künstlich auf Kosten der Kommunen arm”, stellt Gebhardt fest.

Leipziger werden das Phänomen jetzt in voller Blüte erleben. Denn während Georg Unland stolz wie eine schwäbische Hausfrau einen Milliardenüberschuss feiert, debattiert der Leipziger Stadtrat jetzt im Dezember über einen Haushalt, dessen 40-Millionen-Euro-Loch nicht mehr zu stopfen ist. Der 15-Millionen-Zwischenstand entsteht nur, weil die Verwaltung weitere notwendige Ausgaben für 2014 gestrichen hat.

Aber auch an den Hochschulen kürzt die Wissenschaftsministerin, als wäre Sachsen kurz vorm Finanzkollaps, obwohl das Geld für genügend Dozentenstellen da ist. Gebhardt: “Wer Innovation will, muss die Mittelkürzungen im Bereich Forschung und Entwicklung durch die EU durch eine Verstärkung der Landesmittel abfedern, damit der erreichte Fortschritt nicht abrupt abreißt. Auch für die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit des öffentlichen Dienstes ist offenkundig Spielraum vorhanden – hier schlagen wir die Wiedereinführung des völlig zu Unrecht ausgesetzten Weihnachtsgeldes (‘Sonderzahlung’) für die Landesbediensteten im Volumen von 37 Millionen Euro vor.”

Dass der Ministerpräsident gleichzeitig auf Betteltour beim Bund ist, findet der Fraktionsvorsitzende der Linken geradezu seltsam. “Man kann nicht wie Herr Tillich beim Thema Sozialausgaben mehr Zahlungen des Bundes fordern und selbst auf Landesebene Geld anhäufen, das nur Zinsen, aber keinen gesellschaftlichen Ertrag bringt. Deshalb erwarte ich vom Ministerpräsidenten, dass er nun im Rahmen seiner Richtlinienkompetenz die ‘Geiz ist geil’-Strategie seines Finanzministers beendet und für intelligente Zukunftsinvestitionen sorgt.”
Aber vielleicht ist ja genau das die Absicht der sächsischen Staatsregierung: Das Land aus der Wettbewerbsfähigkeit zu schießen und unattraktiv zu machen.

Zumindest hegen die Grünen da so einen Verdacht. “Welche schlimmen Ereignisse fürchtet die Staatsregierung?”, fragt die Grünen-Fraktionsvorsitzende Antje Hermenau angesichts der sächsischen Haushaltspolitik. “Eventuelle Haushaltsrisiken aus dem Zensus und dem Länderfinanzausgleich sind ausgeräumt. Natürlich ist das Verfassungsgerichtsurteil zu den Freien Schulen nicht nur gut und richtig, sondern wird auch Geld kosten. Aber für die Geldspeicher-Mentalität à la Dagobert Duck gibt es keinen sachlichen Grund.”

Sie fordert: “Mindestens die Hälfte der voraussichtlichen Steuermehreinnahmen Sachsens sollte für Zukunftsinvestitionen ausgegeben werden. Es ist gut, dass die Staatsregierung unserer Forderung nach einer Verstärkung der Mittel für den Breitbandausbau nachkommen will. Aber warum sollen die Mittel erst 2015 eingestellt werden? Das Programm sollte schon 2014 aufgestockt werden. Ein leistungsstarker Internetanschluss ist für Unternehmen und Privathaushalte heute so wichtig wie eine gute Verkehrsanbindung. Deshalb ist der Breitbandausbau ein wichtiger Baustein einer aktivierenden Politik für den ländlichen Raum.”

Aber die Panik, vielleicht doch mal irgendwann ohne Geld dazustehen, plagt augenscheinlich nicht nur den sächsischen Finanzminister, sondern seine gesamte Fraktion. Denn genau in dieses Horn bläst auch der finanzpolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion Jens Michel. “Die finanztechnische Vorsorge durch Sachsens Finanzminister Prof. Georg Unland ist absolut richtig. Kritiker der Verwendung der Steuermehreinnahmen vom November dieses Jahres verkennen, dass die Einnahmen des Freistaates zukünftig stark sinken werden, wiederholt er das Argument, mit dem Unland nun schon zwei zusammengestrichene Doppelhaushalte durchgedrückt hat.

Jeden neuen Haushalt begründet er genau so, malt Einnahmekurven auf, die selbst die wirtschaftliche Situation in 10, 15 Jahren zu suggerieren versuchen. Ein Ding der Unmöglichkeit. Jedes Jahr aufs Neue beweist Sachsens Finanzminister, dass er selbst die Steuereinnahmen des Freistaats Monate vorher noch um 500, 800 und mehr Millionen Euro zu niedrig prognostiziert hat. Dabei korrigiert er selbst die Steuerschätzungen des Bundes immer noch um etliche Millionen herunter, obwohl ihm jeder Jahresabschluss zeigt, dass der Bund die besseren Prognosen abgegeben hat. Damit erzeugt er augenscheinlich genau das Bild, das in der CDU-Fraktion die Notwendigkeit zum Sparen und Knausern erzeugt.

Das Misstrauen hat Jens Michel augenscheinlich verinnerlicht: “Deshalb ist es für die gleichmäßige Entwicklung Sachsens wichtig, keine, von der Steuerschätzung abhängige, Ausgabenachterbahn zu fahren, sondern nachhaltig finanztechnische Sicherheit zu bieten. Sicherheit für die Kommunen, Sicherheit für die vom Hochwasser Betroffenen und Sicherheit für die medizinische Versorgung mit dem Zukunftssicherungsfonds, denn ab 2015 steht eine Änderung der Krankenhausfinanzierung an. Deshalb ist Sachsen gut beraten, für die Zukunft vorzusorgen.”

Antje Hermenau sieht in dieser Eichhörnchenmentalität nicht wirklich eine zukunftsfähige Finanzpolitik. Jetzt wäre nach ihrer Ansicht der Zeitpunkt, in Gebäudesanierung zu investieren. “Wer heute richtig investiert, kann morgen Geld sparen. Die Staatsregierung hat keinen Blick für die Kosten auf dem Wärmemarkt. Ein Landesprogramm für energetische Gebäudesanierung wirkt nicht nur dem Treibhauseffekt entgegen, sondern stellt auch sicher, dass das Wohnen bezahlbar bleibt. In den vergangenen Jahren sind die Betriebskosten schneller gestiegen als die Kaltmieten. Diesem Trend muss der Freistaat mit einem Ausbau der energetischen Gebäudesanierung entgegentreten. Zudem sichert das Programm Arbeitsplätze im sächsischem Handwerk.”

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