Da kennt Sachsens Innenminister Markus Ulbig nichts, wenn es um das Muskelspiel der sächsischen Politik geht: "Einsatz gegen Extremismus verlangt unsere volle Aufmerksamkeit", ließ er sein Ministerium am Freitag, 14. März, vermelden. Es legte die neuen Zahlen zur "Politisch motivierten Kriminalität" in Sachsen vor. Ein Zahlensalat mit Löchern und Fragezeichen.

Auf den ersten Blick sieht alles ganz simpel aus: “Im Bereich der Politisch motivierten Kriminalität (PMK) kam es im vergangenen Jahr zu einem Anstieg der Straftaten. 2013 wurden 2.682 Fälle festgestellt, die damit um 22 Prozent gegenüber dem Vorjahr zunahmen. Im Bereich der PMK -rechts- ereigneten sich 1.672 Straftaten. Im Vergleich zum Vorjahr stiegen diese um drei Prozent. Im Bereich PMK -links- kam es zu 617 Straftaten. Im Vergleich zum Vorjahr stiegen diese um 43 Prozent.”

Innenminister Markus Ulbig findet in diesen Zahlen Grund genug, wieder den staatspolitischen Mahner zu geben: “Der Einsatz gegen Extremismus verlangt weiter unsere volle Aufmerksamkeit. Schwerpunkt bleibt der Bereich -rechts-. Mit Sorge sehe ich den Anstieg im Bereich der Politisch links motivierten Kriminalität.”

Das klingt, als wäre da etwas ganz Extremistisches am Gären in Sachsen und als würden die Zahlen irgendetwas darüber aussagen. Tun sie aber nicht. Es sind nur Einschätzungen einer Polizei, die Kriminalität auch dort ausmacht, wo gar keine ist. Auch 2013 schlugen ja die Folgeprozesse um die völlig aus dem Ruder gelaufenen Polizeiaktionen im Februar 2011 in Dresden Wellen. Bis heute hat kein Verantwortlicher eingeräumt, dass hier die Behörden und die Polizei selbst Fehler gemacht haben. Seit Dresden 2011 hält die bundesweite Diskussion darüber an, was Polizisten da eigentlich melden und registrieren, wenn sie ihre Beobachtungen aus dem Demonstrationsgeschehen weitergeben. Vieles, was sie da melden, landet ohne Korrektur einfach im Fallbereich Politisch Motivierte Kriminalität “links” und schwemmt dort die Zahlen auf, ohne dass überhaupt noch nachvollziehbar ist, was da geschehen ist.

Hat die Polizei selbst mit Gewalt einen Protest aufgelöst und mit Wasserwerfern, Schlagstöcken und Tränengas erst Gewalt provoziert? Oder waren tatsächlich gewaltbereite Demonstranten vor Ort?

Die Zahlen verschwimmen in der Statistik, die Ulbig vorgelegt hat. Dass sie etwas anderes suggerieren, als tatsächlich geschehen ist, deutet das Ministerium selbst an, wenn es formuliert: “Die steigende Tendenz im Phänomenbereich -links- erklärt sich aus vermehrten Auseinandersetzungen zwischen der rechten und linken Szene, Straftaten im Umfeld von Demonstrationen sowie gegen den Staat und die Polizei. Für den Bereich PMK -Sonstige- resultiert die Zunahme aus Straftaten anlässlich von Wahlen, die vielfach keinem Phänomenbereich zugeordnet werden können.”
Man darf die Statistik also mit großer Skepsis lesen. Denn sie erklärt nicht, wie es zu den rapide gestiegenen Fallzahlen der PMK -links- von 85 auf 165 Gewalttaten gekommen ist. Aus den Polizeiberichten gibt es keine Nachrichten zu derart deutlich angestiegenen Gewalttaten gegen Leben und Gesundheit anderer aus dem linken Spektrum. Aber die Leipziger konnten zum Beispiel 2013 und 2014 einige recht heftige Attacken der Polizei gegen das autonome Milieu in Connewitz erleben. Kommen einige Zahlen daher?

Auch das macht die Meldung des Ministeriums nicht klar: Dass so eine Statistik auch verstärkte polizeiliche Aktivität spiegelt.

Zu 442 der PKM -links- zugeordneten Taten gibt die Tabelle des Innenministeriums nicht einmal eine Auskunft. Was darauf hindeutet, dass sie allesamt aus diversen Demonstrationsgeschehen in Sachsen stammen und die zählenden Polizisten nicht einmal sagen können, was daran strafbar war. Man hat einfach drauflos gezählt. 72 Prozent der Straftaten -links- sind so nicht zuordenbar. Bei der PKM -rechts – sind es nur 82 Fälle, knapp 5 Prozent.

Diese Zahlen deuten darauf hin, dass in Sachen PKM – links – lediglich Zahlenschinderei betrieben wird, um diese Art “Extremismus” irgendwie mit der PKM -rechts- ins “Gleichgewicht” zu bekommen. Das nennt man für gewöhnlich Manipulation. Eine Manipulation, die etwas viel Wichtigeres geradezu verdeckt. Nämlich den tatsächlichen Anstieg rechtsradikaler Gewaltstraftaten von 58 auf 72, die in der Regel tatsächlich geschehene Angriffe auf Leib und Leben anderer Menschen sind. Und die sich deutlich von dem unterscheiden, was die Polizei im Spektrum Links zumeist als “Gewalttat” registriert.

Wie kritisch die von der Polizei bei Demonstrationen registrierten Straftaten zu bewerten sind, damit hat sich 2012 schon die Bundeszentrale für politische Bildung beschäftigt. Dabei wurde auch deutlich, dass die häufigste Deliktart bei der PKM -links- ein “Verstoß gegen das Versammlungsgesetz” ist. Ob das, was die Polizei da registriert, aber tatsächlich strafbar ist, das klärt sich dann oft in einem langwierigen Prozess. Oder in der Regel nie.

“Diese Fallzahlen sind jedoch nur bedingt aussagekräftig und müssen mit großer Vorsicht interpretiert werden”, heißt es in der Analyse der BPB. “Sie sind kein Abbild der Wirklichkeit, sondern zunächst das Ergebnis eines komplexen Registrierungsvorgangs, bei dem auch die rechtliche Bearbeitung der Delikte eine Rolle spielt. Die Fallzahlen beziehen sich zunächst auf Tatvorwürfe. Diese können im Laufe eines Ermittlungs- und Gerichtsverfahrens angepasst bzw. fallengelassen werden.”

Aber die korrigierten Fallzahlen werden vom Freistaat Sachsen nicht veröffentlicht.

Also hat man es Jahr für Jahr mit einer Zahlenblase zu tun, die nichts erklärt und nichts erkennen lässt, die aber die meisten Medien im Freistaat unhinterfragt vermelden.

Die kritische Analyse der BPB: www.bpb.de/politik/innenpolitik/innere-sicherheit/76644/politisch-motivierte-gewalt?p=all

Das schwammige Datenblatt des SMI als PDF zum Download.

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