Arbeitet Sachsens Finanzminister mit der Wünschelroute? Mit verlässlichen Planungsgrundlagen hat das, was er dem Landtag an Steuerschätzungen präsentiert, jedenfalls nichts zu tun. Jahr für Jahr plant der Freistaat nun seit 2010 mit einer halben Milliarde Euro weniger seine Haushalte, als tatsächlich zur Verfügung stehen. Und mit jeder neuen Steuerschätzung gibt es ein neues Hallihallo: Mit so viel Geld hätten wir aber nicht gerechnet.

Am Dienstag, 20. Mai, hat Finanzminister Prof. Dr. Georg Unland nun die regionalisierten Ergebnisse der Mai-Steuerschätzung dem Kabinett und der Öffentlichkeit vorgestellt. “Die aktuelle Prognose des Arbeitskreises ‘Steuerschätzungen’ fällt auch für Sachsen positiv aus. Der Freistaat und unsere Kommunen können von weiterhin steigenden Steuereinnahmen ausgehen. Das ist ein erfreuliches Signal, speziell auch vor dem Hintergrund der bis 2020 schrittweise zurückgehenden Zuweisungen aus dem Solidarpakt und von der EU.”

Doch diese “schrittweise zurückgehenden Zuweisungen aus dem Solidarpakt und von der EU” sind längst eingepreist. Sachsen ist kein Bundesland, das dafür erst noch irgendwo Finanzpuffer aufbauen müsste. Im Gegenteil, bislang haben die steigenden Steuereinnahmen diese Rückgänge praktisch kompensiert.

Für das Jahr 2014 erwartet der Freistaat nun Steuereinnahmen von rund 11,9 Milliarden Euro. Damit habe sich auf der Landesebene das Schätzergebnis für das laufende Jahr um 56 Millionen Euro gegenüber November 2013 erhöht, jubelt das Finanzministerium und fügt dann sogar noch forsch hinzu: “d.h. insgesamt um rund 400 Mio. Euro gegenüber dem Haushaltsansatz”.

Oder im Klartext: Schon jetzt im Mai zeichnet sich ab, dass der Finanzminister für das Haushaltsjahr 2014 mit 400 Millionen Euro zu wenig geplant hat. Wahrscheinlich ist auch das noch untertrieben, denn eine Steuerschätzung folgt ja noch – die im November. Und dann gibt es noch das tatsächliche Gesamtergebnis, das man dann im Frühjahr 2015 kennt. Sachsens Finanzminister bringt dabei stets das Kunststück fertig, dem Landtag eine Prognose anzubieten, die immer noch einmal um einen speziellen sächsischen “Korrekturfaktor” unter der Prognose des Arbeitskreises “Steuerschätzungen” liegt. Damit hat er seine Ministerkollegen und die Abgeordneten seit fünf Jahren vor sich her getrieben und auch all die wilden Personalkürzungen im Freistaat erzwungen, die jetzt schon ihre negativen Folgen zeigen.

Begründet hat er es stets mit seinem fehlenden Vertrauen in die Steuerkraft der sächsischen Wirtschaft. Die explodiert zwar nicht, schafft aber Jahr für Jahr ein bisschen mehr an Umsatz und damit auch Steuern.

Das Ergebnis: Auch für die Folgejahre bleibt der Einnahmetrend weiter aufwärts gerichtet. “Gegenüber der Prognose vom November stehen dem Staatshaushalt in 2015 und 2016 jeweils rund 350 Millionen Euro mehr Steuereinnahmen zur Verfügung”, stellt Georg Unland nun verblüfft fest. Wer hätte das gedacht.

Die aktuelle Steuerschätzung baut auf höheren Wachstumsannahmen der Bundesregierung auf, von denen auch Sachsen profitiere, versucht das Finanzministerium diese Entwicklung zu begründen. Aber wie er das sieht, erklärt Prof. Unland so: “Die verbesserten wirtschaftlichen Aussichten sind erfreulich. Gleichwohl müssen wir für konjunkturelle Risiken gewappnet bleiben und die Herausforderungen auf der Ausgabenseite weiterhin fest im Blick behalten.”
Und wo andere Finanzminister Hosianna gesungen hätten, weil endlich Geld für wichtige Investitionen da wäre, tut Sachsens Finanzchef so, als würde er irgendwo gewaltige Löcher stopfen müssen.

Die Mehreinnahmen im laufenden Jahr sollen der “Finanzierung absehbarer Mehrausgaben” dienen und “stellen einen ausgeglichenen Haushalt sicher”. Der Finanzminister in diesem Zusammenhang:

Als wenn diese “Mehrausgaben” nicht Ergebnis der vom Finanzminister erzwungenen Kürzungen der vergangenen vier Jahre wären. Oder mit Unlands nonchalanter Art gesagt: “Höhere Ausgaben für Schulen in freier Trägerschaft, im Straßen- und Krankenhausbau sowie für Kommunalinvestitionen können ohne Einschnitte im laufenden Haushaltsvollzug erbracht werden.”

Die Wahrheit ist: Das hätte so auch in den vergangenen Jahren gemacht werden können. Ebenfalls “ohne Einschnitte im laufenden Haushaltsvollzug”.

Aber wenn es um die Beschwörung möglicher Engpässe geht, ist Sachsens Finanzminister Extraklasse. Er erinnerte bei der Gelegenheit an die Notwendigkeit, das Jahr 2014 ohne die im Haushaltsplan vorgesehene Rücklagenentnahme (188 Mio. Euro) abzuschließen.

“In guten Einnahmejahren ist es nicht vertretbar, die Rücklagen anzugreifen.”

Gleichzeitig würde wie in den Vorjahren für künftige Zuweisungen im Kommunalen Finanzausgleich Vorsorge getroffen. “Damit sind die Steuermehreinnahmen gebunden und lassen keine neuen Ausgabenwünsche zu”, so der Finanzminister.

Auch die sächsischen Kommunen könnten sich über die neuen Prognosen freuen.

Prof. Unland: “Das Steueraufkommen der sächsischen Städte und Gemeinden wird weiter zulegen.” Die bisherige Schätzung dürfte im laufenden Jahr um 29 Millionen Euro und damit gegenüber dem Ansatz der Kommunalsteuern im FAG (Finanzausgleichgesetz) um 121 Millionen Euro übertroffen werden. Für 2015 und 2016 sehen die Prognosen jeweils rund 50 Millionen Euro höhere Steuereinnahmen vor. Zusätzlich werden die Kommunen in Sachsen auch von der in 2015 beginnenden Entlastung durch den Bund bei den Kosten der Eingliederungshilfe in Höhe von jährlich 46 Millionen Euro und den Auswirkungen des FAG profitieren.

“Die Finanzausstattung von Landkreisen, Städten und Gemeinden wird 2015 und 2016 deutlich höher ausfallen. Ganz im Sinne des FAG profitieren Freistaat und Kommunen gleichmäßig von den höheren Steuereinnahmen”, so der Finanzminister.

Selbst die Oppositionsfraktionen scheinen sich mit dieser Art der Finanzverwaltung in Sachsen mittlerweile abgefunden zu haben.

Sebastian Scheel, haushalts- und finanzpolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke, äußert nur eine kleine Erwartung: “Wir erwarten von der Staatsregierung, dass sie auf der Grundlage dieser erfreulichen Zahlen einen gemäß der neuen Verfassungslage sozial ausgeglichenen Haushalt vorlegt. Die Ausrede knapper Kassen zählt nicht. Die in den letzten Jahren angesparte Gestaltungsrücklage muss jetzt genutzt werden. Dazu aber gehört, die Bremsen bei den Zukunftsinvestitionen zu lösen und die einstige Vorreiterrolle in Ostdeutschland wiederzugewinnen. Sachsen verfügt über zahlreiche Baustellen insbesondere bei Themen wie beispielsweise Bildung von der Kita bis zur Uni, flächendeckender bedarfsgerechter Öffentlicher Nahverkehr oder Herstellung von Inklusion und barrierefreien Lebensbedingungen, die nun mit Volldampf in Angriff genommen werden müssen.”

Und Antje Hermenau, Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen findet ebenfalls, das das erwirtschaftete Geld nicht in der Portokasse des Finanzministers zu liegen hat: “Angesichts einer knapp eine Milliarde schweren Allgemeinen Haushaltsausgleichsrücklage erwarte ich von der Staatsregierung, dass sie die durch die Steuerschätzung bestätigten Einnahmespielräume nutzt, um die energetische Gebäudesanierung in Sachsen mutig und entschlossen voranzutreiben. Steuergelder sparsam zu bewirtschaften und Rücklagen zu bilden, ist politisch immer geboten. Aber über die Maßen Geld zu horten, ist keine Politik für die Zukunft. Verantwortliches politisches Gestalten umfasst auch, die Kosten von morgen niedrig zu halten. Dazu braucht es großzügig finanzierte Förderprogramme, um privatwirtschaftliches Investitionskapital, für die energetische Gebäudesanierung zu mobilisieren. Zudem sollte Ministerpräsident Stanislaw Tillich endlich den Regulierungswahn seines FDP-Wirtschaftsministers Morlok stoppen, der Investitionen in die Windkraft verhindern will und den Freistaat bundesweit zum Gespött macht. Eine verstetigte energetische Gebäudesanierung entlastet neben den Kommunen viele Bürgerinnen und Bürger von den unaufhörlich steigenden Betriebskosten. Nicht zuletzt sorgt ein solches Investitionsprogramm nicht nur für mehr Klimaschutz, sondern auch für mehr Beschäftigung im sächsischen Handwerk.”

Scharfe Töne findet nur Mario Pecher, finanzpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag: “Die aktuellen Zahlen bestätigen einen langfristigen Trend: Zum einen rechnet das sächsische Kabinett immer mit ca. einer halben Milliarde Euro weniger Einnahmen, als tatsächlich anfallen. Die eingerechneten Abschläge fallen also niemals oder in weit geringerem Maße an. Zum anderen gleichen die Steuermehreinnahmen immer die rückgängigen SoBEZ (Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen) aus. Das schwarzgelbe Märchen, Sachsen müsse Gelder kürzen, um die sinkenden Solidarpaktmittel zu kompensieren, gehört also definitiv ins Unlandfantasiereich. Fazit: Die schwarzgelbe Staatsregierung rechnet den Freistaat seit fast sechs Jahren künstlich arm, um beschwingt den Kürzungshammer zu schwingen und die Sparschweine zu füllen. – Die Zahlen machen aber auch deutlich: Fortschritt und Gerechtigkeit in Sachsen sind seriös finanzierbar, ohne Schulden zu machen! Wir haben das Geld, um in Wirtschaft und Soziales zu investieren. Mehr Lehrer und Polizisten, eine neue Wirtschaftsförderung und mehr Geld für die Kommunen sind möglich. Allein der politische Wille bei CDU und FDP fehlt.”

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