Am Donnerstag, 22. Mai, diskutierte der sächsische Landtag auch über die Wohnungspolitik. Ein Thema, auf das man zumindest aus Leipziger Sicht sehr gespannt war. Denn so nach und nach taucht die Frage auf: Wie lange wird der Leerstandspuffer noch ausreichen? Und steigt Sachsen wieder in sozialen Wohnungsbau ein? Aber die regierende CDU ist auch bei diesem Thema geradezu besessen vom Bevölkerungsschwund in Sachsen. Wenn Bevölkerung schwindet, baut man keine bezahlbaren Wohnungen.

Fand zumindest Gerald Otto, wohnungspolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, der mit der üblichen Geste auf den hohen Wohnungsleerstand im Freistaat verwies: “Die Debatte versucht einen Popanz zur Schau zu stellen. Fakt ist, dass fast mit zehn Prozent Sachsen den höchsten Wohnungsleerstand im Vergleich der Bundesländer aufweist. Der gegenwärtige Wohnungsbestand übersteigt in Zukunft die Nachfrage deutlich. Da darf sich die Opposition nicht von steigenden Mieten in besonders nachgefragten Vierteln Dresdens und Leipzigs nicht blenden lassen.”

Da am selben Tag auch über die Personalsituation in der sächsischen Justiz debattiert wurde, kannten die Landtagsabgeordneten diese Floskel schon. Dort fehlt es längst an genug Personal. Aber die sächsische Staatsregierung hält an Bevölkerungsprognosen des Jahres 2006 fest – und danach kürzt sie über alle Ressorts die Budgets. Und wenn es in Dresden und Leipzig schon Anzeichen eines möglichen Mangels an bezahlbarem Wohnraum gibt – wen schert das? Das Innenministerium arbeitet zwar mit Prognosezahlen von 2010 – die Ergebnisse sind aber nicht besser.

Auch einkommensschwache Bürger, so Otto, bräuchten sich in Zukunft nicht zu sorgen, durch steigende Mieten übermäßig belastet zu werden. “Aufgrund der prognostizierten Marktentwicklung wird keine signifikante Verschärfung der Kostenbelastung durch die Nettokaltmiete erwartet”, zitiert Otto aus dem Wohnungspolitische Konzept 2020 des Innenministeriums. Es werde auch in Zukunft guten und bezahlbaren Wohnraum im Freistaat geben.

Die Bruttokaltmiete läge mit 5,47 Euro pro Quadratmeter in Sachsen deutlich unter dem Bundesdurchschnitt von 6,37 Euro. Auch die Mietbelastungsquote von 20,4 Prozent sei die niedrigste in ganz Deutschland. “Bis 2019 stehen für die Wohnraumförderung jährlich rund 60 Millionen Euro zur Verfügung, die auch ein Beitrag zur Erhöhung der Barrierefreiheit leisten soll”, so Otto.

Mit Blick auf die Wohnsituation in der Landeshauptstadt Dresden verweist Otto auf die von der Oberbürgermeisterin in den Stadtrat eingebrachte Beschlussvorlage “Wohnentwicklung in Dresden”. Dazu der CDU-Politiker: “Das ist genau die richtige Vorgehensweise, um den Neubau von bezahlbaren und barrierefreien Wohnungen anzukurbeln. Die Stadt Dresden stellt sich damit ihrer Verantwortung für eine bezahlbare und bedarfsgerechte Wohnraumversorgung und darf dabei der Unterstützung des Freistaates gewiss sein.”
Dumm nur, das die Prognosen von Innenminister Markus Ulbig nicht stimmen. Nichts deutet darauf hin, dass Sachsen bis 2025 über 300.000 Einwohner verliert. Und dass die Staatsregierung für Leipzig bis 2025 nur ein Bevölkerungswachstum von 1 Prozent annimmt, ist ein Witz. Das hat Leipzig schon im ersten Jahr nach der Prognose geschafft. Da ist selbst die Prognose von Leipzigs OBM Burkhard Jung realistischer, bis dahin mit 600.000 Leipzigern zu rechnen. Auch weil die Staatsregierung nichts dafür tut, die herrschenden demografischen Trends zu ändern.

In Ulbigs Papier steht tatsächlich die Behauptung: “Regional differenziert steigt die Wohnungsnachfrage nur in den beiden kreisfreien Städten Leipzig und Dresden, wobei sich der Zuwachs weitestgehend auf das Einfamilienhaussegment konzentriert und die Nachfrage nach Geschosswohnungen stagniert.”

Jede aktuelle Wohnungsmarkterhebung in Leipzig geht von gleichbleibender Nachfrage bei Einfamilienhäusern und steigender Nachfrage im Geschosswohnungssegment aus.

Was ist das für eine Regierung, die die Realität derart konsequent ignoriert?

Diejenigen Leipziger, die kein Ministergehalt bekommen, merken es längst. Das rieb die Leipziger Abgeordnete Gisela Kallenbach (Grüne) der ignoranten Regierung dann in ihrem Redebeitrag noch einmal richtig unter die Nase: “Wenn in den Städten die Mieten steigen, wenn jeden Tag zehn Wohnungen zwangsgeräumt werden – dann hat das doch Ursachen. Eins ist klar: Die Schere zwischen Arm und Reich öffnete sich seit Jahren. Fragen Sie mal in der Schuldnerberatung. Deren Fallzahlen steigen! Und dass es in Sachsen seit 2008 keine Statistik zur Obdachlosigkeit mehr gibt, heißt ja nicht, dass es keine Obdachlosen mehr gibt. Wohnen ist ein Grundrecht – nach der UN-Menschenrechtserklärung (Art. 25) und der Europäischen Sozialcharta. Um dieses Grundrecht muss gekämpft werden. Immer wieder neu.”

Ein Dach über dem Kopf sei ein knappes Gut. Es könne nicht wie eine normale Ware gehandelt werden, sagte die Abgeordnete. “Das gilt nicht nur in Sachsen. In allen EU-Mitgliedstaaten ist bezahlbares Wohnen ein Thema. Schon während meiner Zeit im Europäischen Parlament haben wir gesagt: Es muss eine Balance zwischen sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftlicher Effizienz geben. Der Mietwohnungsmarkt stabilisiert den gesamten Wohnungsmarkt. Er vermeidet, dass sich Geringverdiener über Immobilienkäufe verschulden wie heute wieder in England. Was haben die Lobbyisten aus der Immobilienbranche versucht, politische Regulierung kaputt zu reden. Was haben sie die Mietpreisbremse verteufelt. Ganz offenkundig hat sie dem Neubau aber gar nicht geschadet.

Seit zehn Jahren wurden laut Statistischem Bundesamt nicht mehr so viel Wohnungsneubau genehmigt wie 2014 – im reinen Mietwohnungsbereich sind es sogar 27 Prozent mehr als im Vorjahr, 64.000 neue Wohnungen allein im ersten Quartal 2014. Die große Frage bleibt, wer sich letztendlich diese Wohnungen leisten kann.

Der Freistaat ist eines der Bundesländer, die aktuell kein Gesetz zur Wohnraumförderung bzw. Wohnraumbindung haben. Dabei ist es staatliche Pflicht, auch jenen Menschen angemessenes Wohnen zu sichern, die es allein aus eigener Kraft nicht sicherstellen können, weil z.B. die Kurve bei den ortsüblichen Vergleichsmieten in Sachsens Großstädten deutlich steigt. Das ist noch keine Fieberkurve, aber erhöhte Temperatur.

So werden in Leipzig-Plagwitz schon 10 Euro Grundmiete aufgerufen – die ortsübliche Vergleichsmiete liegt dort bei 6,44 Euro in manchen Stadtteilen bei 7,75 Euro. Der für die Miete aufzuwendende Einkommensanteil (Leipzig) ist mit den Jahren immer stärker gestiegen: bis zu 45 % bei Erwerbslosen, bis zu 35 % bei Einkommensbeziehern.

Ich fasse zusammen: Der Freistaat muss

a) seinen Gestaltungsspielraum nutzen – den Anstieg der Bestandsmieten in den Ballungsräumen auf 15 % begrenzen und
b) sich im sozialen Wohnungsbau engagieren.

Nicht mehr, aber auch nicht weniger.”

Aber wie man die sächsische Regierung so kennt, wird sie sich fürs Weniger entscheiden.

Das “Wohnungspolitische Konzept” von Innenminister Markus Ulbig:
www.bauen-wohnen.sachsen.de/download/Bauen_und_Wohnen/WPK_0403.pdf

Die Dresdner Wohnsituation:
www.dresden.de/de/02/035/01/2014/03/pm_018.php

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar