Am Donnerstag, 6. August, trat der Innenausschuss im Sächsischen Landtag zu einer Sondersitzung zusammen, "um sich von Vertretern der Staatsregierung die aktuellen Herausforderungen in der Unterbringung von Asylbewerbern im Freistaat unterrichten zu lassen". So formulierte es die CDU-Fraktion in schönstem Marketing-Deutsch. Tatsächlich war ihr maßgeblicher Minister seit Tagen in der Kritik. Und er kam auch nach der Sitzung nicht raus.

Christian Hartmann, innenpolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, zeigte sich nach der Sitzung als gestandener Polizist: “Wir müssen beim Thema Asyl wieder vor die Lage kommen”, sagte er. Und sagte damit eigentlich alles. Innenminister Markus Ulbig hat regelrecht zugelassen, dass die Ad-hoc-Lösungen für die steigenden Flüchtlingszahlen in Sachsen zu teilweise chaotischen Zuständen wie im Dresdner Zeltlager geführt haben. Obwohl er die Zahlen alle hatte und entsprechend Vorsorge hätte treffen können – oder auch Haushaltsmittel hätte beantragen können, um binnen kurzer Zeit genügend Unterkünfte zu schaffen.

“Das drängendste Problem ist derzeit die Unterbringung von bis zu 300 Asylsuchenden täglich”, benannte denn auch Hartmann die Dimension des Themas, das eben nicht erst im Juli auf dem Tisch lag, als die Linksfraktion die Sondersitzung beantragte. “In Anbetracht der aktuellen Flüchtlingsströme müssen wir davon ausgehen, dass bis zum Jahresende 600.000 Asylsuchende nach Deutschland kommen könnten. Im Monat Juli hat sich in Sachsen die Zahl der Asylsuchenden im Vergleich zum Vormonat mit 4.077 fast verdoppelt. Aus diesem Grund muss die Staatsregierung das bisherige Unterbringungskonzept dieser Entwicklung anpassen. Wichtig ist insbesondere, ausreichend Reserven zu schaffen, um auf steigende Zahlen reagieren zu können. Ziel muss es sein, wieder vor die Lage zu kommen. Zeltunterkünfte dürfen keine Dauerlösung werden und müssen noch vor dem Wintereinbruch durch Wohncontainer ersetzt werden.”

Aber auch die Ankömmlinge im Juli kamen nicht unverhofft, darüber war die Innenministerkonferenz schon Monate vorher informiert. Die Bundesregierung sowieso.

Aber während ein Teil des offiziösen Deutschlands schon die vierte Amtszeit von Bundeskanzlerin Angelka Merkel feiert, gibt es aus Sachsen jetzt deutliche Kritik an einem ihrer tragenden Minister. Denn Thomas de Maizière als Innenminister verantwortet eben nicht nur die deutsche Abschiebepraxis, sondern auch die Migrationspolitik. Nur fühlt sich auch Sachsens CDU mit dem Problem schlichtweg allein gelassen.

Christian Hartmann: “Mehr Unterstützung erwarte ich von der Bundesregierung. Es kann nicht sein, dass Sachsen lediglich über eine bearbeitende Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) verfügt. Wir erwarten zeitnah zwei weitere BAMF-Außenstellen in Dresden und Leipzig. Zudem muss die Liste der sicheren Herkunftsländer dringend erweitert und eine sachgerechte Verteilung der Flüchtlinge auf die EU-Mitgliedsstaaten erreicht werden.”

Aber er wäre kein CDU-Mann, wenn er nicht die unsinnigste Idee seines Ministerpräsidenten auch dieser Tage noch verteidigen würde: Extra-Abschiebelager für die abgelehnten Asylbeweber. Hartmann: “Es bleibt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, Flüchtlinge zu integrieren und eine Heimat zu bieten, die einen Anspruch auf Asyl haben. Gleichermaßen müssen wir aber auch die Rückführung jener konsequent verfolgen, deren Asylanspruch rechtskräftig abgelehnt worden ist. Wir werden uns der Debatte nicht verschließen, Asylbewerber konzentriert unterzubringen, deren Asylanspruch von vornherein keine Aussicht auf Erfolg hat.“

Und während Hartmann den zuständigen Innenminister in Berlin in die Pflicht nahm, stellte Albrecht Pallas, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion und wie Hartmann ausgebildeter Polizist, fest, dass es mit dem Informationsfluss aus dem sächsischen Innenministerium wohl ein bisschen dünn war: “Die heutige Sondersitzung des Innenausschusses war wichtig. Es gab auf Regierungs- und Oppositionsseite massiven Informationsbedarf.”

Aber auch nach der Sitzung fehlte es an belastbaren Informationen. Das Innenministerium läuft der Situation tatsächlich noch immer hinterher.

Albrecht Pallas: “In den kommenden Tagen wird es darauf ankommen, gemeinsam mit unserem Koalitionspartner konkrete Verbesserungen auf den Weg zu bringen. Unsere Vorschläge dazu liegen auf dem Tisch. – Insbesondere ist für uns wichtig, dass die Zeltlager baldmöglichst, spätestens Ende September, geschlossen werden, um eine menschenwürdige Unterbringung zu gewährleisten. Weiterhin gilt es, die Kapazitäten für die Erstaufnahme von Geflüchteten schneller als bislang geplant auszubauen und die Asylverfahrensdauer deutlich zu verkürzen. Hier erwarte ich zur nächsten Sitzung des Innenausschusses vom Innenministerium konkrete Angaben, warum die Verfahren in Sachsen länger als in anderen Bundesländern dauern.”

Das aber liegt nun tatsächlich nicht auf dem Tisch des sächsischen Innenministers. Für die Asylverfahren ist der Bundessinnenminister zuständig.

Wofür Sachsens Innenminister Markus Ulbig aber zuständig ist, das ist der Schutz der Flüchtlingsunterkünfte. Und da ist ihm die dünne Personaldecke bei der ihm unterstellten Polizei augenscheinlich zum Handicap geworden. Albrecht Pallas: “Wir wollen gemeinsam mit der sächsischen Polizei Wege finden, wie Unterkünfte besser geschützt werden und wie wir im Rahmen einer Sonderkommission ‚Hass im Internet‘ gegen Hetzer in den sozialen Netzwerken strikt vorgehen können. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Einstellung zusätzlicher hauptamtlicher Kräfte für die Wohlfahrtsverbände.“

Und wo Pallas noch optimistisch klingt, waren die Grünen gründlich enttäuscht von dem, was in der Sondersitzung überhaupt greifbar wurde.

“Ich hätte erwartet, dass Innenminister Markus Ulbig heute ein Konzept zur Unterbringung von Asylsuchenden in sächsischen Erstaufnahmeeinrichtungen vorlegt, das sicherstellt, dass wir in die Vorhand kommen und uns nicht weiter von Interimslösung zu Interimslösung hangeln müssen. Das, was heute vom Innenminister vorgestellt wurde, ist dagegen eine glatte Enttäuschung”, erklärt Valentin Lippmann, innenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion. “Ich stelle fest: Es liegt weiterhin kein fundiertes Unterbringungskonzept zur Erstaufnahme von Asylsuchenden vor. Zudem besteht keine Klarheit, wie lange die Zeltstadt in Dresden, mit ihren zum Teil menschenunwürdigen Zuständen, noch genutzt werden wird. “Man muss kein Prophet sein, um einzuschätzen, dass die Zahl der Flüchtlinge, die nach Sachsen kommen, weiter steigen wird. Vor diesem Hintergrund bleibt es die Aufgabe des Innenministeriums, überplanmäßige Aufnahmeplätze in der Erstaufnahme zu schaffen.”

Und bestätigt sieht sich auch die Linke, die die Sondersitzung beantragt hatte.

“Unsere parlamentarische Antwort auf die unhaltbaren Zustände nicht nur in der Dresdner ‘Asyl-Zeltstadt’ hat die Koalitionsfraktionen dazu bewogen, nun auch selbst Chaos-Minister Ulbig auf die Finger zu schauen und Konsequenzen zu verlangen”, stellt Juliane Nagel, Sprecherin für Asyl- und Migrationspolitik der Linksfraktion fest. Es gab tatsächlich ein paar Zahlen – aus dem Finanzministerium, das als Bauherr die Einrichtung neuer Erstaufnahmeeinrichtungen betreut. Aber schon da klemmt es.

“Wie notwendig das ist, zeigen allein schon die vom Finanzministerium vorgelegten Zahlen der Aufnahmekapazitäten, die auf ein langfristiges Defizit hindeuten. Damit ist diese außerordentliche Ausschuss-Sondersitzung in der Sommerpause ein erster Erfolg auf dem noch langen und steinigen Weg zu einer wirklich humanen Flüchtlingspolitik in Sachsen”, meint Nagel. Und das Zwischenfazit ist auch bei diesem Thema: Der Freistaat hat wieder versucht, auf Kante zu kalkulieren. Mit dem Ergebnis, dass er die Asylunterbringung viel zu knapp gerechnet hat. Man könnte fast die Frage stellen: Wann lernen es die verantwortlichen Minister eigentlich, dass man immer Mindestreserven mit einplanen muss?

“Wir begrüßen alle vernünftigen praktischen Maßnahmen, die die Sicherheit der Asylsuchenden und ihre Versorgung verbessern sowie die inakzeptable Zelt-Masseneinquartierung auf engstem Raum bei großer Hitze schnellstmöglich beenden. Die Geflüchteten dürfen nicht zu Leidtragenden der fehlenden Vorausplanung des Innenministeriums und der Landesdirektion werden – es ist daher für eine unverzügliche Unterbringung in festen Häusern zu sorgen”, fordert Nagel. Dabei weiß sie genau, dass es mit den aktuellen Verantwortungsträgern ganz schwer wird. Sie haben augenscheinlich in den Jahren seit Kurt Biedenkopfs Rücktritt verlernt, wieder in eine Zukunft zu planen, die länger als drei Monate ist.

“Zufriedenstellende rasche humanitäre Lösungen und eine langfristig gute Unterbringung und Aufnahme der Asylsuchenden inmitten der sächsischen Gesellschaft lassen sich aber unter alleiniger Federführung der überforderten und desorientierten Verwaltungsapparate nicht schaffen”, zieht Juliane Nagel ihr Fazit. “Deshalb braucht Sachsen einen Asylgipfel der Zivilgesellschaft, in dem neben Lenkungsausschuss, Wohlfahrtsverbänden und kommunalen Spitzenverbänden, den Ausländerbeauftragten von Land und Kreisen auch Flüchtlingsräte, Flüchtlingsinitiativen, Menschenrechtsorganisationen, Gewerkschaften, Kirchen, Kranken- und Rentenversicherungen einbezogen sind.

Dieser Asylgipfel der sächsischen Zivilgesellschaft war die Kernforderung unseres Antrages, der Grundlage der Ausschuss-Sitzung gewesen ist. Leider hat die Koalitionsmehrheit ihm nicht zuzustimmen vermocht und damit auch nicht der Forderung nach einem ‘tragfähigen Konzept für die Erstaufnahme von Asylsuchenden und Flüchtlingen’. Damit steht zu befürchten, dass die Willensbekundungen in Papieren bzw. Wortmeldungen aus den Koalitionsfraktionen zu dieser Sitzung den Sprung in die Wirklichkeit nicht schaffen werden. Ungeachtet dessen bleiben wir im Interesse der Entfaltung einer überzeugenden Willkommenskultur in Sachsen weiter gesprächsbereit für fraktionsübergreifende Lösungsvorschläge.”

Der Antrag der Linksfraktion.

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