An der SPD beißt sich Innenminister Roland Wöller (CDU) diesmal die Zähne aus. Sie will seine Träume, in Dresden ein Anker-Zentrum für Asylsuchende einzurichten, nicht mittragen. Das hat sie schon vor einer Woche deutlich gemacht, als Sachsen noch eins von fünf Bundesländern war, die auf Horst Seehofers (CSU) Schnapsidee mit einem gemeinsamen „Hurra!“ antworteten. Mittlerweile sind nur noch zwei dabei.

Das eine ist das Heimatland des deutschen Heimatministers Horst Seehofer: Bayern. Da spielt die krachlederne Idee eine wichtige Rolle im Wahlkampf, weil die Seehofersche CSU felsenfest der Überzeugung ist, damit der AfD Wähler abspenstig machen zu können. Es sieht nach einem sehr falschen Denken aus.

Und das andere Bundesland ist Sachsen, auch wenn Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) nach der ersten Kritik zurückruderte, dann wollte er doch wieder. Das Problem der sächsischen CDU ist genau dasselbe wie das der CSU: Sie glaubt seit Jahren felsenfest daran, dass sie die Hardliner der AfD mit einem noch härteren Kurs gegen Flüchtlinge und Asylsuchende überbieten kann.

Was natürlich zuallererst bedeutet, dass man die wichtigste politische These der AfD übernimmt und bestärkt. Die lautet ja schlicht und platt: „Die Ausländer sind an allem schuld“.

Dass das sächsische Unbehagen schon vor 2015 da war und ein brodelnder Rassismus von der CDU-Spitze immer auch ignoriert wurde, scheint keine Rolle mehr zu spielen. Nicht mal den Herbst 2017 nach Tillichs Rücktritt nutzte die CDU-Spitze, um die Ursachen für das sächsische Unbehagen zu ergründen. Denn man hatte ja die Umfrageergebnisse: Die Sachsen fühlen sich zu einem großen Teil ungerecht behandelt.

Indem man nun ausgerechnet die zentrale Botschaft der AfD als Erklärung dafür nimmt, ist es schon wie das Eingeständnis einer Wahlniederlage ein Jahr vor Stattfinden der eigentlichen Wahl.

Als Michael Kretschmer dann erklärte, Sachsen wolle wohl doch nicht zum heißen Anwärter auf ein Anker-Zentrum werden, gab es gleich am Donnerstag, 17. Mai, das klare Signal vom Koalitionspartner SPD: „Mit uns wird es keins geben!“

„Die SPD-Fraktion begrüßt die Klarstellung des Ministerpräsidenten, dass die Planungen für ein zentrales Ankerzentrum in Sachsen vom Tisch sind und wir bei den drei bewährten Ankunftszentren bleiben“, erklärte Henning Homann, Sprecher für demokratische Kultur der SPD-Fraktion. „Sachsen ist mit seinen Erstaufnahmeeinrichtungen in Dresden, Leipzig und Chemnitz bereits gut aufgestellt.

Integrationsministerin Petra Köpping hat recht: Die drei Einrichtungen in Sachsen, in denen Geflüchtete Betreuung, ersten Sprachunterricht und kulturelle Orientierung erhalten, sind auch im Sinne der Integration und der inneren Sicherheit die bessere Lösung. Geflüchtete, die nicht in Deutschland bleiben dürfen, werden von dort aus zurückgeführt. Möglichkeiten, deren Arbeit noch weiter zu verbessern, können mit den Kommunen besprochen werden.

Die enge Zusammenarbeit mit den Kommunen hat sich in den vergangenen Jahren bewährt. Im Interesse einer humanitären und genauso konsequenten Asylpolitik ist Sachlichkeit oberstes Gebot. Das Thema eignet sich weder für Wahlkampf noch für Polemik. Die Debatte um ein zentrales Anker-Zentrum in Sachsen sollte beendet werden.“

Noch am 4. Mai hatte Innenminister Roland Wöller verkündet, Sachsen wolle unbedingt beim Pilotprojekt Anker-Zentrum mitmachen. Noch in der Sitzung des Innenausschusses vom 15. Mai beantwortete er die von der Linksfraktion eingereichten Fragen zum angeblich geplanten Anker-Zentrum.

„Abgesehen davon, dass die Staatsregierung ihre Informationspolitik optimieren sollte, ist die Entscheidung gegen ein AnkER-Zentrum in Sachsen richtig“, stellte am gleichen Tag Juliane Nagel, flüchtlings- und migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion, fest. „Nicht nur wir als Linke hatten darauf hingewiesen, dass dieses Projekt menschenrechtlich fragwürdig und integrationspolitisch kontraproduktiv wäre. Was sowohl Kretschmer, Wöller als auch der Koalitionspartner SPD verschweigen, ist, dass die Novellierung des Sächsischen Flüchtlingsaufnahmegesetzes, die sich gerade in der internen Anhörung in den Landkreisen befindet, eine Verlängerung der Aufenthaltsdauer für Geflüchtete in den Erstaufnahmeeinrichtungen vorsieht.“

In einer Mitteilung des Sächsischen Innenministeriums von Ende März 2018 heißt es dazu: „Mit der geplanten Änderung des Sächsischen Flüchtlingsaufnahmegesetzes soll gleichzeitig eine längere Wohnsitzverpflichtung in den zentralen Erstaufnahmeeinrichtungen (EAE) des Freistaates umgesetzt werden. Mit dieser Regelung sollen künftig Asylbewerber aus Ländern mit geringer Bleibeperspektive so lange in einer der insgesamt neun landeseigenen Erstaufnahmeeinrichtungen bleiben, bis ihr Asylverfahren abgeschlossen ist und bei Ablehnung die Ausreise vollzogen wird.“

Die Wahlkampf-Idee von Horst Seehofer wurzelt also in ganz ähnlichen Ideen, die Sachsens Konservative ebenfalls schon umwälzten, weil sie glauben, die Flüchtlingsverwaltung mit längerer Internierung der Betroffenen irgendwie besser organisieren zu können.

„Jenseits der von Bundesminister Seehofer forcierten AnkER-Zentren sollen in Sachsen also AnkER-Zentren light errichtet werden. Über deren Ausgestaltung gibt sich die Staatsregierung bisher schmallippig, wie unter anderem die Antwort auf meine Kleine Anfrage (Landtags-Drucksache 6/12938) zu Zukunft und Ausgestaltung der Erstaufnahme-Einrichtungen in Sachsen vor dem Hintergrund der geplanten längeren Wohnsitzverpflichtung ergibt“, erklärte Juliane Nagel.

„Es ist davon auszugehen, dass ein Großteil der nach Sachsen zugewiesenen Geflüchteten in den bestehenden Erstaufnahmeeinrichtungen kaserniert werden, auch Kinder, Schutzbedürftige und Familien. Dass die Errichtung eines AnkER-Zentrums vom Ministerpräsidenten kassiert wurde, darf keine Entwarnung bedeuten. Die CDU arbeitet – leider mit Unterstützung der SPD – weiter an der Verschlechterung der Lebenssituation von Geflüchteten.“

Da schien am 17. Mai also zumindest die Frage Anker-Zentrum geklärt.

Aber schon am nächsten Tag, 18. Mai, schürte Ministerpräsident Michael Kretschmer neue Unsicherheit. Irgendwie scheint er das „Pilotprojekt“ doch mitmachen zu wollen.

„Dieses Hin und Her, mal ein Ankerzentrum, dann keins, nun doch eins, aber irgendwie anders und dann doch vielleicht so wie das, was Herr Seehofer will. Mein Gott, Kretschmer, was soll das werden? Was die Staatsregierung, hier das Gespann MP-Innenminister, vor sich hin kommuniziert, ist nur noch abenteuerlich und abwegig. Auch ein Gericht soll in diesem Lager untergebracht werden – eine hanebüchene Vorstellung von unabhängiger Justiz“, stöhnte am Freitag, 18. Mai, ganz offiziell Rico Gebhardt, der Vorsitzende der Linksfraktion im Landtag.

„Das Ganze soll den Insassen, die dann abgeschoben werden, angeblich den Schein des schönen Rechtsstaates vermitteln, gibt Kretschmer als Zugabe. Geht’s noch? Und sorry, liebe sächsische Sozialdemokraten: Ihr lasst euch auch an jedem Nasenring durch die Manege führen. Hat eigentlich schon mal jemand die Menschen gefragt, die in der Nachbarschaft eines solchen selbst geschaffenen sozialen Brennpunktes wohnen? Herr Kretschmer macht Sachsen nicht sicherer, sondern unsicherer, auch mit seinem Geschwätz ums Ankerzentrum, das nur von einem Motiv getrieben ist: einem vermeintlichen „Volksempfinden“ zu entsprechen, ohne selbst einen Plan zu haben. Hat er seinen Amtseid vergessen, Schaden von Sachsen abzuwenden?“

Und entsetzt zeigte sich auch Stefan Engel, Landesvorsitzender der Jusos Sachsen: „Das ständige Hin und Her der sächsischen CDU ist nicht nur zutiefst populistisch, sondern auch ein politisches Armutszeugnis. Anstatt wie andere Bundesländer auf fachliche Kriterien zu hören, soll in Sachsen nun ein aberwitziger und gefährlicher Testballon gestartet werden. Die ‚Anker‘-Zentren sind nichts anderes als ein undefiniertes Prestigeprojekt einer bayerischen Regionalpartei, das bisher keinerlei Nutzen oder gar eine rechtliche Grundlage nachgewiesen hat. Ganz im Gegenteil: Das Aussortieren in gute und schlechte Flüchtlinge und die Konzentration auf wenige Standorte macht nicht nur Integration unmöglich, sondern ist auch zutiefst gefährlich.“

Glaubt Michael Kretschmer tatsächlich, mit einer bayerischen Wahlkampfidee auch 2019 im sächsischen Landtagswahlkampf punkten zu können?

Stefan Engel bezweifelt das: „Es hat seinen guten Grund, warum auch viele andere CDU-regierte Länder in den letzten Tagen von „AnkER“-Zentren Abstand genommen haben. Die bisherige Struktur mit drei gleichberechtigten Erstaufnahmeeinrichtungen in Sachsen hat sich bewährt. Wenn Herr Kretschmer aus populistischen Gründen einen Alleingang in der Einführung solcher Lagerstrukturen wagen will, muss die SPD als Teil der Landesregierung vehement widersprechen. Der Trend zu immer mehr Verschärfungen und Gängelei hat noch keine Probleme gelöst, sondern lenkt von den wirklichen Herausforderungen im Bereich Integration nur ab.“

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