Am Donnerstag, 15.12.2022, gegen 22 Uhr fiel die Entscheidung des Dresdner Stadtrats: Das Bürgerbegehren von „DresdenZero“ mit 24.633 gültigen Stimmen wurde für zulässig erklärt und einer inhaltlichen Vorlage der Stadtverwaltung zugestimmt. Damit wird Dresdens „Integriertes Energie- und Klimaschutzkonzept“ (IEK) neu und auf das Zieljahr 2035 ausgerichtet. Der bisherige Beschluss des Dresdner Stadtrates enthielt bisher die schwammige Formulierung, dass Dresden „deutlich vor 2050“ klimaneutral sein solle.

Planloses Begehren – planlose Stadt

Das Bürgerbegehren erntete von Anfang an Kritik, beispielsweise, ob es denn sinnvoll sei, immer neue ambitioniertere Ziele zu fassen, während das große Problem doch auf der Umsetzungsseite läge. In den sozialen Medien wurde das Bürgerbegehren als „planlos“ bezeichnet und die Lokalinitiative „DresdenZero“ dafür kritisiert, keinerlei konkrete Maßnahmen aufzuzeigen.

Prof. Dr. Christoph Röllig, einer der beiden Koordinatoren von „DresdenZero“ sagt dazu, dass er diesen Kommentaren mit einem Augenzwinkern Recht geben würde, nämlich, dass „wir“ – er meint damit die Stadt Dresden als Ganzes – bisher planlos seien, was eine ehrgeizige Klimapolitik angeht.

„Gegenstand der Forderung ist, dass es einen konkreten Plan geben soll. Wir sind Realisten und maßen uns nicht an, Entscheidungen, die für die Klimaneutralität notwendig sind, ohne entsprechende Expertise oder detaillierte Analysen vornehmen zu können. Ein Plan ist aus unserer Sicht die wichtigste Voraussetzung, dass man etwas erreichen kann.“

Andererseits dürfe ein Bürgerbegehren sogar rechtlich kein Paket an Maßnahmen enthalten, die langjährige Implikationen hätten oder mit größeren Finanzvolumen einhergingen, erklärt Röllig weiter, weil damit die Handlungsfähigkeit und Flexibilität der Politik eingeschränkt würde.

Nach dem Entscheid vom gestrigen Tag ist das Bürgerbegehren in Dresden damit das erste erfolgreiche Begehren der deutschlandweit aktiven Organisation „GermanZero“ in Sachsen und eines der vom Stimmenvolumen her größten Begehren bundesweit.

Diskussionsbedarf zu Klimaneutralität und 2035

"DresdenZero"-Koordinator Prof. Dr. Christoph Röllig. Foto: Louise Hummel-Schröter
“DresdenZero”-Koordinator Prof. Dr. Christoph Röllig. Foto: Louise Hummel-Schröter

Auch die Debatte im Dresdner Stadtrat driftete immer wieder vom Inhalt des Bürgerbegehrens ab. So wurden beispielsweise von CDU und FDP immer wieder die Befürchtungen massiver Einschnitte in Wirtschaft, Verkehr, Energiebereitstellung, das Leben und auch den Komfort der Dresdner/-innen aufgeführt. Man glaube, Ziele würden vielleicht unterstützt, mit der Akzeptanz konkreter Maßnahmen könne es anders aussehen.

Grüne, SPD, der Dissidenten-Stadtrat Dr. Martin Schulte-Wissermann, und der Gastredner Nils Aldag, CEO des Dresdner Unternehmens Sunfire, betonten hingegen die Chancen, welche die Transformation böte. „Der Beschluss für Klimaneutralität 2035 sorgt dafür, dass unsere Stadt noch attraktiver für Fachkräfte, für Top-Talente und Unternehmen aus aller Welt wird. Wir sollten daher nicht nur, sondern wir müssen als Hightech-Stadt im eigenen Interesse mit gutem Beispiel vorangehen“, so Aldag.

Auch Prof. Dr. Roswitha Böhm, die Prorektorin für Universitätskultur der TU Dresden, die sich als Institution hinter das Begehren und das Ziel 2035 gestellt hatte, führte in einer Gast-Videobotschaft aus: „In unserer geplanten Nachhaltigkeitsstrategie werden auch wir uns zum Ziel setzen, bis 2035 klimaneutral zu sein. Dieses Ziel können wir nur erreichen, wenn wir kooperieren und wenn wir die Unterstützung der sächsischen Landesregierung, sowie jene der Landeshauptstadt Dresden haben.“

Linken-Stadtrat André Schollbach mahnte als Einziger in der Diskussion immer wieder an: „Wir entscheiden heute im Sinne des Bürgerbegehrens über eine Planungsleistung, nicht mehr und nicht weniger. Und wir sollten in der Öffentlichkeit nicht den Eindruck erwecken, wir würden heute darüber die Entscheidung treffen ob Dresden bis 2035 klimaneutral ist oder nicht.“

Dissidenten-Stadtrat Johannes Lichdi hingegen warnte aber davor, dass der Stadtrat sich nicht hinter einer rein formalen Verantwortung zurückziehen dürfe.

Kurz wurde in der Debatte auch die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens durch AFD-Stadtrat Thomas Ladzinski in Frage gestellt. Ein Bürgerbegehren gegen einen Stadtratsbeschluss müsse innerhalb von drei Monaten erfolgen, der dem IEK zugrundeliegende Beschluss sei aber schon fast drei Jahre alt. Auch dies konnte der Linken-Stadtrat und Jurist André Schollbach schnell aufklären. So richte sich das Begehren nicht gegen den Beschluss, sondern konkretisiere diesen vielmehr.

Pfad für 2040: Kompromiss mit der CDU

Wie bereits bei dem zugrundeliegenden Beschluss zur Erstellung des IEK konnte auch jetzt die Ratsmehrheit durch die Stimmen der CDU-Fraktion gefunden werden. Diese hatte neben Zulässigkeit und Festschreibung des 2035er Ziels einen Ergänzungsantrag eingebracht, der eine zusätzliche Erarbeitung eines Pfads für 2040 und 2045 einforderte. Als weiterer Kompromiss zum Kompromiss konnte man sich dann auf lediglich den 2040er-Pfad zusätzlich einigen.

„DresdenZero“-Koordinator Röllig zeigte sich nicht begeistert ob dieser Verschiebungsdebatte, berief sich aber darauf, dass er trotzdem im Beschluss dem Zieljahr 2035 die höhere Verbindlichkeit beimesse.

Heftigere Kritik kam dazu von Seiten der SPD- und Dissidenten-Fraktion. Die Ergänzung um einen weiteren Zielhorizont entspräche nicht dem Sinn des Bürgerbegehrens so SPD-Stadtrat Stefan Engel. Dissidenten-Stadtrat Johannes Lichdi hingegen ging sogar noch einen Schritt weiter, und stellte in den Raum, dass sich dadurch eventuell ein Recht der Initiator/-innen des Begehrens ergeben könne, dass der Bürgerentscheid durchgeführt werden müsse. Er fügte hinzu, dass ein Bürgerentscheid in Nürnberg geholfen habe, endlich politische Einigkeit herzustellen.

Röllig hatte im Vorfeld allerdings bereits Bedenken zum Bürgerentscheid geäußert, da dieser in Dresden große Unwägbarkeiten beinhalte und hohe Kosten verursache.

Wie realistisch ist die Dresdner Klimaneutralität 2035?

"DresdenZero"-Koordinator Nummer 2: Moritz Piepel. Foto: Louise Hummel-Schröter
“DresdenZero”-Koordinator Nummer 2: Moritz Piepel. Foto: Louise Hummel-Schröter

Röllig erklärt dazu: „2035 ist ein sehr ambitioniertes Ziel, weil es quasi übermorgen ist. Größere Teile der Energiepolitik Dresden hängen von fossilen Energien ab, so dass es tatsächlich einen Paradigmenwechsel braucht. Wir denken aber, dass es keine Alternative gibt, denn 70 Prozent der weltweiten Emissionen kommen aus urbanen Gebieten und Dresden hat keine schlechten Ausgangsbedingungen. Wenn die sächsische Landeshauptstadt so etwas macht, dann hat das auch eine Signalwirkung auf andere große Städte der neuen Bundesländer oder eben auch von Deutschland.“

Im Stadtrat zeigte sich in Sachen Machbarkeit die größte Uneinigkeit. Klar für Röllig sei jedenfalls, dass man diesen Punkt ohne Plan mit konkreten Maßnahmen gar nicht diskutieren könne.

Moritz Piepel, der andere Koordinator von „DresdenZero“ äußerte nach der Entscheidung: „Wir freuen uns sehr über die Entscheidung des Stadtrats, die zeigt, dass ehrenamtliches Engagement sich auszahlt. Insbesondere freuen wir uns sehr über die Geschlossenheit und den breiten Rückhalt des Rats, mit der er sich hinter das Ziel gestellt hat.“

Die Fertigstellung und der Beschluss des neuen Energie- und Klimaschutzkonzepts der Stadt Dresden wird für Mitte 2024 erwartet. Bleibt zu hoffen, dass Diskussionen zu Klimaschutz und zeitlichen Machbarkeitshorizonten dann mit deutlich mehr Substanz geführt werden können.

Der Beitrag entstand im Rahmen der Workshopreihe „Bürgerjournalismus als Sächsische Beteiligungsoption‘ – gefördert durch die FRL Bürgerbeteiligung des Freistaates Sachsen.

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