Die Vereinigte Leipziger Wohnungsgenossenschaft VLW wird 90. Alles begann am 5. Juli 1922 als "Baugenossenschaft für die Reichsfinanzbeamten". Heute spiegeln die 8.500 Mitglieder der Genossenschaft, die sich als "gute Adresse" mit Tradition sieht, das Leipziger Leben in seiner Buntheit. Davon erzählt eine Jubiläumsschrift.

Geschichte beginnt heute. Deshalb besteht der Jubiläumsband “Gute Adresse 90” zum größeren Teil aus Mitgliederinterviews. Dabei dürfen wir achtzehnmal in die gute Stube von Leipzigern blicken, die von sich, ihren Nächsten und von ihrem Leben in einer der 7.230 Wohnungen der Vereinigten Leipziger Wohnungsgenossenschaft VLW erzählen.

Mal ist es ein Ehepaar, mal eine Familie, dann eine eingetragene Lebenspartnerschaft, später ein Single, schließlich eine Studenten-WG, von dessen und deren Wohn- und Gedankenwelt wir erfahren. Darunter sind Hiergebliebene, Zurückgekehrte und Zugereiste, wie die VLW mitteilt.

Alles spannende Geschichten. Etwa die des bekannten Leipziger Fotografen Mahmoud Dabdoub. Der gebürtige Palästinenser kam 1981 aus dem Bürgerkriegsland Libanon in die Messestadt und wurde hier heimisch. Oder die Geschichte von Juliane Dorn, Grünen-Stadtrat Roland Quester und beider Tochter Lilith, die bei der VLW ihren naturnahen “Ort zum Abschalten” fanden.

Leipzig braucht mehr Kinderbetreuungsplätze. Tagesmütter und Tagesväter sind eine Möglichkeit der Kinderbetreuung. Mittlerweile gibt es sechs dieser Angebote in Wohnungen der VLW. Beispielsweise das von Elisa Möckel und Susann Langwald in der Neulindenauer Demmeringstraße.
Zu einer Hochschulstadt wie Leipzig gehören Studenten-WGs. Eine solche können junge Leute auch bei VLW aufmachen. Die Schwestern Jenny und Katrin Gassel, Genossenschaftsmitglieder seit 2011, erzählen davon, wie sie in Connewitz die Traumwohnung für ihre WG fanden und bei der Wohnraumgestaltung mitreden konnten.

Der VLW geht es nicht nur ums Mitreden, auch für das Selbst-Anpacken ist Raum. “Wer eine Muskelhypothek aufbringt, zeiht nicht so schnell wieder aus”, beschreibt VLW-Vorstand Michaela Kostov den Vorzug solcher Ausbaulösungen aus Genossenschaftssicht. Und wer seine Muskelkraft in die eigenen vier Wände investiert, muss in der Wohnphase nicht so tief ins Portemonnaie greifen.

Diese Art der Öffnung und Offenheit kommt offenbar an. In den letzten zwei Jahren seien 60 Prozent der Neuverträge mit Menschen unter 40 Jahren geschlossen worden, so Kostov bei der Vorstellung des Buchs zum Genossenschaftsgeburtstag. Hinzu käme eine “Renaissance des Genossenschaftsgedankens”. Mit anderen Worten: In der Finanzkrise besinnen sich wieder mehr Menschen auf kollektive Selbsthilfe und Eigentumsbildung unter dem Dach einer Genossenschaft. Eine gute Erkenntnis im aktuellen “Jahr der Genossenschaften”.Solche Offenheit erwartet die Genossenschaft auch von anderen. “Wir sind immer noch nicht an dem Punkt, wo wir uns sehen: als Partner der Stadtverwaltung”, sagt VLW-Vorstand Wolf-Rüdiger Kliebes in Richtung Rathaus. Da ist zum einen die schon mehrfach von den Genossenschaften eingeforderte neue Debatte über die Rückbaustrategie der Stadt. Und da ist aktuell das Kommunikationsdesaster bei dem Unterbringungskonzept für Asylsuchende. “Wir haben immer noch das Problem, dass man uns erst informiert, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist”, so Kliebes.

Dabei lehnt eine Genossenschaft, die wie die VLW auf Offenheit und Vielfalt setzt, Misstöne wie in der aktuellen Debatte zu den Asylsuchenden konsequent ab.

Wie weit man mit Transparenz und Kommunikation kommen kann, beschreibt Kliebes an dem Weg der VLW in den letzten Jahren. Auch hier ging es aus wirtschaftlichen Gründen nicht ohne Rückbau und Verkäufen von Beständen, die ja Eigentum der Genossenschaftsmitglieder sind. “Wir haben ein sehr hohes Maß an Transparenz an den Tag gelegt, das hat man uns auch gedankt”, dankt Kliebes seinerseits den Mitgliedern, die diesen Weg mitgegangen sind.

Neben der Vertreterversammlung als dem klassischen Beteiligungsorgan einer Genossenschaft wird noch in diesem Jahre eine Schlichtungsstelle ihre Arbeit aufnehmen. Dieses von der Geschäftsführung unabhängige Gremium soll einvernehmliche Lösungen für Konflikte zwischen Mietern finden, bevor Gerichte bemüht werden müssen.

Die Buchvorstellung fand übrigens im “grünen Wohnzimmer” der VLW im “Garten der Begegnung” statt, der im Kleingartenverein “Frohe Stunde” in der Gohliser Slevogtstraße liegt. Genossenschaftsbewegung und Kleingärtnerbewegung hätten in Sachsen ihre Wurzeln, da böten sich gemeinsame Aktionen geradezu an, findet Michaela Kostov. Und natürlich profitiert die VLW bei ihrer Angebotsvielfalt davon, dass sie über Bestände aus allen Bauepochen seit 1922 und in 20 Leipziger Ortsteilen verfügt.

Mehr zur Geschichte der VLW lesen Sie morgen an dieser Stelle.

www.vlw-eg.de

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