Innovation und Ideen aus der Kultur- und Kreativwirtschaft wirken in die Gesellschaft hinein und verändern sie, sagt SPD-Wirtschaftsexperte Wolfgang Tiefensee im L-IZ-Interview. Die Rahmenbedingungen für die Branche will die SPD mit einem "Pakt für die Kreativwirtschaft" verbessern. Leipzig sei für Kreativ gut aufgestellt, so der örtliche Bundestagsabgeordnete.

Herr Tiefensee, die SPD schlägt einen “Pakt für die Kreativwirtschaft” vor. Welcher Part kommt den vielen Kreativen in unserem Land in diesem Pakt zu?

Wir wollen einen vorsorgenden Sozialstaat, der in die Zukunft investiert und vordringliche gesellschaftliche Aufgaben erfüllt. Innovation, Kreativität und Talent sind dabei maßgebliche Ressourcen. Die Kreativwirtschaft ist deshalb gleichzeitig Zukunftslabor und Avantgarde. Herausragende Innovationen und kreative Ideen, in den einzelnen Teilmärkten der Kultur- und Kreativwirtschaft entstanden, wirken in unsere Gesellschaft hinein und verändern sie.

Doch gerade Kreative sind von massiver sozialer Unsicherheit bedroht, von prekären Arbeitsbedingungen, Ausbeutung und unsicherer Zukunft. Am 22. Februar hat die SPD-Fraktion darum ihren sorgsam erarbeiteten Antrag “Projekt Zukunft – Deutschland 2020 – ein Pakt für die Kreativwirtschaft” in den Bundestag eingebracht.

Die Bundesregierung preist die “Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft” als wirkungsvolles Instrument zur Förderung der Branche. Welche Themen lässt aus Ihrer Sicht die Initiative offen, die der Pakt nun aufgreift?

Die Koalition hat etwa bei der Urheberrechtsreform bislang nichts unternommen, um den Künstlern zu helfen, ähnlich wie beim Mindestlohn oder der Rente.

In dem Antrag fordert die SPD-Bundestagsfraktion die Bundesregierung unter anderem auf, ein Gesamtkonzept für die Förderung der Kreativwirtschaft vorzulegen. Darüber hinaus fordern wir die Regierung auf, einen mit den Ländern abgestimmten Bericht zur Kultur- und Kreativwirtschaft vorzulegen, um die Potenziale, Chancen und Trends besser als bisher einschätzen zu können. Die Chancen und Potenziale dieser dynamisch wachsenden Branche sind zu fördern und nicht – wie die aktuelle Bundesregierung es macht – zu verspielen.Wie sehen Sie Leipzig als Stadt für Kreative aufgestellt?

Die Stadt Leipzig ist für Kreative gut aufgestellt. Insgesamt zählen über 4.400 Unternehmen zu den Teilbranchen der Cluster Medien- und Kreativwirtschaft. Diese Unternehmen finden in der Stadt hervorragend ausgebildete Mitarbeiter, eine attraktive Mietsituation und eine ideale Infrastruktur. Start-Ups und selbstständige Kreative treffen auf eine gut vernetzte Szene.

Einige Unternehmen sind in ihrer Branche bereits wirtschaftlicher Antriebsmotor, dessen Drehmoment von der Stadt erhöht werden kann. Mehr als 44.000 Menschen arbeiten in den Teilbranchen der Kreativwirtschaft in einer großartigen Stadt, die ihnen eine wirtschaftliche Perspektive, eine engagierte Stadtverwaltung und den wichtigen Freiraum bietet, um sich weiter zu entwickeln.

Auf dem Gelände der ehemaligen Baumwollspinnerei beispielsweise haben sich zehn Galerien, das gemeinnützige Zentrum Halle 14 und circa 100 Künstler niedergelassen. Das Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft Leipziger Osten bietet allen Kreativen die Möglichkeit, sich zu informieren und in ihrer Existenzgründung beraten zu lassen.

Von welchen Instrumenten der Wirtschaftsförderung können denn die Kreativen am ehesten profitieren?

Voraussetzung erfolgreicher Wirtschaftsförderung für den Kreativsektor ist die Anerkennung der Tatsache, dass Kreativität eine der wichtigsten Ressourcen des 21. Jahrhunderts ist und der einzige Rohstoff, der sich bei Gebrauch vermehrt.

Die bestehenden Fördersysteme sind für die klassische Industriepolitik entworfen worden. Es gibt zwar mittlerweile vielfältige Ansätze zur Förderung der Kreativwirtschaft. Oftmals greifen diese jedoch nicht oder zumindest nicht ineinander. Sie müssen besser zwischen den einzelnen Regierungs- und Verwaltungseinheiten abgestimmt und in Einklang gebracht werden.

Sowohl die Bekanntheit der Förderprogramme als auch flankierende Weiterbildungsmöglichkeiten sind derzeit ungenügend. Erfolgreiche Fördermodelle bieten gute Anregungen, können nicht einfach von jedem Standort kopiert werden. Wir treten deshalb dafür ein, dass Standorte sich an ihren jeweiligen Stärken orientieren und Kooperationsnetzwerke und Verbünde eingehen.

Stichwort Soziale Sicherung. In dem SPD-Papier wird die allgemeine sozialpolitische Forderung nach Einführung einer Bürgerversicherung und Erwerbstätigenversicherung mit dem Auftrag verbunden, die Künstlersozialversicherung zukunftsfest zu machen. Zugleich geht es für viele Solo-Selbstständige erst einmal darum, sich überhaupt versichern zu können. Wie geht das alles zusammen?

Es besteht Anpassungsbedarf sowohl bei den etablierten Arbeitslosen-, Kranken- und Rentenversicherungen als auch im Arbeits- und Sozialrecht, die auf das “Normalarbeitsverhältnis” ausgerichtet sind. Das gilt auch für den Arbeits- und Gesundheitsschutz und nicht zuletzt für die organisierte Vertretung der Interessen der Kultur- und Kreativschaffenden.

Beschäftigte in der Kreativwirtschaft sollen ihre kreativen Ideen realisieren können, unabhängig davon, ob selbstständig oder in Festanstellung. Sie sollten fair entlohnt werden und gleichzeitig die Möglichkeit haben, sich zu einem bezahlbaren Preis gegen soziale Risiken abzusichern.

Kurzfristig sind daher konkrete Verbesserungen notwendig: Der Künstler- und Publizistenbegriff in der Künstlersozialversicherung muss modernisiert und unter Berücksichtigung der Veränderungen in der Kreativwirtschaft und der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts weiterentwickelt werden. Ziel muss es sein, allen Kreativen den Zugang zur Künstlersozialkasse zu erleichtern.

Vielen Dank für das Gespräch.

http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/123/1712382.pdf

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