Mit Statistiken kann man viel anstellen. Sie können sogar stimmen und trotzdem das verschleiern, worum es tatsächlich geht. So geht es einem auch bei der jüngsten Statistik zum Arbeitsvolumen in Sachsen. Wie viel haben die Sachsen 2016 tatsächlich gearbeitet? Und landeten sie tatsächlich nur bei 1.411 geleisteten Arbeitsstunden? Die Genauigkeit trügt. Das wissen die Statistiker eigentlich.

Auch wenn man sich beim Arbeitskreis „Erwerbstätigenrechnung des Bundes und der Länder“ alle Mühe gibt, alle verfügbaren Daten zu bekommen. Es gibt zwar etliche Datenquellen über die registrierte Arbeitszeit von Erwerbstätigen in Deutschland, Sachsen und auch noch auf Kreisebene.

Aber wer sich die Datenquellen genauer anschaut, merkt, dass der Arbeitskreis das Allerwichtigste gar nicht erfährt, weil es kein Mensch irgendwo statistisch erfassen lässt.

„Zu den wichtigsten erwerbsstatistischen Quellen zählen für die Arbeiter und Angestellten die Statistiken der Bundesagentur für Arbeit (BA) über die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, die geringfügig Beschäftigten und die Teilnehmer in Arbeitsgelegenheiten.

Weitere wichtige Quellen sind die Fachstatistiken des Produzierenden Gewerbes und der Dienstleistungsbereiche. Für die Gruppe der Beamten ist die Personalstandstatistik des öffentlichen Dienstes zu nennen. Für Selbstständige einschl. mithelfender Familienangehöriger sind der Mikrozensus, die Fachstatistiken der Dienstleistungsbereiche sowie die Zahl der Betriebe zentral.“

Was fehlt?

Alle Angaben zu unbezahlter Arbeit und zu Überstunden. Und zu Selbstständigen gibt es nur Hochrechnungen. Was nicht ganz unwichtig ist, wenn die regelmäßigen Meldungen zum Arbeitsvolumen immerfort behaupten, dieses Volumen sinke pro Erwerbstätigem.

Dass es im Durchschnitt sinkt, hat natürlich vor allem mit zwei Effekten zu tun: „der weiterhin steigenden Bedeutung von Teilzeitbeschäftigung bzw. dem Anteil marginaler Beschäftigung“.

Etwas, was natürlich in Sachsen eine eminente Rolle spielt und scheinbar den Effekt erzeugt, dass die Beschäftigten im Landkreis Meißen mit 1.434 Stunden gleich mehrere Tage länger arbeiteten als die Leipziger und die Chemnitzer mit 1.392 Stunden. In den Großstädten sind Teilzeit und prekäre Beschäftigung deutlich stärker vertreten.

Aber das allein sorgt nicht für den Effekt, denn diese Beschäftigungsarten sind in manchen Branchen (wie der Dienstleistung) deutlich stärker ausgeprägt. Im scheinbar unterschiedlichen Arbeitsvolumen spiegelt sich also auch der Wirtschaftszuschnitt der jeweiligen Region. Ob die Menschen in diesen Beschäftigungsverhältnissen tatsächlich so wenig gearbeitet haben, macht die Statistik aber nicht sichtbar. Schon eine unbezahlte Stunde pro Arbeitstag sorgt im Jahr für Unterschiede von über 200 Stunden. Die Stunde entsteht schnell, wenn Anfahrtszeiten und Pausen nicht mitgerechnet werden.

Dass es gerade auf Kreisebene geradezu gefährlich wird, konkrete Zahlen zu nennen, betont der Arbeitskreis in seinem eigenen Methodenhandbuch: „Neuere Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt wie die zunehmende Flexibilität von Beschäftigungsverhältnissen, Abweichungen von Flächentarifverträgen oder Sonderregelungen in einzelnen Unternehmen, die vor allem in kleineren regionalen Einheiten Auswirkungen haben können, können mit einem allgemeinen Rechenmodell nur unvollständig abgebildet werden. Die einschränkende Bezeichnung ‚Standard-Arbeitsvolumen‘ für das Arbeitsvolumen auf Kreisebene bringt daher zum Ausdruck, dass die Rechenergebnisse an länderspezifischen Standards ausgerichtet sind, bedeutsame lokale Besonderheiten aber ggf. nicht abbilden.“

Und auf Städte wie Leipzig treffen Faktoren wie „zunehmende Flexibilität von Beschäftigungsverhältnissen, Abweichungen von Flächentarifverträgen oder Sonderregelungen in einzelnen Unternehmen“ natürlich geballt zu. Wozu noch kam: 2016 waren gerade die Segmente mit Zeitarbeit, Teilzeitarbeit und prekärer Beschäftigung in Leipzig noch stark ausgeprägt. Das Wachstum des Arbeitsvolumens ging vor allem auf solche Tätigkeitsfelder zurück.

Was natürlich bedeutet: Gerade die Leipziger Ergebnisse sollte man mit ganz viel Vorsicht genießen.

2016 ist das Arbeitsvolumen in Sachsen zumindest statistisch gewachsen – um 0,2 Prozent, wie die Statistiker hinschreiben. Wobei tatsächlich Leipzig mit einem Wachstum des Arbeitsvolumens um 1,4 Prozent deutlich herausragt. Gleichzeitig sank auch in Leipzig das statistisch erfasste Arbeitsvolumen pro Kopf um 0,7 Prozent. Was zumindest darauf hindeutet, dass viele der neu entstehenden Jobs Teilzeitjobs waren.

Aber das kann man nur vermuten – denn was die Anteile der offiziell registrierten marginal Beschäftigten (8 Prozent) und Teilzeitbeschäftigten (29 Prozent aller Leipziger Erwerbstätigen) betrifft, liegt Leipzig eher unterm Sachsendurchschnitt.

Arbeit wandert ab in die Großstädte

Was die Statistik zumindest relativ verlässlich zeigt, ist natürlich das, was dem Land tatsächlich zu schaffen macht, dass seit 2007 das registrierte Arbeitsvolumen in sämtlichen Landkreisen und auch in der Stadt Chemnitz gesunken ist – Vogtlandkreis am stärksten mit fast 10 Prozent. In Dresden ist es scheinbar stabil geblieben und nur in Leipzig ist es um 7 Prozent gewachsen. Das heißt ja wohl eindeutig, dass sich der wirtschaftliche Aufschwung stark auf die Großstädte fokussiert – und dass Leipzig eben vor allem durch die arbeitsintensive Dienstleistung wächst.

Aber schon der Blick auf die Baubranche zeigt, dass man den scheinbar so genauen Durchschnittswerten misstrauen sollte. „Mit 1.638 Stunden arbeitete ein Erwerbstätiger im Baugewerbe in Sachsen am längsten“, teilt das Statistische Landesamt mit. „Im Gegensatz dazu betrug die durchschnittliche Arbeitszeit je Erwerbstätigen im Bereich Öffentliche und sonstige Dienstleister, Erziehung und Gesundheit nur 1.352 Stunden.“ Ein Unterschied, der sich nur dadurch erklärt, dass gerade der öffentliche Dienst vor allem Frauen die Chance auf Teilzeit eröffnet.

Wobei die Statistiken der Folgejahre natürlich noch spannender werden, denn eigentlich widerspricht dieses statistische Schrumpfen der Arbeitszeit pro Kopf dem wachsenden Fachkräftemangel in der Region. Und der hatte sich auch 2016 schon in einigen Branchen bemerkbar gemacht. Was die Vermutung nahelegt, dass etliche Arbeitsstunden gar nicht mehr erfasst werden und in „immer flexibleren“ Arbeitszeitmodellen einfach verschwinden.

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