Wenn in jüngster Zeit immer wieder neue Zahlen zum schrumpfenden Pro-Kopf-Arbeitsvolumen der Deutschen veröffentlicht werden, darf man durchaus skeptisch sein. Die Zahlen besagen oft nicht das, was behauptet wird. Schon gar nicht, dass die Deutschen für besseres Geld kürzer arbeiten dürfen. Auch dann nicht, wenn statistisch mehr Menschen das gleiche zeitliche Volumen arbeiten.

So meldet das Statistische Landesamt nun, dass das durchschnittliche Arbeitspensum der Erwerbstätigen in Sachsen im vergangenen Jahr bei 1.417 Stunden lag. Damit blieb es im Vergleich zu 2016 unverändert, so das Statistische Amt.

Und zieht dann so seine Schlüsse aus dieser Durchschnittszahl: „Gegenüber dem Jahr 2010 zeigt sich ein Rückgang der Pro-Kopf-Arbeitszeit um knapp drei Prozent bzw. 38 Stunden je Person bei einem gleichzeitigen Anstieg der Erwerbstätigenzahl um reichlich vier Prozent.

Hauptursache für das geringer gewordene Arbeitsvolumen ist der deutliche Anstieg von Teilzeitbeschäftigung. Weitere Einflussfaktoren sind z. B. der Umfang von Nebenbeschäftigung, die Zahl der Arbeitstage sowie Ausfallzeiten durch Krankheit.“

Das klingt knapp und eindeutig, ist es aber wohl eher nicht. Und ob das Arbeitsvolumen tatsächlich gesunken ist, darf eher bezweifelt werden.

Mit 2,913 Milliarden an gemeldeten Arbeitsstunden haben die Sachsen 2017 sogar über 30 Millionen Stunden mehr gearbeitet. Was stimmt, ist der „deutliche Anstieg von Teilzeitbeschäftigung“. Die Zahl der angebotenen Teilzeitstellen wächst seit 2015 stärker als die der Vollzeitstellen.

Besonders auffällig ist dabei die Rubrik „Handel, Verkehr, Gastgewerbe, Information und Kommunikation“, wo die Zahl der abgerechneten Arbeitsstunden (nichts anderes kann die Statistik erfassen) schon seit 2012 deutlich sank – um fast 25 Millionen Stunden. Erst seit 2016 steigt diese abgerechnete Stundenzahl wieder. Gleichzeitig aber sank die Zahl der Stunden pro Kopf weiter.

Die möglichen Auslöser für diese Verschiebung sind weder Information und Kommunikation noch Verkehr, sondern mit einiger Sicherheit der Handel und das Gastgewerbe, beides Branchen, die bis 2015 durch flächendeckende Niedriglohnmodelle auffielen und logischerweise am heftigsten gegen die Einführung des Mindestlohns opponierten.

Doch schon vor der Einführung des Mindestlohns 2015 verlor insbesondere das Gastgewerbe massiv an Arbeitskräften, weil sich die Fachkräfteknappheit auch hier bemerkbar machte. Viele Sächsinnen und Sachsen, die zuvor mit einem schlecht bezahlten Job im Gastgewerbe Vorlieb nehmen mussten, wechselten in andere Branchen, wo Vollzeitstellen mit besserer Bezahlung angeboten wurden.

Was die Gastbranche zumindest damit zu kompensieren versucht, dass sie inzwischen besser dotierte Teilzeitbeschäftigung anbietet. Ganz ähnlich im Einzelhandel. Was dazu führt, dass zwar mehr Menschen beschäftigt sind, aber verkürzt für einen etwas besseren Stundenlohn arbeiten.

In den anderen Teilbereichen ist so ein Effekt nämlich nicht zu beobachten. Auch nicht im Produzierenden Gewerbe, wo die Jahresarbeitszeit pro Kopf seit Jahren recht stabil ist, das Gesamtarbeitsvolumen aber sichtbar wächst. Und so ähnlich auch seit 2015 im Bereich „Öffentliche und sonstige Dienstleister,  Erziehung und Gesundheit“.

Der Staat stellt endlich wieder Personal ein, auch wenn die Jahresarbeitszeiten im tariflich gesicherten Staatsbereich schon traditionell niedriger sind als in der freien Wirtschaft. Besonders sichtbar in der Bauwirtschaft, wo mit den gestiegenen Bauauftragsvolumina auch das Arbeitsvolumen und die Pro-Kopf-Arbeitszeit deutlich anstiegen.

Im Deutschland-Vergleich arbeiten die Ostdeutschen insgesamt und die Sachsen im Speziellen sowieso länger als die Westdeutschen.

Und so stellt das Statistische Landesamt fest: „Die Pro-Kopf-Arbeitszeit in Sachsen lag 2017 um 57 Stunden über der Arbeitszeit je Erwerbstätigen in Deutschland, die 1.360 Stunden erreichte. Während in den fünf neuen Ländern die Durchschnittszeit je Erwerbstätigen 1.423 Stunden betrug, kamen die Beschäftigten in den alten Ländern (ohne Berlin) auf eine Pro-Kopf-Arbeitszeit von 1.349 Stunden.“

Am stärksten wuchs das Arbeitsvolumen in Berlin. Eine für die moderne Wirtschaft typische Entwicklung, denn die neu entstehenden, zumeist dienstleistungs- und IT-basierten Arbeitsplätze gibt es vorrangig in den Großstädten.

Deswegen ist die Debatte um die flächendeckende Ausstattung Deutschlands mit schnellem Internet völlig daneben. Entscheidend ist im ersten Schritt die volle Funktionsfähigkeit der großen und mittleren Städte, wo sich die internetbasierte Wirtschaft ballt. Hier erreicht man mit gebündelter Investition am schnellsten die größten Effekte.

Auch für das Arbeitsvolumen – siehe Berlin, aber auch Hamburg und Bremen. Und dass Sachsen so einen Zuwachs beim Arbeitsvolumen hat, liegt auch hier an den drei Großstädten, allen voran Leipzig, wo sowohl das Gastgewerbe zulegt als auch das Cluster „Information und Kommunikation“.

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