Da denkt man, jetzt gibt es einen Fördermittelbescheid, mit dem die Leipziger Verkehrsbetriebe einen schnieken neuen Elektrobus namens "eBus Skorpion" kaufen können. Und dann ist es gar keiner. Stattdessen steht einer von den schnuckeligen Hybridbussen da, mit denen die LVB schon seit zwei Jahren zum Beispiel auf der Buslinie 89 fahren. Steht am Connewitzer Kreuz. Soll das heißen: Bis hierher und nicht weiter?

Nicht ganz. Eher umgekehrt: Ab hier geht’s weiter. Ab 2015, wenn es schnell geht, ab 2016 eventuell. Dann könnte es sein, dass da, wo jetzt die Linie 9 durch die Wolfgang-Heinze-Straße Richtung Markkleeberg donnert, auch ein Bus auftaucht mit einem Stromabnehmer obendrauf. “Aber schreiben Sie bloß nicht: Die LVB fahren jetzt O-Bus”, scherzt LVB-Geschäftsführer Ronald Juhrs an diesem Freitag, 15. November. “Das hier ist noch vollkommenes Neuland. Und das Geld gibt es auch nicht, damit wir jetzt einfach fünf neue Busse kaufen und damit losfahren.”

Ein Termin zur Übergabe eines Fördermittelbescheides war es trotzdem. Sachsens Verkehrsminister Sven Morlok (FDP) war angereist, um 2,9 Millionen Euro pressewirksam zu überreichen: An gleich drei Projektpartner, denn “eBus Skorpion” ist ein Forschungs- und Pilotprojekt, bei dem die LVB mit dem Fraunhofer Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme (IVI) aus Dresden und der Westsächsischen Hochschule Zwickau (WHZ), Fakultät Kraftfahrzeugtechnik, kooperieren. Der Freistaat Sachsen fördert das Projekt im Rahmen des Schaufensters Bayern-Sachsen “Elektromobilität verbindet”.

Und Neuland ist es, weil es tatsächlich nicht darum geht, die spritgetriebenen Busse der LVB künftig durch Oberleitungs-Busse (O-Busse), wie sie auch früher mal in Leipzig fuhren, zu ersetzen. Oberleitungen spielen trotzdem eine Rolle. Denn Ziel ist es, die Leipziger Busse künftig komplett elektrisch fahren zu lassen. Deswegen spielen die Hybridbusse eine wichtige Rolle. “Sie sind eine Übergangstechnologie, mit der wir da hinkommen”, sagt Juhrs. Sie verfügen jetzt schon über Batterien, die ihnen über kürzere Strecken den kompletten elektrischen Fahrbetrieb ermöglichen. Die Batterien werden während der Fahrt mit den Dieselmotoren aufgeladen und kommen vor allem bei Touren durch die Innenstadt zum Einsatz, was dort die Luftbelastung deutlich verringert.Aber wie bekommt man ein komplettes Busliniennetz elektrisch, wenn man die Stadt nicht überall mit hässlichen Oberleitungen verschandeln will? Man braucht dazu Busse, die in der Lage sind, überall dort, wo sie unter existierenden Oberleitungen fahren, auf kürzester Fahrstrecke oder beim Halten an einem Haltepunkt die Batterien aufzuladen und damit problemlos bis zum nächsten Oberleitungs-Kontakt zu fahren. Solche Busse und die zugehörige Schnelltank-Technologie gibt es noch nicht. “Die große Frage für dieses Pilotprojekt ist also: Wie organisiert man dieses Aufladen im Fahrbetrieb?”, sagt Morlok. Und betont, dass es nicht darum geht, eine völlig neue Technologie zu entwickeln, sondern bestehende Technologien zu verbessern und nutzbar zu machen. Denn wenn das gelingt, könnte und sollte die Technologie auch zum sächsischen Exportschlager werden. Etwa in Länder, in denen es heute noch/schon O-Bus-Flotten gibt. Oder in Städte, die wie Leipzig schon ein Oberleitungsnetz für Straßenbahnen haben, das auch für O-Busse genutzt werden kann.

Nicht ohne Umbau, merkt Juhrs noch an. Denn Straßenbahnen haben einpolige Stromabnehmer. Durch ihre Räder auf den Gleisen sind sie geerdet. Busse mit ihrer Gummibereifung brauchen zweipolige Abnehmer. Aber das ganze Oberleitungsnetz kann und soll dafür nicht umgebaut werden. Eher schweben den Forschern im IVI und an der WHZ kurze Stücke im Oberleitungsnetz vor, wo die entsprechenden Leitungen montiert werden, an denen diese künftigen E-Busse ihre Batterien aufladen können.

Aber genau da fangen jetzt die Forscherfragen an, betont Frank Steinert vom Fraunhofer Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme (IVI): Wie müssen die Stromabnehmer beschaffen sein, wenn sie in solchen kurzen Kontakten genug Strom nachladen sollen? Sind die Batterien dafür geeignet? Immerhin das teuerste Stück in diesem Projekt. Wie oft brauchen die Busse Leitungskontakt? Und wie baut man die Abnehmer so, dass sie den Kontakt automatisch vornehmen, damit die Busfahrer nicht extra manuell steuern müssen? Und wieviel Strom braucht eigentlich ein Bus, wenn er zum Beispiel auf der Linie 70 in Leipzig fährt?Der erste Schritt, so Juhrs, wird also eine reine Simulation sein, mit der die drei Projektpartner herausfinden wollen, welche Parameter zu berücksichtigen sind. Ergebnis könnte 2015 sein, mit welcher Art Bus man den Pilotbetrieb startet. “Also ob wir einfach einen unserer Hybridbusse umrüsten oder ob wir ein neues Fahrzeug kaufen müssen”, sagt Juhrs. “Das können wir erst nach dieser Konfigurationsphase entscheiden.”

Klar ist nur die vorgesehene Teststrecke, eben die Linie 70 in Leipzig. “Sie zeichnet sich dadurch aus, dass der Bus immer wieder auf Teilstücke kommt, wo er Kontakt zum O-Leitungs-Netz hat.” Und dazu soll sich die Teststrecke nicht nur auf die klassische Strecke der Linie 70 zwischen Thekla und Connewitz Kreuz beschränken, der Bus soll im Zug der Linie 9 bis Markkleeberg weitergeführt werden.

Kleine Zwischenbemerkung: Auch die Linie 9 fährt nach Eröffnung des City-Tunnels und des Mitteldeutschen S-Bahn-Netzes ein Jahr weiter auf gewohnter Trasse. Quasi im Beobachtungsmodus: Noch wissen auch die LVB nicht wirklich, welche Auswirkungen das neue S-Bahn-Netz auf die Nutzung der Linie 9 hat. Perspektivisch ist die Umstellung der Linie 9 auf Busbetrieb sowieso geplant. Es kann also passieren, dass das Experiment mit dem E-Bus klappt, dann steht als Option die Nachrüstung von vier weiteren Hybridbussen im Raum – oder halt die Anschaffung neuer E-Busse. Wobei, so betont Morlok, es eben derzeit solche E-Busse noch nirgendwo zu kaufen gibt. Was auch daran liegt, dass es die Technologie dazu noch nicht gibt.

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Aber bildlich ist das mit dem Skorpion ja einprägsam: Immer dann, wenn der Bus unter eine O-Leitung kommt, fährt er seinen Abnehmer aus, es zischt, und die Batterie ist wieder aufgeladen. “Skorpion” ist freilich eine Abkürzung, sie steht für “Strom, Kraft, Oberleitung, Rekuperation, Plug-In, Innovation, Oekologisch und Nachhaltig.” Und Rekuperation heißt: Wiedergewinnen. Zum Beispiel bei Bremsvorgängen wird auch die Bremsenergie wieder in elektrische Energie umgewandelt. Nichts soll verloren gehen. Und so betont auch Frank Steinert, dass es vorrangig auch um Effizienz und Wirtschaftlichkeit geht. Mit der WHZ zusammen soll auch herausgefunden werden, mit welcher Technologie sich das Vorhaben am kostengünstigsten umsetzen lässt.

“Erst dann können wir auch entscheiden, welchen ersten Schritt wir in der Praxis umsetzen”, betont Juhrs. Denn mit einem wolle man auf jeden Fall sehr sorgsam umgehen: mit dem Fördergeld. 1,6 Millionen Euro aus dem Förderprojekt haben allein die LVB zur Verfügung, um dann möglicherweise 2015 oder 2016 auch auf der Straße zeigen zu können, dass Busse auch wieder komplett elektrisch fahren können.

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