Leipzigs Politik passiert über die Zeitung. Das geht nicht nur der Verwaltungsspitze so, auch vielen Stadträten geht es nicht anders. Aus der Zeitung erfahren sie, was gestern oder vorgestern passiert ist. Und auch, wie es die Zeitung so sieht. Etwa zur drohenden Platzknappheit in Leipzigs Gymnasien. Oder besser: in einigen Leipziger Gymnasien. Dazu hatten die Stadt und die Bildungsagentur am 28. April zu einer Informationsveranstaltung ins neue Rathaus eingeladen.

Da kochte es noch einmal so richtig hoch, was seit Jahren zu erwarten war: Gerade im Leipziger Süden sind die Gymnasien heillos überbucht. “Es gibt ab August zwar ausreichend Plätze für alle Fünftklässler, einige Schulen sind aber hemmungslos ‘überbucht'”, schrieb die LVZ dazu am 30. April. “Das betrifft besonders jene beiden in der Südvorstadt und Gohlis. Da es für Gymnasien keine Schulbezirke gibt, werden die überzähligen Schüler auf freie Plätze in der gesamten Stadt verteilt.”

Und das natürlich zuallererst in jene Gymnasien, die noch nicht überbucht sind. In einer Broschüre wirbt die Stadt deshalb für das Gustav-Hertz-Gymnasium in Paunsdorf, das Brockhaus-Gymnasium in Mockau sowie das neue Gymnasium Gorkistraße. Letzteres gibt es zwar noch nicht, der Schulkomplex soll erst 2016 fertig sein. Aber schon im Vorfeld werden die ersten Klassenstufen am Ausweichstandort Löbauer Straße eröffnet. Und zwar als Außenstelle des Brockhaus-Gymnasiums. In der LVZ gab es dann auch die entsprechenden Befürchtungen der Eltern zu lesen: “‘Ich arbeite im Schichtsystem und werde es definitiv nicht schaffen, wenn mein Kind eine dreiviertel Stunde nach Schönefeld muss’, sagte eine alleinerziehende Mutter, die in der Südvorstadt lebt”, ist da zu lesen. Ein Satz, den dann flugs Ansbert Maciejewski, Stadtrat der CDU-Fraktion Leipzig, aufgriff und eine Anfrage an die Verwaltung schrieb.

“Bei einer Infoveranstaltung von Stadtverwaltung und Bildungsagentur zu den Gymnasialstandorten in Leipzig wurde durch Eltern die schlechte Erreichbarkeit des neuen Gymnasiums Schönefeld aus Richtung Südvorstadt kritisiert”, liest er aus dem LVZ-Text heraus. “Laut Zeitungsbericht waren Sätze zu hören wie: ‘eine dreiviertel Stunde nach Schönefeld’ und ‘Zehnjährige an den Stadtrand’. Richtig ist, dass man von der Kantstraße bis zur Gorkistraße mit Umsteigen nicht unter 40 Minuten unterwegs ist”, meint er.

Sollen jetzt tatsächlich alle Gymnasiasten aus der Südvorstadt nach Schönefeld? – Nicht wirklich. Selbst der LVZ-Beitrag hatte das Thema schon sehr verkürzt dargestellt. “Fabian erläuterte Stadtratsbeschlüsse, zunächst leerstehende Gebäude wie jenes in der Gorkistraße zu sanieren und zu nutzen. Erst danach werde neu gebaut – wie nun beschlossen das neue Gymnasium in der Telemannstraße (bis 2017)”, heißt es im Text. Was schlichtweg falsch ist. Der Neubau für das Gymnasium in der Telemannstraße passiert praktisch parallel, beginnt nur ein Jahr später als das Projekt Schönefeld. Der Grund dafür: Wegen der Größe der Inverstition musste die Stadt den Bau europaweit ausschreiben. Das hat den Ausschreibungszeitraum erheblich verlängert. Ebenso parallel sollen übrigens auch die Umbauten und Erweiterungen in der ehemaligen Max-Klinger-Schule in der Karl-Heine-Straße beginnen.Was noch nicht reicht. Aber an zwei strategisch wichtigen Punkten hat ja bekanntlich die Liegenschaftspolitik der Stadt komplett versagt: am “Jahrtausendfeld” in Plagwitz und am Gelände des Bayrischen Bahnhofs. An beiden Stellen hatte die Stadt Schulneubauten vor und in beiden Fällen hat die Stadt es nicht geschafft, die notwendigen Flächen zu sichern.

Auch das ist ein Grund dafür, dass die Stadtverwaltung jetzt versuchen muss, Schüler umzulenken aus völlig überlaufenen innerstädtischen Quartieren in Standorte, die eine lange Fahrzeit notwendig machen.

“Mit der Eröffnung eines Gymnasiums und einer Informationsveranstaltung ist es nicht getan. Die Anbindung Schönefelds ans Stadtzentrum muss verbessert werden. Die LVB sind gefordert, ihr Liniennetz grundlegend zu überarbeiten”, meint nun Ansbert Maciejewski. “Der Citytunnel hat Verkehrsströme in Leipzig grundlegend verändert. Die LVB setzen jedoch bisher unbeirrt auf das Straßenbahnliniennetz von 2001 und das Busnetz von 2010.”

Da wird man bei den Leipziger Verkehrsbetrieben (LVB) natürlich staunen, dass Ansbert Maciejewski jetzt gleich mal das 2001 und 2010 radikal umgebaute Liniennetz schon wieder ändern will. Will er eigentlich nicht. Er prescht eher mit Einzelvorschlägen vor: “Als kurzfristige Maßnahme zur Verbesserung der Anbindung Schönefelds kann ich mir beispielsweise eine Verlängerung der Buslinie 77 über die Brandenburger Brücke bis zum Hauptbahnhof sowie eine Verkürzung der Taktzeiten auf der Linie 1 gut vorstellen. Im übrigen habe ich bereits vor einigen Tagen eine Stadtratsanfrage eingereicht, um die Überlegungen der Stadtverwaltung zur Verbesserung der Erreichbarkeit des Gymnasialstandortes zu erfahren. Die Antwort erwarte ich am 21.05. (Anfrage V/F 1147/14).”

Die Linie 77 ist eine von diesen seltsamen Wurmfortsatzlinien der LVB, bei denen man nicht so recht weiß, wie sie sich ins große Leipziger Netz wirklich einordnen. Die Probstheidaer kennen das Thema ja von der Linie 76. Die 77 führt vom Rosengarten über die Gorkistraße und Sellerhausen nach Stünz.

Die Straßenbahnlinie 1 fährt im 10-Minuten-Takt und braucht von der Haltestelle Löbauer Straße bis zum Hauptbahnhof 11 Minuten. Was wahrscheinlich die aufgeregte Mutter am 28. April nicht wusste. Und Ansbert Maciejewski hat auch nicht nachgeschaut. Die Linie 11, mit der man dann in die Südvorstadt fahren kann, braucht vom Hauptbahnhof bis zur Haltestelle Karl-Liebknecht-/Kurt-Eisner-Straße weitere 12 Minuten. Da ist man dann von 45 Minuten Fahrzeit noch immer weit entfernt.

Überhaupt nicht erwähnt hat Ansbert Maciejewski die Buslinie 70, die vom Connewitzer Kreuz auch nach Schönefeld fährt. Da aber jeder kleine Einkaufsmarkt unterwegs angefahren wird, braucht sie mit allen Ecken und Windungen laut Fahrplan 28 Minuten.

Richtig weit hätten es Kinder aus der Südvorstadt natürlich nach Paunsdorf. Wirklich durchdacht war der Standort des Gustav-Hertz-Gymnasiums nie. Aber man hat es ja in den 1990-er Jahren hingebaut, weil man damals glaubte, rund ums Einkaufscenter P.C. würde jetzt wie wild ein Bedarf an Gymnasialplätzen entstehen. “Integriert”, wie das modische Wort dafür heißt, war dieser Standort nie. Von der Ahornstraße in Paunsdorf bis zum Wilhelm-Leuschner-Platz fährt die Straßenbahn Linie 8 allein 24 Minuten. Am Leuschnerplatz könnten Schüler aus der Südvorstadt, die das Schicksal nun nach Paunsdorf verschlägt, aus der Linie 11 umsteigen in die Linie 8.

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