Entscheidet am Ende doch ein Rechtsgutachten, wer künftig die Stromkonzessionen für die 14 Leipziger Ortsteile bekommt, die nun neu vergeben werden müssten? Die eigentlich schon 2011 hätten vergeben werden müssen. Aber erst kam die nötige Ausschreibung der Stadt zu spät zustande. Und dann gab es am Ende nur einen hauchdünnen Unterschied zwischen dem Verfahrensersten enviaM und dem Mitbewerber Stadtwerke Leipzig.

So dünn, dass sich auch mehrere Stadträte die Wettbewerbsunterlagen genauer anschauten und feststellten, dass der Unterschied nicht wirklich von zwei qualitativ unterschiedlichen Bewerbungen berichtete. Bei einer anderen Würdigung der angebotenen Bedingungen mit Punkten hätten die Stadtwerke Leipzig ebenfalls gewinnen können.

Eigentlich ein Fall für eine politische Entscheidung. Was durchaus möglich gewesen wäre, denn es berührt ein Hoheitsgebiet der Stadt Leipzig: die Versorgungssicherheit mit Strom im ganzen Stadtgebiet. Und es berührt ein strategisches Ziel der Stadtpolitik: die 100-prozentige Versorgung der Stadt mit Strom aus erneuerbaren Energiequellen. Am besten natürlich umsetzbar über das eigene kommunale Energieunternehmen SWL.

Aber schon als OBM Burkhard Jung (SPD) dem Stadtrat vorschlug, den bisherigen Betreiber enviaM auch künftig mit den 14 Konzessionen zu betrauen, war nicht so recht klar: Agiert er nun strategisch? Oder hat er Angst vor der eigenen Courage? – Denn strategisches Handeln hätte bedeutet, das Interesse der Stadt an einer Stromversorgung über den eigenen Kommunalbetrieb in die Waagschale zu werfen. Das wäre politisch gedacht. Und alle Beteiligten wüssten, woran sie sind.

Aber das Spiel auf Zeit scheint nun anders auszugehen. Schon am Donnerstag vergangener Woche erfuhr augenscheinlich die FDP-Fraktion von einem Schreiben der Landesdirektion an die Stadt, in dem die Position untermauert wurde, der erste Wettbewerbsdurchgang sei der gültige.

“Das ist nun schon die zweite Watschen für Burkhard Jung”, stellte FDP-Fraktionsvorsitzender Reik Hesselbarth am 29. August daraufhin fest. Nach dem Bundeskartellamt sei das nun die zweite Rechtsaufsichtsbehörde, die das Procedere der Stadt rüge und eine Vergabe an enviaM – entsprechend dem ursprünglichen Ausschreibungsergebnis – fordere.

“Das Ergebnis bleibt für die unterlegenen Stadtwerke bedauerlich. Dennoch haben wir Stadträte keine andere Wahl als die Konzessionen an enviaM zu vergeben. Andernfalls bewegen wir uns außerhalb des Vergaberechtes”, sagte Hesselbarth noch, “das haben wir bereits vor zwei Jahren gesagt, wurde von Kartellamt bestätigt und nun durch die Landesdirektion noch einmal bekräftigt.”

Er sieht im langen Zögern des OBM den Versuch, die Stadtwerke in eine bessere Position zu rechnen.
“Der Versuch von Burkhard Jung, solange zu rechnen, bis das Ergebnis passt, ist gescheitert. Wir täten gut daran, nun den Populismus in der Schublade zu lassen und nüchtern zu erkennen: an enviaM führt kein rechtssicherer Weg vorbei”, betont Reik Hesselbarth die FDP-Sicht auf das Thema Konzessionsvergabe. “Jede weitere Überlegung, wie man doch noch die Stadtwerke begünstigen könnte, führt dem Wirtschaftsstandort Leipzig schweren Schaden zu. Denn so würden wir Unternehmern nur signalisieren, dass marktwirtschaftliche und wettbewerbsrechtliche Grundprinzipien bei uns nichts gelten. Ein solches Bild wäre verheerend.”

Das Problem bei der Konzessionsvergabe aber ist: Es gibt keine wirklich belastbaren europäischen Vorgaben, wenn es ins Detail geht. Es wird zwar seit Jahren darüber debattiert, die Vergabe von kommunalen Dienstleistungskonzessionen genauso streng zu regeln wie Bauvergaben – aber bislang hat sich auch die Bundesrepublik einer so strengen Regelung verweigert, denn die greift tief in die Gestaltungsspielräume der Kommunen ein. Dienstleistungsaufträge ab einer bestimmten Umsatzsumme müssten dann zwangsläufig immer europaweit ausgeschrieben werden – und der Wettbewerbssieger müsste den Zuschlag erhalten, selbst wenn er – wie in Leipzig – nur um Millimeter vom Angebot der eigenen Stadtwerke entfernt ist.

Reik Hesselbarth interpretierte das so: “Wenn am Ende eines Vergabeverfahrens eine Gewinnerin und eine knapp Geschlagene stehen, dann müssen wir das akzeptieren – genauso wie wir Mehrheiten im Stadtrat akzeptieren müssen, auch wenn sie mit nur einer Stimme zustande gekommen sind. Auf diesem Prinzip fußt das gesellschaftliche Zusammenleben in einer Demokratie. Daran sollten wir nicht rütteln.”

Das Schreiben, das augenscheinlich im Verwaltungsausschuss, wo Hesselbarth Mitglied ist, verhandelt wurde, ist freilich schon etwas älter. Was Hesselbarth zu weiterer Kritik animierte: “Das Schreiben der Landesdirektion datiert vom 31. Juli 2013. Anstatt unverzüglich die Stadträte darüber zu informieren, wird erst einmal eine externe Kanzlei mit einer Gegenstellungnahme beauftragt. So geht fast einen Monat ins Land, bis wir Stadträte von der Stellungnahme der Landesdirektion erfahren. Das halte ich für untragbar. Informationsflüsse müssen auch in Urlaubszeiten sichergestellt werden. Ich erwarte von Burkhard Jung hierzu Aufklärung im kommenden Verwaltungsausschuss.”

Die Landesdirektion, Regionalstelle Leipzig, bestätigte die Versendung des Schreibens gegenüber L-IZ. Aber, so betont Stefan Barton, der Sprecher der Landesdirektion, man habe dem OBM keineswegs nahe gelegt, enviaM den Zuschlag zu geben. “Wir haben uns lediglich noch einmal mit der wettbewerbsrechtlichen Einschätzung des Bundeskartellamtes vom Dezember letzten Jahres beschäftigt und finden bestätigt, dass das Verfahren wettbewerbsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Dem OBM haben wir lediglich vorgeschlagen, auf Grundlage des Wettbewerbs eine Entscheidung zu finden. Wie die Damen und Herren Stadträte am Ende entscheiden, wissen wir nicht.”

Dass die Einschätzung des Bundeskartellamtes auch anders zu interpretieren sein könnte als mit einem Zuschlag für enviaM, hat schon im Dezember die Linksfraktion etwas genauer erläutert. Seit Mai liegt der Ball nun im Feld des Vergabeausschusses, der einen Vorschlag für den Stadtrat formulieren darf, der am 18. September tagt. Seit Dienstag ist zumindest die Vorlage im System.

Am Montag machte dann der Vorstandsvorsitzende der Mitteldeutschen Energie AG, Carl-Ernst Giesting, schon mal Druck via LVZ und nahm dabei eine ähnliche Haltung ein wie die FDP: “Zum Gewinnen reicht ein Punkt Vorsprung.”

Wenn das dann keine deutliche Ansage an die Leipziger Stadträte ist: “Ich gehe davon aus, dass die Stadt ein Interesse daran hat, dieses Verfahren rechtssicher zu Ende zu bringen.”

Was ja wohl im Umkehrschluss heißt: Wenn die Stadträte ihre eigenen Stadtwerke beauftragen, zieht enviaM vor Gericht. Mit der ganzen Power des Energiekonzerns RWE im Rücken, der hinter enviaM steht. Und die Summe steht ja auch da, um die es geht: 50 Millionen Euro Umsatz in den nächsten 20 Jahren.

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