Am 3. August erschreckte ja bekanntlich ein Artikel in der LVZ die Leser: „Wasserwerke leiten ungeklärte Abwässer in Leipzigs Flüsse“. Ein Angler, der gern gleich hinterm Klärwerk Rosental in der Weißen Elster angelt, hatte die Redaktion aufgescheucht. Zwei Tage später fand es dann auch die Pressestelle der Leipziger Wasserwerke angebracht, das Thema noch einmal im eigenen Blog aufzugreifen.

Dass das Thema so einschlug, hat natürlich auch damit zu tun, dass weder Stadt noch Wasserwerke darüber gern geredet hätten. Man erzählt lieber, wie gut das Klärwerk im Rosental arbeitet. Und so lebte bislang auch die Vorstellung, sämtliche Leipziger Abwässer würden auch durchs Klärwerk fließen.

Dass es dabei Probleme gab, wurde nur am Rande erwähnt – meist dann, wenn wieder ein Stück technische Steuerung im Abwassersystem fertig wurde. Etwa eins der neuen Steuerungsbauwerke, die bei Starkregen in Aktion treten und die Wassermassen unterirdisch so steuern, dass sie nicht alle gleichzeitig ins Klärwerk Rosental strömen, sondern in teilweise großen unterirdischen Rückhaltebauwerken so lange aufgestaut werden, bis sich der Abfluss wieder normalisiert.

Aber das reicht nicht. Gerade bei starken Regenereignissen kommt in kurzer Zeit so viel Wasser vom Himmel, dass das komplette Abwassersystem bald bis zum Rand vollläuft. Und dann eigentlich überlaufen würde, wenn es nicht irgendwo ein paar Überlaufventile gebe. Darum geht es bei dem Thema.

Leipzigs Kanalnetz verfügt deshalb auch über Not-Auslässe bei Starkregen, teilt Katja Gläß im Wasserwerke-Blog mit. Insbesondere im Fall starker Niederschläge sei es wichtig, an geeigneten Punkten „Öffnungen“ im System vorzuhalten, durch die das Wasser entweichen kann.

Im knapp 3.000 Kilometer langen Kanalsystem unter Leipzigs Straßen gibt es etwa 90 dieser Mischwasser-Auslässe. Sie liegen an Gräben oder Fließgewässern. Laufen drinnen die Kanäle voll, gehen die Klappen auf und ein durch grobe Filter etwas gereinigtes Wassergemisch läuft in den Fluss oder Graben.

Klärwerk im Rosental. Foto: Kommunale Wasserwerke Leipzig
Klärwerk im Rosental. Foto: Kommunale Wasserwerke Leipzig

Eine Kanalisation ist nur für bestimmte Abwassermengen berechnet. Das schließt die Ableitung normaler Regenmengen mit ein, betont Gläß.

„Für Wassermassen, wie sie in kürzester Zeit bei einem extremen Regen anfallen, ist keine Kanalisation weltweit ausgelegt – dafür müsste man riesige Kanäle in der Erde verbauen, was wirtschaftlich und für den Betrieb nicht sinnvoll ist“, zitiert sie Mathias Wiemann, der mit seinen Mitarbeitern bei den Leipziger Wasserwerken die Trink- und Abwassernetze betreut.

Bei Starkregen füllen sich die Kapazitäten in der Kanalisation rasend schnell. Um Einleitungen im Fall von Starkregen zu minimieren, haben die Leipziger Wasserwerke in den vergangenen Jahren bereits zusätzlichen Stauraum in der Kanalisation geschaffen. In einem riesigen Stauraumkanal an der B2 kann so beispielsweise Regenwasser zwischengespeichert werden. Sobald wieder Behandlungskapazität im Klärwerk vorhanden ist, wird das Mischwasser kontrolliert abgeleitet. Auch die in der Kanalisation verbauten Steuerbauwerke halten Mischwasser bei Bedarf zurück. Das können bis zu 40.000 Kubikmeter sein – das entspricht etwa 330.000 Badewannen voll Wasser.

„In den letzten 25 Jahren ist bereits extrem viel geschehen. Wir werden in den nächsten Jahren weiter Stauraum schaffen und so Einleitungen weiter reduzieren. Ganz ohne Not-Auslässe werden wir bei Starkregen aber sicher nie auskommen“, betont Wiemann. Sind eigens angelegte Rückhaltebecken und Staukanäle ausgereizt, fließt das – durch das Regenwasser stark verdünnte – Mischwasser über die Einleitstellen aus dem System.

„Würde es diese Not-Auslässe bei Starkregen nicht geben, würde sich das Wasser seinen Weg suchen – in die Klärwerke oder zurück auf die Straßen und in die Grundstücke und Keller“, betont Wiemann. Entlastungen seien damit ein aktiver und auch von der Stadt genehmigter Schutz der Bürger.

Aber diese Notentlastung, wenn binnen kurzer Zeit zu viel Wasser auf einmal da ist, schützt auch das Klärwerk im Rosental, wo in der biologischen Reinigungsstufe Mikroorganismen an der Reinigung des Abwassers arbeiten.

„Würde im Fall von Starkregen das verdünnte Mischwasser ungebremst ins Klärwerk strömen, würde sich mit einem Schlag die Konzentration in unseren Becken verändern und die Bakterien und damit die Reinigungsleistung völlig aus dem Gleichgewicht bringen. Von möglichen Schäden an unserer Technik durch eine mögliche Flutwelle ganz zu schweigen“, erläutert Daniel Jentzsch, Leiter von Leipzigs größtem Klärwerk im Rosental, was im Klärwerk bei zu viel Wasserdurchfluss passieren würde. „Der Neu-Aufbau der Biomasse würde Wochen oder Monate dauern. An einen Normalbetrieb des Klärwerks wäre nicht zu denken“, sagt Jentzsch.

Aber es ist eben nicht nur verdünntes Mischwasser, das bei Starkregen direkt in die Flüsse läuft. Es ist auch allerhand Zeug darin, das einfach nicht ins Abwasser gehört.

„Leider landen viele Dinge an den Flussrändern, die gar nicht in die Toilette gehören – Hygieneartikel, Kondome oder Feuchttücher haben nichts in der Toilette zu suchen“, sagt Kanalexperte Sven Lietzmann. Das sorgt übrigens auch im Kanal für Schwierigkeiten. „Diese Stoffe verklumpen zu großen Zöpfen und legen dann die Pumpen im Kanalsystem lahm. Ein riesiger Reparaturaufwand für uns – und eigentlich leicht zu vermeiden durch die Bürger.“

Weshalb dann nach jedem Starkregen Mitarbeiter der Wasserwerke oder des Amtes für Stadtgrün und Gewässer das Umfeld der Not-Auslässe von diesen „Überbleibseln“ befreien müssen.

Unterirdisch wird Leipzigs ältester Abwassersammler von Hand für die nächsten 100 Jahre fit gemacht

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Hygieneartikel, Kondome und Feuchttücher sind nur die sichtbaren Verschmutzungen, die durch Klärwerke und ihre Überläufe in die Fließgewässer gelangen! Denkt man ernsthaft, die (vielfach mit Arzneimitteln belasteten) Fäkalien wären unbedenklich? Ich weise mal auf antibiotikaresistente Bakterien hin, die Wissenschaftler auch schon in Flüssen und Seen gefunden haben. Oder auf überdüngte Gewässer, in denen sich Blaualgen vermehren. Oder auf die Ostsee, die ökologisch fast schon am kollabieren ist. Oder darauf, dass die Fließgewässer dermaßen eutrophiert sind, dass zahlreiche Arten aussterben. Zudem sind Fließgewässer wichtig für das Grundwasser. Bitte mal beim nächsten Wasser trinken oder Backfisch essen dran denken, wohl bekomm’s!

Es wäre vielleicht mal zielführend, Systeme grundlegend zu überdenken, wenn sie seit Jahrzehnten offenkundig nicht funktionieren.

PS: das ist übrigens europaweit ein Problem! Also nicht, dass nun jemand denkt, wenn man die Ostsee meidet, könnte man das Problem umgehen – nein, auch im Mittelmeer schwimmt so manch Würstchen umher und richtet Schaden an!

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