In Sachen Malerei war es Frankreich, wo vor 180 Jahren die Post abging. Während Deutschland gerade in Nazarenertum und romantischer Landschaftsmalerei abtauchte, malten die Franzosen die Weltgeschichte auf die Leinwand. Und ein Leipziger kaufte, was er nur immer bekommen konnte: der Seidenhändler Adolph Heinrich Schletter. Er war es, der den im Grunde zerstörten Napoleon nach Leipzig holte.

Und dieser Napoleon – “Napoleon I. in Fontainebleau nach Empfang der Nachricht vom Einzug der Verbündeten in Paris am 31. März 1814”, gemalt 1845 von Paul Delaroche, wird natürlich der Star in der Ausstellung, die das Museum der bildenden Künste im Oktober den beiden berühmten Malern Eugene Delacroix und Paul Delaroche widmet.

Ist es mal wieder Zeit, in die Historie abzutauchen? – Aber ja, findet Dr. Jan Nicolaisen, der die Ausstellung, die am 10. Oktober eröffnet wird, kuratiert.

Auch wenn erst einmal alles wie trockene Kunstgeschichte klingt: “Eugene Delacroix (1798-1863) und Paul Delaroche (1797-1856) zählen zu den bedeutendsten Historienmalern des 19. Jahrhunderts in Frankreich, die seit etwa 1820 mit ihren Historiengemälden im Pariser Salon Aufsehen erregten. Obgleich Delaroche heute nahezu in Vergessenheit geraten ist und Delacroix als der modernere der beiden gilt, wurde Delaroche von den Zeitgenossen für seinen erstaunlichen Realismus in der Wiedergabe historischer Ereignisse weitaus mehr gefeiert.”

Delaroche war zu Lebzeiten der Berühmtere, galt als der Aufregendere, weil er etwas tat, was bis dahin in der Malerie so nicht üblich war. Auch nicht in der Historienmalerei: Er setzte französische, englische, antike Geschichte in großformatige Bilder um, war sehr detailgenau. Aber er zelebrierte die historischen Gestalten nicht mehr als überirdische, unnahbare Geschöpfe, sondern zeigte sie in ihrer Schwäche, ihrer Menschlichkeit. Der “Napoleon”, den Schletter seinerzeit für seine Sammlung französischer Malerei erwarb, ist typisch dafür. Auch wenn es nicht der einzige Napoleon ist, den Delaroche malte.

Heute ist er trotzdem fast vergessen, gilt nicht – wie Delacroix – als einer der Vorläufer der französischen Moderne. Dazu malte er zu detailgenau, zu klassisch. Nur einer merkte schon damals, das Delaroche und Delacroix zusammengehören. Gerade weil sie für zwei unterschiedliche Wege in der Malerei stehen. Oder der Kunst überhaupt. Oder sollte man sagen: für das Verhältnis des Bürgers zur Politik? Immerhin gehören sie beide in die Zeit der französischen Revolutionen von 1830 und 1848. Wer Revolutionen macht, versucht sich immer irgendwie in der Weltgeschichte zu verorten. Heine spricht von der “Heiligkeit des Sujets”. Aber damit meinte er nicht Delaroche, sondern Delacroix, dessen “La Liberté guidant le peuple” (Die Freiheit führt das Volk an) 1830 die Pariser in helle Aufregung versetzte.

Heine wusste es, dass heilige Sujets auch immer mit den romantischsten Aufwallungen der Menschen zu tun haben. In historischen Momenten werden sie geradezu euphorisch. Zumindest im Nachhinein, wenn sie die Bilder sehen.

Delaroches Napoleon schon einmal mit weißer Weste (das Bildbearbeitungsprogramm macht's möglich). Foto: Museum der bildenden Künste Leipzig
Foto: Museum der bildenden Künste Leipzig

Viele Fotos, die heute als Ikonen der Friedlichen Revolution dargeboten werden, atmen genau diese herzergreifende Andächtigkeit. Und hätte es einer gemalt – aber Tübke hat sich das ja bekanntlich verkniffen – könnte auch heute so ein kleiner Leipziger Piefke davor stehen und fragen: “Aber wo ist denn die Polizei, Papa? Warum dürfen die Leute alle auf der Straße laufen?” – “Du siehst doch, dass sie friedlich sind und Kerzen tragen.” – “Und die Feuerwehr, Papa?” – Sie haben doch nichts angesteckt, mein Junge. Sie waren ganz friedlich.” – “So wie ich, wenn ich was ausgefressen habe und das nicht verraten will?” – “Genau so, mein Junge.”

Aber irgendwie lebt Leipzig ja seit 1989 im Zeitalter der zelebrierten Revolutionen. Und mitten in einem Land, das genauso wie das Deutschland des Vormärz in biedermeierlicher Andacht ersoffen scheint. So ungefähr muss es auch Schletter ergangen sein, der 1813 (als 20-Jähriger) im Banner der freiwilligen Sachsen gegen Napoleon gekämpft hatte, der dadurch aber nicht zum Franzosenfresser wurde, sondern hernach, als er die französische Seidenhandlung seines Vaters übernommen hatte, beträchtliche Gewinne machte im sächsisch-französischen Handel. Und vom gewonnen Geld kaufte er eine der bedeutendsten Sammlungen französischer Kunst in Deutschland zusammen, die er 1853 samt seinem Wohnhaus und Geld für ein richtiges Kunstmuseum der Stadt Leipzig vermachte.

Seine Sammlung französischer Gegenwartskunst wird in der Doppelausstellung im Oktober ebenfalls gezeigt. Auch weil sie ein Kernbestand des 1858 mit Schletters Geld gegründeten Leipziger Bildermuseums war, die das Museum kurzzeitig zur bedeutendsten französischen Kunstausstellung in Deutschland machte.

Nicht für lange. Denn das Bürgertum, das in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts den Leipziger Kunstverein dominierte, war ein anderes als das in der ersten Hälfte: wesentlich konservativer als die Vorgängergeneration. Was nicht nur in der Kunst, der Literatur oder der Politik spürbar wurde, auch in der Musik. Nur für die Kunst war es geradezu tragisch, denn die neuen führenden Köpfe im Kunstverein konnten mit der ganzen französischen/europäischen Moderne nichts anfangen. Und damit vergaben sie die Chance, an Schletters Weg anzuknüpfen. Noch 80 Jahre später sollte sich Max Schwimmer bitter beklagen über dieses bornierte Bürgertum, das die Ankaufgelder des Museums zum Ankauf banaler dritt- und viertklassiger Kunstwerke verbriet und was die moderne Kunstentwicklung betraf, riesige Löcher im Bestand aufklaffen ließ.

Schletter selbst hatte – zum Beispiel den Napoleon von Fontainebleau – noch direkt beim Künstler gekauft. Er gehörte (wie der zeitgleich wirkende Maximilian Speck von Sternburg – zu einer Sammlergeneration, die die Offenheit für technische Entwicklungen mit der Offenheit für aktuelle Kunstströmungen verband. Schletter unterstützte die Bemühungen des 1837 gegründeten Leipziger Kunstvereins bei der Errichtung eines städtischen Kunstmuseums. 1853 vermachte er 89 Gemälde und 8 Skulpturen sowie sein Wohnhaus der Stadt Leipzig unter der Bedingung, dass innerhalb von fünf Jahren ein Museumsbau für ein Städtisches Museum errichtet werden solle. Im Dezember 1858 wurde es ja auch eröffnet am Augustusplatz.

Und wenn jetzt Delaroche und Delacroix in Leipzig zusammen gezeigt werden, darf man sich auch die durchaus unterschiedliche Auffassung von Romantik in Deutschland und Frankreich dazu denken. Denn zu den französischen Malern dieser Zeit und den aufregenden Ausstellungen im Pariser Salon (die Heinrich Heine besprach) gehört eben auch die große französische Literatur der Romantik, die das Historische genauso grandios erzählte: Dumas, Hugo, Balzac.

Und auch Frankreich hat mit den beiden Malern heute einiges wiederzuentdecken. Als Nicolaisen beim Louvre anfragte, war man dort augenscheinlich regelrecht begeistert über die Leipziger Pläne und wird die Ausstellung im Oktober auch reich bestücken mit Bildern aus der eigenen Sammlung.

Denn im Grunde ist das so seit der von Heine beschriebenen Salon-Zeit auch dort nicht wieder passiert: Erstmals sollen nun in einer Ausstellung diese beiden Künstler gegenübergestellt werden.

“Die Darstellung von Geschichte in der Zeit zwischen 1820 und 1850 war wesentlich durch die Erfahrung großer gesellschaftlicher Umbrüche in kurzer Folge geprägt (Französische Revolution 1789, Aufstieg und Fall Napoleons, die Restauration, die Revolutionen von 1830 und 1848)”, versucht das Museum der bildenden Künste die Epoche in Worte zu fassen. “Unter dem Einfluss der romantischen Strömung in der Literatur und der sich konstituierenden Geschichtswissenschaft stellten beide Maler die emotionale Wirkung von Geschichte in den Mittelpunkt. Mit rund 40 Gemälden, 60 Zeichnungen sowie 60 Grafiken bietet die Ausstellung eine neuartige Perspektive auf die französische Malerei der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.”

Eugène Delacroix "Studie für den Tod des Sardanapal. Foto: Musée de Louvre, Paris
Eugène Delacroix “Studie für den Tod des Sardanapal. Foto: Musée de Louvre, Paris

Und sie zeigt, wie viele Ikonen der modernen Geschichtsbetrachtung hier ihre Wurzeln haben. Auch im mal lauten und mal leisen Dialog der beiden Maler. Delacroix regte zwar 1830 das Volk von Paris auf, aber nicht die Kunstwelt. Das kam im Grunde erst nach seinem Tod, als auch die jüngeren Malergenerationen die Lust daran entdeckten, den alten, klassischen Formenkanon der Malerei aufzubrechen. Eine Zeit, die so langsam aus den Fugen gerät, braucht auch malerische Formen, die das zeigen.

Und während Nicolaisen sich schon auf die Sendungen aus Paris freut, sind die Restauratoren des Leipziger Museums emsig bei der Arbeit, den Napoleon aufzupolieren. Man wird ihn im Oktober so sehen, wie ihn Delaroche gemalt hat: mit weißer Weste. Das Gelb, das auch auf den üblichen Reproduktionen zu sehen ist, ist nur vergilbter Firnis. Im Zuge der Ausstellungsvorbereitung wird das Bild von 1845 gründlich restauriert.

Und da man sich da mit einer Kunstepoche beschäftigt, mit der sich auch die Kunstwissenschaft lange nicht beschäftigt hat, gibt es auch spannende Forschungskooperationen.

Die Ausstellung wird großzügig von zahlreichen Museen in Frankreich, Deutschland, Holland, England und Dänemark unterstützt. Als exzeptionelle Leihgeber und Kooperationspartner sind das Musée du Louvre in Paris und die Kunsthalle Bremen hervorzuheben, betont die Museumsleitung. Die Ausstellung entsteht aber auch in Kooperation mit dem Kunstgeschichtlichen Institut der Universität Leipzig.

Und zur Ausstellung erscheint ein umfangreicher Katalog einschließlich eines Gesamtverzeichnisses der gesamten Kunstsammlung Adolph Heinrich Schletters. Die Ausstellung, der Katalog und die wissenschaftliche sowie konservatorische Aufarbeitung der Schletter-Sammlung werden von der Kulturstiftung der Länder, der Ostdeutschen Sparkassenstiftung gemeinsam mit der Sparkasse Leipzig, der Ernst von Siemens Kunststiftung und der Hermann Reemtsma-Stiftung unterstützt.

Nur der Kunstliebhaber muss sich noch gedulden: Die Ausstellung “Geschichte als Sensation. Eugène Delacroix / Paul Delaroche” wird im Museum der bildenden Künste vom 10. Oktober 2015 bis zum 17. Januar 2016 gezeigt.

 

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar