Der letzte Quartalsbericht für das Jahr 2016 enthält auch wieder den Vergleich der 15 größten deutschen Städte. Das ist die Liste, in der Leipzig noch vor 15 Jahren praktisch am Schluss lag, sozusagen gerade noch auf einem Abstiegsplatz in der Bundesliga. Aber seitdem wächst sich Leipzig regelrecht hinauf ins Mittelfeld.

2005 hatte die Stadt ganz offiziell endlich wieder die 500.000er Marke überschritten: 502.651. Das hatte damals schon gereicht, um Städte wie Duisburg und Nürnberg zu überholen. Wenn man die heutigen Wachstumszahlen kennt, war das ja wirklich noch kein hohes Tempo, das Leipzig da vorlegte: 1.876 Gestorbene mehr als Neugeborene, nur beim Zuzug ein Plus von 5.353. Das deutete schon etwas an, hatte aber noch nichts mit dem Wanderungsplus von 15.347 im Jahr 2015 zu tun – und auch noch nicht mit dem Geburtenplus von 462.

2016 war übrigens das dritte Jahr hintereinander, in dem Leipzig ein Geburtenplus mit 868 hatte. Es werden derzeit kontinuierlich mehr Kinder geboren als ältere Leipziger sterben.

2015 hatte Leipzig übrigens zwei weitere Großstädte hinter sich gelassen, die bei so einem Bevölkerungszuwachs einfach nicht mithalten können: Hannover und Bremen. Womit Leipzig erstmals auf Rang 10 unter den 15 größten Städten vorrückte.

Und da im Januar 2017 die 580.000-Einwohner-Marke geknackt wurde, ist schon absehbar, dass im Jahr 2017 die nächsten Mitbewerber überholt werden. Denn vor Leipzig rangieren jetzt Essen mit 582.624 Einwohnern und Dortmund mit 586.181. Bis zur Liga der 600.000er-Städte ist es noch ein Stück weit hin – aber 2020 könnte Leipzig dort angekommen sein.

Wobei freilich die Frage offen ist, ob Leipzig auch wirtschaftlich langsam in diese Regionen kommt. Denn mit einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 18,4 Milliarden Euro im Jahr 2015 lag Leipzig zusammen mit Dresden und Duisburg am Ende der Liste. Städte wie Essen oder Bremen kommen auf 25 bzw. 26 Milliarden Euro und haben bekanntlich trotzdem mit sozialen Extra-Kosten zu kämpfen. Wirklich tragfähig werden die Wirtschaftsleistungen erst, wenn man in die Regionen Frankfurts (56 Milliarden) oder Stuttgarts (48 Milliarden) kommt.

Wovon sächsische Städte ja nur träumen können. Es fehlen schlicht die Stammsitze großer Unternehmen. Was auch die Einkommen der Leipziger drückt. 16.542 Euro Haushaltseinkommen je Einwohner – das liegt sogar deutlich unter den 20.000 Euro in Essen oder Bremen. Was übrigens eine nicht ganz unwichtige Frage betrifft: Leipzig schafft zwar jede Menge Arbeitsplätze. Wenn es aber um den Wettbewerb um hochqualifizierte Fachkräfte geht, hat die Stadt schlechtere Karten. Und gerade der Wettbewerb um Hochqualifizierte wird sich in Deutschland verstärken.

Wirklichen Rückhalt vom Land hat Leipzig ja dabei nicht. Der Freistaat hat seinen desolaten Weg der prekären Beschäftigung noch lange nicht verlassen und wird bei der Sicherung von Lehrern, Polizisten, Richtern, Hochschulpersonal jetzt erst langsam munter. Viel zu langsam. Denn allein schon das Debakel bei der Lehrersuche zeigt: Die anderen Bundesländer haben eben nicht gepennt und die Bedingungen für Lehrer deutlich verbessert.

Manchmal hat man das Gefühl, die sächsische Staatsregierung sitzt in einer Höhle im Erzgebirge und reagiert nur mit einem bärigen Knurren, wenn sie jemand in ihrer Waldesruhe stören möchte.

Ein anderer Folgeeffekt der über ein Jahrzehnt gepflegten Niedriglohnpolitik in Sachsen ist natürlich die nach wie vor extrem hohe Armutsgefährdungsquote in Leipzig von 25 Prozent. Nur Duisburg und Dortmund kommen mittlerweile drüber. Aber das hilft Leipzig nicht, denn diese Quote ist stabil hoch und liegt mittlerweile mehr als drei Mal so hoch wie die offizielle Arbeitslosenquote. Was schlicht mit einem nach wie vor breiten Besatz an prekären und niedrig entlohnten Arbeitsplätzen in Leipzig zu tun hat. Man hat – mit Rückenwind von „Hartz IV“ – ganze Lohnsegmente in den prekären Bereich verschoben, die Leiharbeit massiv ausgebaut. Und das Ergebnis ist eben nicht nur, dass tausende Leipziger nach wie vor arm sind trotz Arbeit, sondern auch wirtschaftliche Schwierigkeiten haben, tragfähige Familien zu gründen.

Man freut sich zwar tierisch über die steigende Zahl von Geburten – aber dass sich über 20.000 Leipzigerinnen und Leipziger ihren Kinderwunsch nur als Alleinerziehende erfüllen konnten, hat mit der einerseits prekären Situation der Betroffenen zu tun, andererseits mit einer hochmobilen Arbeitswelt, die auf die komplexen Bedürfnisse junger Familien so gut wie keine Rücksicht nimmt.

Leipzig redet gern von Familienfreundlichkeit. Aber die jüngste Anfrage der Grünen im Sächsischen Landtag hat gezeigt, dass die Barrieren für Alleinerziehende, zu einem einträglichen Vollerwerbseinkommen zu kommen, nach wie vor hoch sind und die Familienpolitik des Bundes an den Bedürfnissen der jungen Familien fast völlig vorbeigeht.

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