Bettina Kudla ist seit 2009 Mitglied im Bundestag. Als Direktkandidatin vertritt sie den Wahlkreis 152, also den Norden von Leipzig. Vor ihrer Wahl war sie Bürgermeisterin und Beigeordnete für Finanzen der Stadt Leipzig. In Berlin ist sie im Finanz- und Haushaltsausschuss tätig. Zudem ist sie Mitglied im Unterausschuss zu Fragen der Europäischen Union sowie Kommunales. Die gebürtige Münchnerin ist Diplom-Kauffrau. Im Interview geht es um Familie und Religion, Flüchtlinge und Asyl sowie Wirtschaft und TTIP.

Wirtschaft in Leipzig

Ich wollte nochmal speziell auf Leipzig zurückkommen. Sie haben auf Ihrer Homepage geschrieben, dass Sie die Probleme der Stadt Leipzig kennen. Deshalb die Frage: Wo sehen Sie Problemfelder in Leipzig und wie trägt Ihr Handeln in Berlin zur Lösung von Problemen in Leipzig bei?

Da geht es um die grundsätzliche Frage der wirtschaftlichen Stärke. Wir sind in der Wirtschaftskraft trotz wunderbarer Infrastruktur, die wir in Leipzig haben, noch nicht so stark wie im Süden Deutschlands. Wir liegen bei 70 Prozent des Bundesdurchschnittes. Wir brauchen gute Rahmenbedingungen für eine Stabilisierung der Leipziger Betriebe, damit sie sich weiter entwickeln können und die Wirtschaftskraft weiter wachsen kann.

Dazu gehört die Leipziger Messe als bedeutender Messestandort in Mitteleuropa und einer der ältesten Messen der Welt, die im Übrigen auch ihr 850-jähriges Jubiläum feiert. Ein weiterer wichtiger Eckpfeiler ist der Leipziger Flughafen. Dieser ist im Hinblick auf den Luftfrachtverkehr, hinter Frankfurt am Main, ein bedeutender Umschlageplatz für Leipzig, deren wirtschaftliche Entwicklung und Wettbewerbsfähigkeit es zu stärken gilt. Auch die Nachtflugerlaubnis gehört dazu.

Das Thema ist in der Bevölkerung nicht unbedingt beliebt.

Hier ecke ich immer an, wenn ich mich dafür ausspreche, aber wir brauchen einen starken Frachtflughafen, damit sich auch andere Wirtschaftszweige, die hier angesiedelt sind, weiter gut entwickeln können. Auch die Autoindustrie, im besonderen die Elektromobilität, spielt hier ebenfalls eine große Rolle zur Verbesserung der Wirtschaftskraft. Darunter zählt auch die bereits gut wachsende Logistikbranche in Leipzig. Mit DHL, Amazon, BMW und Porsche weist sie hervorragende Referenzen auf, damit wir weiter dessen Entwicklung vorantreiben können.

Ich sehe hier, dass Politik und Wirtschaft eng zusammenarbeiten sollten, damit wir für die Unternehmen gute Rahmenbedingungen schaffen können. Dazu müssen bestmögliche Entscheidungen in der Energiepolitik und der Steuerpolitik getroffen werden. Zum Beispiel bei der Novellierung der Erbschaftssteuer, im besonderen hier die steuerliche Begünstigung bei der Unternehmensnachfolge. Aber auch die Bereitstellung von Mitteln für den Ausbau einer guten Infrastruktur und deren Verkehrswege ist von wichtiger Bedeutung, damit wir Leipzig als attraktiven Standort weiter vermarkten und verbessern können.

Da gibt es ja in Berlin einen Flughafen, der nicht fertig werden will, so dass Leipzig automatisch in den Blick kommt.

Die Kapazität haben wir. Hier habe ich in Berlin immer wieder darauf hingewiesen. Und es gab auch schon klare Signale des Bundesverkehrsministers, dass er sich das vorstellen könnte.

TTIP

Was sehen Sie als Vor- und Nachteile des geplanten Abkommens und wie ist der augenblickliche Stand?

Das TTIP-Abkommen wird zwischen der Europäischen Kommission und den USA verhandelt. Es verhandelt also nicht die Bundesregierung. Wir haben hier die Chance, dass wir einen größeren Binnenmarkt EU und USA haben. Die USA ist einer der größten Volkswirtschaften der Welt. Wir dürfen nicht unterschätzen, die USA haben ein wesentlich höheres BSP pro Kopf als wir. Ich halte es auch für wichtig, dass eine enge Bindung an Amerika weiter stattfindet. Aber unter der Prämisse, dass wir die Nachbarschaft mit Russland bzw. mit dem östlichen Europa nicht vernachlässigen. Auch die weltpolitische Lage entwickelt sich teilweise immer unsicherer. Wir haben mehr Konfliktherde und kriegerische Auseinandersetzungen.

Wir alle wissen, dass gerade im Lebensmittelbereich Europa besonders auf gesunde Ernährung achtet. Hier ist gerade für unsere Lebensmittelbranche TTIP eine Chance, gesunde Produkte in die USA zu exportieren. Hier sind riesige Märkte vorhanden. Ich könnte mir auch vorstellen, dass diese Produkte gut angenommen werden. Ebenso in der Automobilindustrie, chemischen Industrie, im Dienstleistungssektor und anderen Bereichen sehe ich große Chancen, dass das Freihandelsabkommen für mehr Wirtschaftskraft und Wirtschaftswachstum sorgt.

Kritiker befürchten, dass europäische Standards aufgeweicht werden.

Wir müssen natürlich darauf achten, dass bewährte Standards eingehalten werden. Also das berühmte „Chlorhühnchen“, das in Deutschland nicht erlaubt ist, darf natürlich nicht zugelassen werden. Hier muss man genau hinschauen, damit diese Standards erhalten bleiben.

Es gibt ja auch die Sorge, dass kleinere und mittlere Unternehmen – etwa hier in Leipzig – nicht davon profitieren, sondern untergehen, wenn sie in Konkurrenz zu amerikanischen Firmen treten.

Hier entscheidet auch immer der Verbraucher. Es ist ja leider heute schon so, dass die Verbraucher lieber mit dem PKW zur großen Kaufhalle fahren und etwas günstiger einkaufen als zum Familienbetrieb nebenan, der vielleicht etwas teurer ist, aber gute und hochwertige Produkte anbietet und gegebenenfalls einen persönlich berät und bedient. Ich sehe aber nicht, dass durch dieses Handelsabkommen die kleineren und mittleren Betriebe gelähmt werden.

Ich sehe vielmehr, dass die deutschen mittelständischen Hersteller für ihre Produkte wie zum Beispiel Brotwaren, Süßigkeiten, Milchprodukte oder andere Erzeugnisse einen besseren Zugang zum US-Markt erhalten. Denn „Made in Germany“ Produkte sind in den USA doch beliebt.

Die CDU hofft also stärker auf die Eigeninitiative der Leute. Man öffnet den Markt, vertraut aber darauf, dass die Leute selbst dort einkaufen, wo die regionalen Produkte sind.

Genau, das sollte den Bürgern immer wieder nahe gelegt werden, um Arbeitsplätze in den regionalen Betrieben zu stärken und zu unterstützen.

Also ein Plädoyer dafür, dass die Bevölkerung selbst darauf achtet, dass die kleinen und mittleren Betriebe ihre Chancen haben und die Politik sich da raushält. …

Was auch kritisiert wird, ist der Investorenschutz. Konzerne können Staaten auf Milliarden verklagen, wenn ihre Gewinnerwartung eingeschränkt ist. Diese Klagen werden dann an den normalen Gerichten vorbei verhandelt.

Beim Investorenschutz geht es in erster Linie darum, dass das Eigentum im fremden Land geschützt wird, aber nicht die Renditeerwartungen. Ich sehe das nicht als Problem an. Wir haben seit Jahrzehnten internationalen Handel. Wir haben auch einen Binnenmarkt in der EU, der doch sehr gut funktioniert. Wir haben einen einheitlichen Arbeitsmarkt. Insofern sehe ich nicht das Problem durch die Erweiterung.

Würden Sie also sagen, es gibt gar keinen Grund, sich wegen TTIP Sorgen zu machen?

Nein, man muss schon genau hinschauen. Ich habe auch zum Beispiel kritisch gesehen, dass wir als Bundestag keine offizielle Informationsdrucksache über TTIP bekommen haben. Da bin ich gerade noch dran. Natürlich ist es so, dass der Bundestag da nichts zu entscheiden hat, sondern über die Annahme entscheidet das Europäische Parlament, weil die Europäische Kommission verhandelt. Sicherlich wünsche ich mir hier schon noch etwas mehr Transparenz und Information.

Das ist ja insgesamt wohl ein Problem des Bundestages, dass er viele Entscheidung nicht mehr treffen kann, weil viele Entscheidungen auf Europäischer Ebene fallen.

Deswegen sollten wir sorgfältig darauf achten, ob wir bei der Weiterentwicklung der Europäischen Union nicht zu weit gehen, sondern wir sollten eher die Vorschläge der britischen Regierung genau prüfen. Die britische Regierung will ja manches mehr auf die nationale Ebene heben und die Rechte der nationalen Parlamente stärken. Ich halte es für wichtig, dass Großbritannien weiterhin in der Europäischen Union bleibt. Ein Austritt Großbritanniens könnte zu größeren Verwerfungen führen als ein Grexit.

Es gibt jetzt konservative Regierungen in Großbritannien, Dänemark und Polen. Das sind für mich alles Zeichen, dass man zwar die europäische Integration vorantreibt, aber die Entscheidungen dort belässt, wo sie hingehören. Vieles muss eben auch national entschieden werden, damit wir als Deutscher Bundestag die Interessen unserer Bürger vertreten können. Wenn wir nicht mehr Einfluss nehmen können auf bestimmte Entscheidungen, dann ist das nicht im Interesse unserer Bürger. Deswegen finde ich TTIP ein gutes Beispiel, wo man sehr genau hinschauen müsste, ob die Nationalstaaten nicht in vielen Bereichen auch entmachtet werden ohne dass es einen wirklichen europäischen Mehrwert gibt.

Sie sehen also das Problem, dass vieles in den TTIP Verhandlungen intransparent bleibt und Sie als Bundestagsabgeordnete nicht so im Einzelnen informiert sind, was gerade Verhandlungsstand ist?

Da gebe ich Ihnen Recht. Da wünschte ich mir noch mehr Information an den Bundestag. Wir haben zwar natürlich auch Informationen über unsere Fraktion, aber insgesamt könnte die Information hier noch etwas besser werden. Es gibt da zwar auch ein entsprechendes Portal auf EU Ebene, aber es ist nochmal ein grundlegender Unterschied, ob wir als Abgeordnete eine offizielle Information der Bundesregierung bekommen.

Vielen Dank für das Gespräch!

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Keine Kommentare bisher

Es hat doch Gründe, warum die TTIP-Dokumente so geheim sind!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!

Früher haben wir mal im Scherz gesagt: “Meine Arbeit ist so geheim, ich weiß selber nicht mehr, was ich tue”!

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