Wer mag, darf sich ja ärgern, wenn am heutigen Sonntag, 26. März, auf dem Nikolaikirchof wieder um 14 Uhr eine Kundgebung der Bürgerinitiative „Pulse of Europe“ stattfindet. Ärgern über die Arroganz von Journalisten-Kollegen, die sich wie Oberlehrer benehmen und so einen überheblichen Unfug schreiben wie Maria Christoph und Martin Pfaffenzeller am 25. März auf „Spiegel Online“.

„Pulse of Europe“ ist gerade erst einige Wochen alt. Die Bewegung hat sich gegründet, weil es endlich auch öffentliche Zeichen für ein gemeinsames Europa braucht, wo nun sämtliche Medien seit Monaten voller Geschichten über populistische Parteien sind, die Europa verlassen und abschaffen wollen. Die Bewegung ist jung. Sie hat keine Parteistrukturen hinter sich, nur einen Haufen Engagierte, die es wichtig finden, sich wieder für ein gemeinsames europäisches Projekt einzusetzen.

Von dem sie erst einmal nur vage Konturen haben. Es ist ja nicht so, dass sich die Bürger der EU mit der Funktionsweise, den Aufgabenverteilungen und dem Meinungsbildungsprozess in der EU täglich beschäftigen. Und es ist auch nicht so, dass die Oberlehrer-Medien ihnen jeden Tag auf die Nase binden, was da vor sich geht und wie.

Denn eines haben ja die sogenannten „Europakritiker“ geschafft: Ein erstes Bewusstsein dafür zu schaffen, dass im bürokratischen Moloch EU etwas schiefläuft. Etwas, was nicht nur in allen Mitgliedsstaaten für Unbehagen sorgt, sondern auch für das diffuse Gefühl, dass ausgerechnet die Europäer auf ihre EU überhaupt keinen Einfluss haben. Man darf zwar alle fünf Jahre das Europaparlament wählen – aber die meisten Bürger kriegen nicht mal mit, wen sie am Ende mit ihrer Stimme tatsächlich in dieses Parlament gewählt haben, in welcher Fraktion der sitzt und wer eigentlich für welche politischen Entscheidungen verantwortlich ist.

Was die Bürger mitkriegen, ist natürlich die unheimliche Macht der Kommission, die eben nicht von den Bürgern beschickt wird, sondern von den Regierungen, die nur allzu oft abgehalfterte Politiker, die man im Inland nicht mehr haben möchte, auf lukrative Kommissarsposten entsenden – und gerade diese Kommissare haben mit ihren Gesetzes- und Vertragsinitiativen die eigentliche Gestaltungsmacht. Sie baldowern – oft mit den Sendboten der großen Konzerne am Tisch – all jene Gesetze und Vorschriften aus, die dann meistens nach kaum wahrgenommener Diskussion im Parlament Gesetzeskraft erlangen und die Europäer mit etwas konfrontieren, was viele nur noch als Bevormundung oder gar Entmündigung erleben.

Und das vor einer Tapete, die eigentlich nur grau ist. Man kann nicht wahrnehmen, dass diese EU-Kommission irgendwelche Arbeitsziele hat, die mit den Bürgern abgestimmt sind und transparent erarbeitet werden.

Den Mumm haben die diversen Kommissare gar nicht, obwohl gerade die EU eine Institution wäre, die ihre eigene Zukunft mit wissenschaftlicher Unterfütterung gestalten könnte, so, wie man das eigentlich im 21. Jahrhundert erwarten darf.

Die Fragestellungen liegen alle auf der Hand.

  1. Wie kann man ein gut ausbalanciertes soziales Sicherungssystem für alle Europäer schaffen?
  2. Wie kann man den Ausstieg aus den fossilen Energieformen europaweit gemeinsam organisieren?
  3. Wie schafft man eine europäische nachhaltige Landwirtschaft und kann die Ressourcenplünderung der „dritten“ Welt beenden?

Um mal nur drei Vorschläge zu machen.

Wer nachschaut, sieht, dass sich damit kein Kommissar beschäftigt. Die eigentlichen europäischen Themen sind alle ausgeblendet und es gibt auch keine europäische Instanz, die bemüht ist, das geballte Wissen und Können der Europäer für solche Fragen einzusetzen.

Stattdessen bastelt die zuständige Kommissarin an immer neuen „Freihandelsverträgen“, in denen auch gleich mal wichtige europäische Standards zum Freiverkauf angeboten werden. Die Entfremdung ist riesengroß. Und der Wunsch, jemand würde schon ein fertiges Programm haben, mit dem das alles – quasi auf trumpsche Art – schnell mal geändert wird, ist groß. Aber fehl am Platz.

Denn genau so liest sich der Artikel von Maria Christoph und Martin Pfaffenzeller. „Bislang vermeidet es ‚Pulse of Europe‘, sich auf konkrete Anliegen festzulegen. Auf ihrer Internetseite findet sich ein vages Zehn-Punkte-Programm“, behaupten sie. Was nicht stimmt. Denn in den Punkten haben die Akteure von „Pulse of Europa“ erst einmal festgeschrieben, worum es überhaupt geht. Die Behauptung der beiden Autoren, „Pulse of Europe“ würde etwas vermeiden, ist schlicht eine Unterstellung. Oder unerfüllte Sehnsucht der Beiden, irgendjemand würde jetzt endlich liefern, was honorige Staatsmänner seit 60 Jahren nicht geliefert haben.

Das Problem aber ist ein anderes: Bislang hat niemand etwas anderes gefordert.

Die einschlägig Beschäftigten sind sogar glücklich mit der bürokratisierten EU, weil sie das Deckmäntelchen für eine emsige Lobby-Tätigkeit ist, die das Konstrukt EU vor allem zu einem Instrumentarium der großen Konzerne und der Regierungen macht. Diese sitzen am Tisch und regeln Europa vor allem über Handelsregeln und Handelsverträge. Es geht immer nur um Geld, nicht um Politik oder gar ethische Inhalte. Die schwimmen irgendwie als Speck drumherum, aber sie bestimmen nicht die politischen Entscheidungen der EU.

Aber ein politischer Akteur, der keine ethischen Ziele hat, ist nicht existent. Der macht keine spürbare Außenpolitik, der versagt sogar schon in der europäischen Innenpolitik.

Genau das ist es doch, was die Mitstreiter von „Pulse of Europe“ wissen und spüren: Hinter der bürokratischen Maske ist Leere. Da freut man sich ja schon, dass überhaupt noch ein lebendiger Mensch dahinter hervorspringt und sogar in der deutschen Politik wie ein Apoll wirkt – unser geliebter Martin Schulz.

Es verblüfft schon, wie lebendig der wirkt in einer großen politischen Landschaft, in der die wichtigsten Ämter allesamt von sauren Bürokraten besetzt sind, denen man keine Vision und kein menschliches Projekt zutraut. Nur lauter undurchsichtige Verwaltungsakte.

Und was wollen die Leute von „Pulse of Europe“ nun?

Eigentlich genau den Schritt, den die Gnädigen von „Spiegel Online“ gleich wieder überspringen wollen. So gehen viele Redakteure übrigens auch mit Martin Schulz um. Sie wollen gleich die fix und fertige Lösung haben, Zensuren verteilen und die Sache abhaken. Sie halten es nicht aus, wenn Dinge noch nicht fertig sind. Sie haben keine Geduld. Bei Kindern nennt man das ADHS. Und verpasst Ritalin, was auch nicht die Lösung ist. Die Lösung steht in den zehn Punkten von „Pulse of Europe“.

Quasi als kleine Anfang-Anleitung:

  1. „Wir müssen aber lauter werden, um uns Gehör zu verschaffen und mit unseren Überzeugungen durchzudringen. Wir wollen die schweigende Mehrheit aufrütteln.“
  2. „Die europäische Idee muss wieder verständlicher und bürgernäher werden. Sie muss von unten nach oben getragen werden. Europa soll wieder Freude bereiten. Wer austritt, kann nicht mitgestalten.“
  3. „Die Europäische Union ist kein Selbstzweck. Ihre Aufgabe ist, Lösungen für die Themen zu finden, die für die Bürger tatsächlich wichtig sind. Es muss eine Fokussierung auf die wesentlichen Herausforderungen unserer Zeit stattfinden. Bedenken gegen die Europäische Union müssen gehört und an deren Ursachen muss gearbeitet werden, so dass Ängste in Zuversicht gewandelt werden können.“
  4. „Alle, die sich auf die europäische Grundidee einlassen, können sich einbringen. Der europäische Pulsschlag muss wieder spürbar werden.“

Das habe ich einfach aus den zehn Punkten zum Selbstverständnis von „Pulse of Europe“ extrahiert. Wir sind es, die unsere Erwartungen an die EU formulieren müssen und dafür sorgen müssen, dass auch die Leute dafür gewählt werden. Wir sind es, die unsere Parteien in die Pflicht nehmen müssen. Schwierig genug. Aber wer immer nur alles vorgesetzt bekommen will (Konsummentalität), der bekommt immer nur Fastfood und eine saftige Rechnung.

Heißt auch: Wir müssen unsere Parteien, die im demokratischen Spektrum, in die Pflicht nehmen. Wir sind es, die sich einmischen und Druck machen müssen.

Demokratie ist ein mühsames Geschäft. Aber so langsam sollte es sich herumgesprochen haben, dass die Nationalisten das schon lange begriffen haben und mit allen Registern daran arbeiten, die europäische Idee zurückzudrehen, den Kontinent wieder in einen Haufen zerstrittener Nationalstaaten zu verwandeln. Die wissen, wie es geht.

Haben die ein Programm?

Das wäre ein Witz. Denn alle diese Anti-Euopäer sind genauso nackt wie die Brexit-Strategen in England oder der überforderte Herr Trump. Im Fordern und Poltern sind sie groß. Aber sie haben nie auch nur einen Gedanken daran verschwendet, wie die Sache gedeichselt werden soll, wie das funktionieren soll. Sie glauben tatsächlich, eine laute Klappe und ein paar windige Versprechungen reichen.

Aber zum Europa-Projekt sollte auch gehören, dass man die Folgen allen Tuns mitbedenkt. Das macht vorsichtig, keine Frage. Aber das zwingt auch dazu, die Dinge nachhaltig zu denken – nämlich für die Kinder und Enkel gleich mit.

Und vielleicht auch noch für all die Länder mit, denen ringsum das Wasser bis zum Hals steht. Denn wenn die ihre Probleme nicht gelöst bekommen, dann werden das ziemlich schnell auch unsere Probleme. Das zwingt zu einem kooperativen Denken.

Und die schöne Frage steht: Wie implementiert man das in der EU so, dass diverse Regierungen es nicht wieder in ihrem Sinne kaputtfummeln können?

Natürlich läuft das auf eine eigene EU-Regierung hinaus, eine, die wir selbst wählen und deren Mitglieder sich mit persönlichen Programmen zur Wahl stellen müssen. Das könnte einige Kandidaten dazu zwingen, endlich  auch einen echten und transparenten Wahlkampf zu machen, in dem sie ihren potenziellen Wählern erklären, was sie wie machen wollen. Muss ja derzeit keiner. Der Oberhansel wird von den großen Koalitionen ausgekaspert, ohne dass klar ist, wofür er eigentlich steht.

Sie sehen: Wenn man erst mal anfängt, über das alles nachzudenken, gibt es Diskussionsstoff. Material für mehrere Programme, die man dann, wenn sie fertig sind, alle beim „Spiegel“ zur Begutachtung abgeben kann. Wahrscheinlich werden die dann wieder mäkeln und sagen, dass ihnen das nicht genügt.

Aber drauf gepfiffen.

Wenn keiner anfängt, dann passiert auch nichts. Ist das die Absicht solcher bräsigen „Spiegel“-Artikel?

Manchmal hat man so ein Gefühl.

Was kündigt „Pulse of Europe“ für den heutigen Sonntag an?

„Das Thema wird diesmal ‚Polen‘ sein. Wir werden u. a. auch die Sängerin Carolina Trybala hören. Außerdem freuen wir uns, dass am kommenden Wochenende bereits in 50 deutschen Städten und außerdem in 8 weiteren europäischen Ländern Kundgebungen von ‚Pulse of Europe‘ stattfinden.“

Alle Beträge zum Europa-Projekt.

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