Es gibt Sackgassen, aus denen kommt man nicht heraus. So eine Sackgasse ist die Vermarktung des öffentlichen Raums. Die hat die Stadt Leipzig schon gleich zu Anfang der 1990er Jahre privatisiert in der Hoffnung, damit auch Geld zu erlösen. Da ist kaum Platz für andere Botschaften. Das Kulturdezernat lehnt den Antrag des Jugendparlaments zu mehr Kunst im öffentlichen Raum jetzt erst einmal ab. Am 5. Juni dürfen die Jugendparlamentarier sich mit der Ablehnung beschäftigen.

Tatsächlich hat sich die Stadt Leipzig ein kleines Kontingent an Werbezeit vertraglich ausbedungen, in der dann mal nicht die üblichen Werbebotschaften zu Autos, Würstchen und Zuckergetränken zu sehen sind, sondern Veranstaltungswerbung für Leipziger Kultureinrichtungen.

„Das Freikontingent an Werbeflächen der Stadt Leipzig ist zur Bewerbung herausragender Kulturveranstaltungen vorgesehen. Als herausragend gelten touristisch relevante (Groß)Ereignisse wie Festivals, Feste oder Premieren“, formuliert das Kulturdezernat die Absicht dahinter.

„Die Flächen werden stets zum Zeitpunkt ihres tatsächlichen Ereignisses geschaltet, um so den in der Stadt weilenden Touristen und Touristinnen sowie der Leipziger Bevölkerung eine ‚kulturelle Orientierungshilfe‘ zu bieten und sie auf aktuelle Kulturveranstaltung(en, d.Red), aufmerksam zu machen. Die Vergabe der kostenfreien Werbeflächen der Firma WallDecaux obliegt dem Dezernat Kultur. Sie erfolgt einmal jährlich. Dabei werden ca. 90 Kulturbetriebe via Mail um die Zuarbeit ihrer zu bewerbenden Veranstaltungen im Folgejahr gebeten. Hierbei handelt es sich um die kulturellen Regie- und Eigenbetriebe der Stadt Leipzig sowie um Kultureinrichtungen, die eine Projekt- oder institutionelle Förderung der Stadt Leipzig erhalten. Hinzu kommen die Bedarfe an Werbeflächen durch die Stadt selbst, die zahlreiche städtische Festivitäten sowie Themen- und Jubiläumsveranstaltungen aufmerksamkeitsfördernd in Szene setzen möchte. WallDecaux übernimmt die finale Abnahme der Motive anhand von firmeneigenen Richtlinien.“

Was nicht verhindert, dass etliche dieser Werbeaktionen höchst kryptisch ausfallen, manchmal auch einfach untergehen, weil die Genialität der Gestaltung die Botschaft absaufen lässt. Dass diese Werbung durch besondere künstlerische Gestaltung besondere Aufmerksamkeit erzeugt, kann man oft genug eigentlich nicht sagen.

Aber die Leipziger Kultureinrichtungen nutzen sie gern, so das Kulturdezernat: „Die Flächen sind für die Kultureinrichtungen kostenfrei nutzbar, die Herstellungskosten für die Erstellung das Werbemotivs sowie die Druckkosten der Plakate trägt jeder Kulturbetrieb selbst. Eine Doppelförderung in Form von Druckkostenzuschüssen ist qua Fachförderrichtlinie nicht möglich. Das Anliegen des Kulturdezernates ist es, möglichst viele Bedarfe zu berücksichtigen und die Werbeflächen sinnvoll, fair und wirksam zu vergeben. Da die Platzierungsanfragen das Kontingent jedoch bei weitem überschreiten, ist es nicht möglich, alle Veranstaltungen wie gewünscht zu platzieren und mit kostenfreien Werbeflächen zu unterstützen.“

Früher waren die Kultureinrichtungen auf diese riesige Displaywerbung gar nicht so erpicht. Da dienten nämlich noch die Leipziger Litfaßsäulen zur Plakatierung und wer sich an die Litfaßsäule stellte, bekam ein sehr umfassendes Bild vom Leipziger Kulturangebot – von aktuellen Ausstellungen über Theater- und Musikhäuser bis hin zu den Kinos. Der Informationsgehalt war höher. Ob die großen Werbedisplays die Aufgabe auch nur ansatzweise so gut erfüllen, darf man zumindest fragen. Wer informiert sich über diese Werbedisplays über das, was gerade los ist in der Stadt?

Untersucht hat das noch niemand. Und damit auch nicht, ob die Leipziger da nicht lieber ab und zu schöne Kunst sehen wollten.

„Eine Nutzung der Werbeflächen für die Präsentation von Arbeiten der bildenden Kunst, ist aus Verwaltungssicht nicht zweckdienlich: Zum einen weicht eine solche Nutzung vom genuinen Zweck der Eigen- und Kulturwerbung ab. Überdies reicht das ohnehin begrenzte Kontingent nicht aus, um die Bedarfe der Kultureinrichtungen zu decken. Weiter sind die Werbeflächenanlagen als solche erkennbar und visuell etabliert. Eine Platzierung von künstlerischen Arbeiten wäre demnach keine visuelle Intervention, vielmehr besteht die Gefahr, dass Kunst als Werbung missverstanden wird“, vermutet das Kulturdezernat. „WallDecaux warnt zudem vor einer Zunahme von Vandalismus und Sachbeschädigung an ihren Anlagen, wenn diese zweckentfremdet genutzt werden. Zudem verwies die Firma auf ihr Recht, die Platzierung von Motiven zu verweigern.“

Was das Dezernat unter „visuell etabliert“ versteht, hat es nicht extra erläutert. Heißt das: Die Werbesäulen gucken sich mittlerweile weg? Oder: Die Leipziger haben sich so dran gewöhnt, dass sie sich nicht mehr drüber aufregen? Auch dann nicht, wenn die Dinger mitten auf dem Fußweg stehen?

Es klingt eher nach: Alle haben sich eingerichtet mit dieser Besetzung des öffentlichen Raumes. Außer die Leipziger, die auf sexistische oder diskriminierende Werbung noch immer allergisch reagieren. Auch mit Petitionen und Einwohneranfragen, die bei Leipzigs Verwaltung in der Regel auf versammeltes Unverständnis stoßen.

Das Kulturdezernat: „Aufgrund der genannten Punkte wird der Antrag des Jugendparlamentes abgelehnt.“

Aber ganz schiebt man den Vorschlag nicht vom Tisch. Vielleicht gibt es ja doch andere Möglichkeiten, Kunst im öffentlichen Raum zu zeigen: „Derzeit wird die ‚Strategie und Richtlinie Kunst am Bau und Kunst im öffentlichen Raum‘ erarbeitet. Diese sieht unter anderem die Entwicklung von partizipativen Formaten und das Erstellen einer Übersicht von möglichen Standorten, auch für temporäre Projekte Kunst im öffentlichen Raum, vor.“

Warum sehen die Leipziger lauter dumme Werbung im Straßenbild, aber keine Kunst?

Warum sehen die Leipziger lauter dumme Werbung im Straßenbild, aber keine Kunst?

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