Es wagnert allerorten. Leipzig wird zur "Pilgerstätte der Wagnerianer". Meint zumindest das neue Heft "Leipzig näher dran". Gerade ausgeliefert. Noch mit der Rekordmeldung 2,45 Millionen. An solchen Zahlen merkt man, dass so ein Heft ein Weilchen braucht von der Endabnahme bis zur Auslieferung. Am 21. Februar gab das Landesamt für Statistik die neuen Tourismuszahlen für Sachsen heraus. Am 1. März fasste der LTM das für Leipzig in Zahlen: 2,48 Millionen.

Mit insgesamt über 1,34 Millionen Ankünften und 2,48 Millionen Übernachtungen hat Leipzig die Ergebnisse des Rekordjahres 2011 im vergangenen Jahr noch einmal deutlich übertroffen. Dies entspricht Zuwächsen in Höhe von 10,6 bzw. 13,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Damit liegt Leipzig im Ranking der deutschen Großstädte im Jahr 2012 an erster Stelle vor Hamburg (10,2 bzw. 11,6 Prozent) und Berlin (10 bzw. 11,4 Prozent).

Kann man sagen. Muss man nicht. Denn wenn Hamburg und Berlin in solchen Dimensionen zulegen, dann fahren dort ganz andere Bus- und Zugladungen vor.

Es ist so schwer, einfach mal ein, zwei Gänge zurückzuschalten und noch einmal festzuhalten: Leipzig ist spät gestartet und baut seine Touristenzahlen im Windschatten von Dresden erst nach und nach auf. Auf ein Niveau, das dieser Stadt entspricht. In Aufholjagden verzeichnet man in der Regel große Zuwachsraten. Und es sind nicht immer die Aktivitäten der Tourismusmacher, die diese Prozesse verstärken.

“Natürlich müssen wir immer wieder neue Besuchsanlässe kreieren”, lässt sich LTM-Geschäftsführer Volker Bremer im neuen “Näher dran Leipzig” zitieren.

Ist das wirklich so?

Es darf gezweifelt werden. Auch wenn die Events, die in Leipzig organisiert werden, sicher ein Teilchen dazu beitragen. Aber wie stark ausgeprägt ist eigentlich der Event-Tourismus in Deutschland und Europa?

Das statistische Landesamt verweist zum Beispiel auf diesen Effekt: “Nahezu jeder neunte Gast in einer sächsischen Beherbergungseinrichtung hatte seinen ständigen Wohnsitz im Ausland. Deren Anteil ist im Jahr 2012 gestiegen, weil die Zuwachsrate bei den ausländischen Besucherzahlen mit 8,6 Prozent fast doppelt so hoch war wie die der Gäste aus Deutschland (4,6 Prozent). Die meisten ausländischen Besucher kamen aus den Niederlanden (mehr als 72 000). Auf Platz zwei folgte die Schweiz mit 64.000 Gästen, das waren 17,7 Prozent mehr als im Jahr 2011.”

Länder, die übrigens in der Leipziger Besucherstatistik auch auftauchen. Hier folgt die Liste der Länder, aus denen die ausländischen Leipziger Gäste kamen.

Ausnahme natürlich die USA mit 48.520 Übernachtungen – der Rückgang um 13 Prozent verrät recht deutlich, wie eng diese Zahl mit den Militärflügen in die Kriegsgebiete Irak und Afghanistan zusammenhängt, die über den Airport Leipzig / Halle führen.

Aber wirklich wegen Leipzig kamen die hier:

Großbritannien: 36.257 Übernachtungen (+29,0 %)
Schweiz: 29.724 Übernachtungen (+25,8 %)
Niederlande: 29.368 Übernachtungen (+8,5 %)
Österreich: 28.093 Übernachtungen (+24,4 %)
Italien: 19.548 Übernachtungen (+20,9 %)Und was heißt das? Kamen die wegen “800 Jahre Thomana” oder wegen des Gondwanalandes?

Oder trifft Volker Bremers zweiter Analyse-Ansatz zu, der da lautet: “Es ist uns gelungen, auf einem immer stärker umkämpften Reisemarkt das Profil Leipzigs als weltoffene Kultur- und Messestadt noch deutlicher herauszustellen und neue Zielgruppen zu erreichen.”

Zielgruppen nicht im Sinne von Gondwana-Freunden oder Thomaner-Anhängern oder gar Wagnerianern. Sondern – das Wort fällt fast beiläufig: Individualtouristen. Das sind Leute, die fahren nicht in Urlaub mit Pauschalangebot, sondern die gehen auf Entdeckungstour. Die besuchen Orte, die sie interessant finden. Und sie fahren dann, wann sie Zeit dafür finden. Viele von ihnen machen mindestens drei solcher Touren im Jahr, wie eine Befragung jüngst zeigte.

Und die Monatszahlen zeigen, dass sie sich nicht die Bohne an irgendwelche “Events” oder Festivals ketten. Die Festivals in Leipzig haben ihre Anhänger. Das Wave Gotik Treffen genauso wie das Bachfest. Doch schon beim Gondwanaland ist es egal, wann man kommt – der Dschungel hat immer geöffnet. Bei Yadegar Asisi ist es übrigens auch egal. Auch wenn bei ihm der Mount Everest im wildem Wechsel mit dem Amazonas-Regenwald rotiert. Und was die Befragung auch zeigte: Die meisten Besucher kommen wegen der Stadt, der schön sanierten kompakten Innenstadt vor allem.

Das ist etwas Nachhaltiges, etwas, was sich einen Ruf gewinnt da draußen. Die Festivals tragen dazu nur wenig bei. Der gute Ruf bei Busreiseveranstaltern schon viel mehr.

Kann man natürlich fragen: Kommen die Leute 2013 wegen Wagner oder gar wegen des Völkerschlachtjubiläums? – Aufs Denkmal klettern sie sowieso. Das ist ein Muss bei Leipzig-Besuchern. Kommt irgendjemand, weil das neue Heft “Leipzig näher dran” mit “Im Bann Richard Wagners” titelt oder kleine Mädchen unter der Wagner-Büste Ringelreihen tanzen?

Und was hat das Heft noch mit Tourismus zu tun? Wollte jemand die Leute 2013 wegen Wagner nach Leipzig locken, hätte der Text vor einem Jahr erscheinen müssen. Den “Marktplatz Internet” haben die diversen Wirtschaftsmagazine aus Leipzig schon gründlicher bearbeitet – da gehört so ein Thema auch hin. Genauso wie die PR-Geschichte übers Falco. Als wenn es nicht schon genug PR-Magazine in Leipzig gäbe.

Was jetzt erstaunlicherweise fehlt, ist ein wirklich gutes Tourismus-Magazin.

Aber da müsste man dann wieder definieren, für wen man so ein Heft macht – für Reiseveranstalter, Reisejournalisten oder die Touristen selbst? Zielgruppe könnte man das dann nennen. Und es könnte sich herausstellen, dass man sie mit dem seit 2012 nun neu gemachten Magazin völlig verfehlt.

Aber zum Glück gibt’s ja das Internet. Da kann man sich, wenn einen diese Perle an der Pleiße touristisch reizt, tatsächlich informieren.

Hier nämlich: www.leipzig.travel

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