Vielleicht haben Sie es schon bemerkt, dass die L-IZ - anders als die meisten Online-Nachrichten-Portale keinen Platz und keine Minute darauf verschwendet, sich über den Badeschaum des vergangenen Fernsehabends auszulassen, über schwachsinnige Talkshow, zähe Tatorte und irgendwelche Bundespräsidenten. Es gibt wahrlich schönere Zeitvertreibe. Selbst Geometrie ist spannender.

Ist vielleicht etwas schwer nachvollziehbar, wenn man davon schon in Schulzeiten frustriert war und eigentlich froh ist, nach Feierabend sein armes Köpfchen nicht mehr benutzen zu müssen. Aber was ist eigentlich Feierabend? Der Abend vor der Glotze, wo man sich seit Jahren nur noch anstrengen muss, seinen Geist so auf Sparflamme zu dimmen, dass man noch versteht, worüber die Schönen und Berühmten pausenlos palavern? Schon dafür braucht man doch eine ganze Packung Kopfschmerztabletten.

Und es bringt ja nichts außer Frustration. Und das nagende Gefühl, wirklich schöne Lebenszeit mit Dummköpfen verbracht zu haben. Dabei gibt es ja Alternativen. Vom Gemeinsamkochen mit Freunden bis zum Knobeln. Übrigens von Alzheimer-Therapeuten bestens empfohlen. Denn auch mit den grauen Zellen ist es ja so: Sie stellen ihre Arbeit ein, wenn man sie nicht trainiert. Ältere Menschen werden meistens eben nicht weiser, sondern nur flacher. Eindimensionaler. Was es übrigens jungen Menschen oft so schwer macht, mit ihnen zu kommunizieren. Es begegnen sich keine Generationen oder Welten – es begegnen sich Menschen, die noch voller Neugier und Fragen stecken – und solche, die gar nicht mehr begreifen, worum es eigentlich geht.Klar, bei manchen tritt der Effekt schon viel früher ein. Die landen schon mit der Pubertät im verkalkten “Ist mir zu hoch”-Stadium. Es gibt auch die älteren Mitmenschen, die bis 80, 90, 100 fit im Kopf bleiben. Unter anderem eben, weil sie ihn benutzen. Und die Lust nicht verloren haben, Probleme zu lösen.

Vielleicht, weil sie gute Mathe-Lehrer hatten. Die ihre Schüler nicht auf irgendwelche oberflächlichen Testate hin getrimmt haben, sondern die den Funken Problem-Freude in ihren Schützlingen wecken wollten. Man lernt ja nicht, um irgendeinem arroganten Personaler später lauter Einser auf dem Zeugnis zeigen zu können oder durch besondere Anpassungsbereitschaft zu glänzen. Man lernt, weil die graue Masse da unter der Schädeldecke zu Erstaunlichem fähig ist, wenn sie trainiert ist. Und Geometrie ist – das wissen die guten Lehrer – ein exzellentes Training für Logik, Vorstellungsvermögen, komplexes Denken.

Nur: Das Meiste hat man natürlich vergessen. Im täglichen Leben spielt es keine Rolle. Da muss niemand Winkel berechnen, Sinus und Cosinus bestimmen, Ähnlichkeiten nachweisen oder Parallelverschiebungen vornehmen, sich mit Winkel- und Seitenhalbierenden beschäftigen oder wissen, warum der Sinus eigentlich Bogen heißt – aber keiner ist. Und was Pythagoras, Thales und Euklid angestellt haben, will nicht einmal der Berufsberater wissen. Weil er’s in der Regel selbst nicht weiß.

Ist es wichtig? – Wer Wissen und Denkfertigkeiten nach dem ausrichtet, was zur Erfüllung der täglichen Aufgaben gebraucht wird, was also in platter Weise “nützlich” ist, der braucht das alles nicht. Der braucht eigentlich fast nichts von dem, was in Schulen und Hochschulen vermittelt wird. Auch wenn die dort Angestellten etwas anderes sagen. Weil sie meist selbst vergessen haben, was eigentlich das Wichtige ist, was Schule vermitteln kann. Die ganzen Gesetze, Formeln, Datensätze? – Für die Katz. Das ist Ballast. Ballast, der mittlerweile die Lehrpläne so verstopft, dass für das Eigentliche keine Zeit mehr bleibt. Ballast, den auch Aushilfslehrer irgendwie verkaufen können, so, wie es derzeit in Sachsen versucht wird, weil der zuständige Kultusminister in Mathematik wohl auch immer geschlafen hat.

So hat auch er das Wichtigste nie verstanden: Dass gute Lehrer Trainer sind, die ihren Schützlingen die Lust und die Fähigkeit am Lösen von Problemen vermitteln.

Was übrigens auch den Lebens-Frust-Faktor senkt. Wer Probleme als Herausforderung betrachtet, bei denen das eigene Gehirn gleich zu knistern beginnt, weil endlich mal was Spannendes geschieht, der lässt sich nicht so leicht einschüchtern, entmutigen, deprimieren. Der rennt auch nicht in die Apotheke und holt sich Aufputschmittel oder Antidepressiva, der knallt sich auch nicht die “Birne” zu, weil ihn das Tohuwabohu da oben im Stübchen verstört, ängstigt oder gar in Panik versetzt.Der macht das, was er zum Beispiel in der siebenten und achten Klasse in Geometrie gelernt hat: Er schafft sich ein Bild für das Problem, konstruiert die nötigen Konstellationen und ermittelt zeichnerisch oder rechnerisch die möglichen Lösungen. Manchmal gibt es ja mehrere. Manchmal gibt es mehrere Schnittpunkte zwischen Geraden, Ebenen oder Körpern. Manchmal entfalten sich die Lösungen in bestechender Schönheit. Manchmal ist man verblüfft, wie sich die Logik unserer Welt selbst in den Projektionen von Dreiecken, Vielecken, Linien und Schnittflächen spiegelt.

Das Verblüffende an der Geometrie ist ja oft, dass sie so abstrakt zu sein scheint – aber ihre Gesetzmäßigkeiten gelten für unsere Welt genauso stringent wie die der Physik. Ohne Geometrie gäbe es keine Vermessung der Welt, keine ästhetisch anmutenden Konstruktionen. Jeder gebildete Stadtführer weiß vom Goldenen Schnitt zu erzählen. Jeder kluge Architekt weiß, wie er mit geometrischen Proportionen arbeiten muss, damit die Leute später nicht mit gesträubten Haaren an seinem Bauwerk vorbeilaufen.

Was der Mathematiker Günther Graumann hier zusammengetragen hat, ist tatsächlich noch einmal das Grundwissen über Geometrie, auf dem alles andere aufbaut. Und wer nach vielen Jahren jenseits seines Schul-Mathematikunterrichts hier blättert, wird staunen darüber, wie viel tatsächlich schon in der Schule allein im Fach Geometrie vermittelt wird. Und in welchen tief verkramten Schubladen das alles mittlerweile steckt, weil man weder die Anwendungen nutzt noch die Begriffe dazu. Wer begegnet denn in seinem täglichen Leben axialen Streckungen oder Komplementwinkeln? – Natürlich jeder. Doch bewusst wird es fast keinem. Für die Konstruktion der Welt sind ja andere zuständig. Ingenieure zum Beispiel. Im Laden kauft man dann, was sie konstruiert haben. Und findet’s manchmal faszinierend.

Aber warum nur?

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Grundbegriffe der
Elementaren Geometrie

Günter Graumann, Edition am Gutenbergplatz Leipzig 2012, 14,50 Euro

Manche Antworten stecken schon in der grundlegenden Geometrie. Graumann kommt in seinem Grundkurs bis zur Trigonometrie. Und wer sich in Ruhe durchliest durch das Buch, ist dann auch wieder leidlich auf dem Stand, auf dem er vielleicht zum Abschluss der Schule war. Natürlich nur, wenn er sich beim Wiederbesinnen nicht vom Geplapper des Volks-Bespaßungs-Apparates ablenken lässt. Wer die Kiste noch nicht entsorgt hat: Der Tausch ist eigentlich so dumm nicht. Weg mit der Röhre und dafür so ein Büchlein angeschafft. Und das Beste, was dabei passieren kann, ist: Man bekommt Lust auf mehr. Und bekanntlich hat EAGLE auch entsprechende Knobelbücher von versierten Mathematikern und Geometrie-Assen im Programm.

Das hier ist der alte, gute Schlüssel dazu. Übrigens auch gut geeignet für die Schule (falls der Lehrer nicht so gut ist im Erklären) und fürs Studium (falls die Geometrie ja doch wieder unverhofft auftaucht, weil man eigentlich gern Brücken bauen möchte oder schöne Turnhallen).

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