Mit der Herausgabe von Heinrich Benneckes Erinnerungstext "Die SA in Sachsen vor der ?Machtübernahme?" liefert der Dresdner Historiker Andreas Peschel tiefe Einblicke. Zum einen in das Seelen- und Organisationsleben derer, die in braunen Hemden die Demokratie von Weimar von rechts zerstörten. Zum anderen in die Selbstrechtfertigungen von Ex-Nazis in den 1960er Jahren.

Wieder einmal hat der Sax-Verlag in Beucha und Markkleeberg dabei geholfen, einen wesentlichen Abschnitt der sächsischen Zeitgeschichte verständlicher zu machen. In “Die SA in Sachsen vor der ?Machtübernahme?” kommt mit Heinrich Bennecke einer der Tatbeteiligten selbst zu Wort.

Heinrich Bennecke, 1902 als Arztsohn in Dresden geboren und 1972 als Historiker in Stuttgart gestorben, war am 9. November 1923 in München beim gescheiterten Hitler-Ludendorff-Putsch mit dabei. Danach machte er in Sachsen eine SA- und NSDAP-Karriere. Von 1930 bis 1933 gehörte er für die NSDAP dem sächsischen Landtag an. Von 1936 bis zum braunen Ende 1945 saß er im Einparteien-Reichstag.

Doch der Text, der nun bei Sax erschienen ist, lässt nicht den NSDAP-Parteijournalisten Bennecke in Zeugnissen aus der “Kampfzeit” zu Wort kommen. Der Dresdner Historiker und Politologe Andreas Peschel, Jahrgang 1978, macht vielmehr ein Manuskript Benneckes aus dem Jahr 1965 öffentlich zugänglich. Auf dieses ist Peschel im Sächsischen Hauptstaatsarchiv in Dresden gestoßen.Da schreibt nun also der promovierte Historiker Bennecke in wohlgesetzten bürgerlichen Worten seine Sicht auf die politische Entwicklung im ersten sächsischen Freistaat nieder. Den Doktortitel erwarb der SA-Aktivist übrigens 1930 an der Universität Leipzig. Hier hatte sich Bennecke eingeschrieben – nach seinem gescheiterten bayerischen Polit-Abenteuer nebst Abbruch eines VWL-Studiums an der dortigen Uni. Geschichte, Philosophie und Journalistik waren nun seine Fächer.

Doch das Studieren allein füllte Bennecke auch an der Pleiße nicht aus: Er kandidierte für die Nazis bei den Wahlen zum Asta, wie die Studentenvertretung damals auch hier hieß, und führte die hiesige SA-Einheit an.

Als Dr. Bennecke sein nun herausgegebenes Manuskript 1965 niederschrieb, war er in der bundesdeutschen Historikerzunft offenbar hinreichend etabliert. Sein 1962 erschienenes Buch “Hitler und die SA” galt als Standardwerk. Auch zur Frage der Ausschaltung der SA-Führung durch Hitler und die SS beim so genannten Röhm-Putsch 1934 hatte er gerade veröffentlicht. Hierzu war er wohl auch deshalb besonders berufen, weil er 1934 gerade Chef der Reichsführerschule der SA war. Da bekommt Zeitzeugenschaft einen ganz besonderen Klang.

Wovon berichtet denn Dr. Bennecke nun eigentlich? Wir erfahren davon, dass die große kaiserliche Armee ausgerechnet dann nicht mehr da war, als Bürgersohn Bennecke unbedingt Offizier werden wollte. So blieb dem Gymnasiasten nur der Dienst als Zeitfreiwilliger und Freikorpsangehöriger – etwa in den Kämpfen in Ostoberschlesien gegen polnische Aufständische.

Wie en passant fallen dann die Namen der Organisationen des vornationalsozialistischen Untergrunds, die sich mit Morden an Demokraten hervortaten.

Folgt man Bennecke, habe sich die NS-Bewegung nur deshalb radikalisiert, weil sie vor 1933 nicht in die Regierungsarbeit eingebunden worden sei. Und weil es so viele Arbeitslose gab. Und weil die politische Linke in Sachsen sich vorab radikalisiert habe und beständig mit dem Umsturz drohte. Hier schmeißt Brennecke anarchistische Aufständische, Kommunisten und Sozialdemokraten, die mit den Vorgenannten gemeinsame Sache machten, komplett in einen Topf.Damit ist für Bürgersohn Bennecke klar: Die NS-Bewegung war eigentlich weiter nichts als ein biederes Schutzbündnis zum Erhalt der wohlgeordneten bürgerlichen Welt. Diese schien nach der Novemberrevolution aus den Fugen und konnte von den traditionellen bürgerlichen Parteien nicht mehr verteidigt werden.

In dieses Bild passt es denn auch, wenn Bennecke mehrfach seine Distanz zu Sachsens besonders brutalem und fanatischen NS-Chef Martin Mutschmann bekräftigt. Oder das gute Verhältnis der NS-Bewegung zu Polizei und Reichswehr in Sachsen hervorhebt. Hierfür zeichnete er als Innenexperte im Landtag auch persönlich verantwortlich.

Bleibt eigentlich nur die Frage: Wer radikalisierte Benneckes brave Nazis nach ihrem Machtantritt eigentlich so sehr, dass sie eine beispiellos brutale Diktatur errichteten, den wohl furchtbarsten aller Kriege führten und einen unvergleichbaren Völkermord organisierten?

So viel kritische Selbstprüfung darf man von einem so stark verstrickten Zeitzeugen wohl nicht erwarten. Auch nicht eine Erklärung, warum der sächsische Landtag 1932 in einer Mordsache Benneckes Immunität aufhob. Wusste er – vorsichtig gesprochen – als Dresdner SA-Führer von den Plänen, den als mutmaßlichen Verräter ausgemachten SA-Mann Herbert Hentsch bestialisch umzubringen? Oder ordnete er im Nachgang nur die Flucht der Mörder ins faschistisch regierte Italien an, wie er selber schreibt?

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Die SA in Sachsen
vor der »Machtübernahme«

Andreas Peschel, Sax-Verlag 2012, 12,00 Euro

Gleichwohl sagt Benneckes Manuskript viel aus: zum einen über die Metamorphose eines gewichtigen Teils des deutschen akademischen Bürgertums, die die NS-Diktatur erst möglich machte, – und zum anderen über die hohe Kunst intellektueller Selbstverteidigung, als es in der Bundesrepublik im Kalten Krieg schon wieder eine rote Gefahr abzuwehren galt.

Für diesen Erkenntnisgewinn ist Herausgeber und Verlag zu danken.

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