Dann, wenn die Kanonen verstummt sind und sich die feigen Generäle als alte Weiber verkleidet aus der Schusslinie entfernt haben, dann kommt all das wieder zu Wort, was tatsächlich die Sprache und die Seele der Völker ausmacht. So auch im ehemaligen Jugoslawien, in dem vor 20 Jahren die wild gewordenen Nationalisten tobten. Während Musiker wie Milan Mladenovi? ansangen gegen den Wahnsinn dieser Meute.

Milan Mladenovi?, 1958 geboren, gehörte schon vorher, bevor Jugoslawien auseinanderfiel wie eine überreife Frucht, zu den lebendigsten Stimmen der serbischen Rockmusik. ?arlo Akrobata und EKV (Ekatarina Velika, zu deutsch Katharina die Große) hießen die Bands, mit denen er spielte und mit denen er der Jugend des Landes eine Stimme gab und einen Spiegel. Es sind Lieder der Liebe, der Lebenslust, des Aufbegehrens. Lieder, in denen das, was kommen sollte, schon aufblitzt. In poetischen Bildern. Sturmboten. Herbstangst.

Denn wenn die Mächtigen beginnen, verrückt zu spielen, dann kündigt sich das früh an. Dann beginnt sich die Stimmung eines Landes zu ändern. Dann verändern sich die Nachrichten und der Ton in den Medien wird rauer und diffuser. Dann beginnen auf einmal Unausweichlichkeiten das Denken der Menschen zu bestimmen. “Es braut sich was zusammen”, heißt es dann. Nur die meisten Menschen erfahren spät erst, was sich zusammenbraut, wer die Fäden zieht, welche Fronten aufgemacht werden und wo das Unheil beginnt.Milan Mladenovi?, Sohn eines serbischen Offiziers und einer kroatischen Mutter, war ganz bestimmt der Sänger, der diese Veränderungen deutlicher spürte und früher als andere. So, wie Dichter, wenn sie denn wirklich welche sind, stets ein Gespür haben für das, was sich da anbahnt. Und Milan Mladenovi? war Dichter. Einen “Orpheus” nennen ihn seine Landsleute und Zeitgenossen. Und vermissen ihn.

1992 gründete er mit anderen serbischen Musikern die Formation Rimtutituki. Der Name der Band war Programm. Wütender und eindeutiger hat wohl noch nie eine Band gegen Krieg und staatlichen Wahnsinn angesungen. Und gerade weil sich die Gruppe dem kommerziellen Markt verweigerte, wurde sie binnen kurzer Zeit zur Super-Band: In den Liedern, die Mladenovic und seine Freunde schrieben, erkannten sich die Jugendlichen des Landes wieder.

Im Bandnamen sowieso. Rimtutituki ist ein Anagramm für das serbische Turim ti kitu, das man im Prinzip frei übersetzen kann als “Ich scheiß auf dich”.

Und die, die gemeint waren, wussten wohl ganz genau, wem das galt. Die Texte sind voller Wut und Poesie. Und sie lesen sich auch so – wie Gedichte. Es sind auch Gedichte von Einsamkeit und Verlust. Denn mit dem Beginn des staatlich gesteuerten Hasses, der gesteuerten Gewalt gegen die Anderen, begann auch die Fluchtbewegung. Wer immer konnte, verließ das Land. Freunde verschwanden. Und wer da blieb, erlebte, wie sich das Misstrauen und die Kälte in die Gesellschaft fraßen. Gleichzeitig löste sich das einstige Jugoslawien auf, verwandelte sich in etwas, das “war und doch nicht war”.

Die Erinnerungen werden verwaschen, so wie das, was auf einmal da ist, fremd ist – verlassene Wohnungen, Angst, die allgegenwärtig ist, und die heftige Beschwörung, dass das nun wirklich nicht das Ende sein wird. (“Ich verbiete”).

“kämm dir diese angststrähnen aus dem Gesicht / versteck diese müden neidischen augen / damit ich die verzweiflung nicht sehe … hinterlass eine spur …” (“Blass”).Elvira Veselinovi? hat hier wohl die erste deutsche Übersetzung der Liedtexte zusammengestellt, die auf den Alben von Milan Mladenovi?s Bands von 1984 bis 1993 zu finden sind. Ein kurzes Interview, das TV Beograd 1993 sendete, zeigt die Gedankenwelt des Sängers. In einem kurzen Text würdigt sein Musikerkollege Zoran Kostic Cane den Rockstar, den auch er anhimmelte, und der 1994 “im 13. Stock eines Ungeheuers aus Stahlbeton” starb – er starb an Bauchspeicheldrüsenkrebs.

Auch daran können Dichter sterben, wenn sie den Wahnsinn um sich herum nicht mehr abblocken können, wenn die Wut in ihnen lodert, weil sie genau wissen, dass sie das Unheil nicht aufhalten können. Weil sie genau wissen, dass das Unheil von Menschen gemacht wird, denen das Wohlergehen, die Unversehrtheit, der Frieden der anderen scheißegal sind.

“menschen ohne skrupel / menschen ohne gnade / menschen ohne erinnerung / ihr die ihr die güsse nicht kennt / von ton, farbe und geruch / ihr menschen ohne verstand … ihr leute ohne gnade”. (“Der Wurm”)

Er kannte sie nur zu genau. Und viele Lieder, die er schrieb, handeln von den Fragen an sich selbst: Wie hält man das aus? Wie fasst man da jeden Tag neuen Mut, doch wieder loszugehen und zu tun, was getan werden kann?

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Kind aus dem Wasser
Milan Mladenovic, Leipziger Literaturverlag 2012, 24,95 Euro

Man spürt, warum die Musik der drei Formationen, in denen Milan Mladenovi? gesungen hat, in Serbien bis heute populär ist. Straßen in Belgrad und Podgorica sind nach ihm benannt. Es hat gedauert, bis seine Lieder ins Deutsche fanden. Aber das liegt nicht an den Liedern, sondern an der oft sehr einseitigen Sicht der deutschen Medien auf das ehemalige Jugoslawien und seine Bewohner. Man sah meist vor lauter aufgeblasenen “Leuten ohne Gnade” die Menschen nicht mehr, die unter dem Veitstanz der Arroganten litten und sangen. Und sich mit all ihrem Sein gegen den Fatalismus stemmten. Auch wenn das hart war. “ist dies das ende? / ist dies das ende? / ich hab genug / ich sage nein / nein ist alles was ich sage”.

Und oft genug gehört eine Menge Mut dazu, laut und offen “Nein!” zu sagen.

Rimtutituki auf Wikipedia (englisch): http://en.wikipedia.org/wiki/Rimtutituki

Milan Mladenovi? auf Wikipedia (englisch): http://en.wikipedia.org/wiki/Milan_Mladenovi%C4%87

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