Seit Father Brown ist der Geistliche als Detektiv in der Literatur etabliert. Die Nähe der beiden Berufsstände ist ja bekannt: Detektive, die nicht in der Lage sind, Täter und Opfer zu verstehen, haben kaum eine Chance, Fälle zu lösen. Sie bekommen das "Warum?" nicht zu fassen. Und die neueste literarische Figur von Steffen Mohr steht in der Tradition der Father Browns.

Pater Dirk Thomas heißt der junge Mann, dem der Autor auch noch ein hübsches Schauspielergesicht verpasst hat. So bezaubert er auch die weibliche Mitwelt. Pater Thomas ist Krankenhausseelsorger. Ungewöhnlich ist das SJ hinter seinem Namen. Denn für gewöhnlich sind in sächsischen Stadtkrankenhäusern eher protestantische Pfarrer unterwegs. SJ steht für den Jesuitenorden. Was zumindest bedeutet, dass Pater Thomas nach recht strengen Regeln lebt, keinerlei irdisches Eigentum besitzt und daher natürlich auch die Welt und die versorgten Schützlinge aus einer materiell gänzlich unabhängigen Position betrachten kann.

Was im von Besitzstand und Konsum besessenen 21. Jahrhundert beinah so etwas wie eine Luxusposition ist. Da sieht man dann nur mit Staunen, wie sich Menschen über den Besitz an einer Mühle, an ein paar Häusern oder der Gier nach dem schnellen Geld ins Unglück stürzen. Die Polizei bekommt davon in der Regel erst mit, wenn der Müller ins Mühlrad gestürzt ist, der Hausbesitzer vergiftet und die Ladung Medikamente endgültig verschwunden. Wenn der Fall tatsächlich zum Kriminalfall wurde.

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Und rein statistisch reichen einige der kriminellen menschlichen Machenschaften auch bis ins Krankenhaus. Und wenn da ein fürsorglicher Pater herumläuft und mit den Leuten redet und auch zuhören kann, bekommt er natürlich dies und das mit. Manchmal unterm Siegel des Beichtgeheimnisses (was er dann natürlich niemandem weiterverraten darf), manchmal einfach durch ein freundliches Gespräch. Denn die Tatsache, dass unseren heutigen Krankenhäusern bei ihren auf Effizienz getrimmten Patienten-Bearbeitungs-Abläufen zumeist die menschliche Note, das Mitgefühl, der Trost und die emotionale Begleitung fehlen, ist ja bekannt. Das akzeptiert auch irgendwann der gestrenge Professor Meixenburger, der anfangs durchaus seine Skepsis hat gegenüber dem neuen, nichtmedizinischen Kollegen.

Die sich nach dem zweiten Kriminalfall, den Thomas löst, dann durchaus in kollegiale Anerkennung verwandelt. Es ist der zweite Band mit Kriminalgeschichten, in denen Steffen Mohr sich dem Seelsorgerstand zuwendet. Doch mit Dirk Thomas hat er nun eine Gestalt geschaffen, die durchaus auch eine Weile tragen kann. Mohr schildert zwar immer wieder gern, was für ein beeindruckend schöner Pater hier agiert – aber es steckt auch eine Menge Mohr in diesem Pater, augenzwinkernd, gerade wenn es ums Verhältnis zum schöneren Geschlecht geht.In vier Fällen lässt er seinen Krankenhauspater agieren. Und so neu ist dem Pater das Metier nicht, denn mit Kriminalkommissar Gustav Merks besitzt er schon im ersten Fall einen dicken Freund bei der Polizei, mit dem er augenscheinlich schon einige Begegnungen auf kriminalistischem Gebiet hinter sich hat. Und mit dem ihn natürlich eine grundlegende Charaktereigenschaft verbindet. An einer Stelle verrät er es: die Liebe zum Menschen.

Wer die nicht hat, wird nie ein guter Seelsorger und erst recht kein guter Kriminalist. Weil er nicht versteht, wie Menschen denken, fühlen und handeln. Die vier Fälle spannen sich von Nikolaus bis in den eisigen Winter. Es sind also gewissermaßen auch vier kleine Kamin-Krimis, mit denen der Leser kurz und flott eintaucht in das Familienleben der Leute, mit denen es der Krankenhauspater zu tun bekommt. Im ersten Fall einer Müllersfamilie, in der es am Nikolaustag augenscheinlich nicht nur um die Freude der Kinder ging, sondern auch um die Gier nach einer Menge Geld, die dann auch noch den im Krankenhaus gelandeten Müller samt Pater Thomas in Lebensgefahr bringt. Im zweiten Fall geht es um einen Hausbesitzer, der gern ein gerechtes Testament aufsetzen will, als er im Krankenhaus liegt, und damit den Angriff auf sein Leben erst recht provoziert.

Im dritten sorgt eine junge Frau für Aufregung, die das Personal mit teuflischen Ausbrüchen erschreckt und damit eigentlich nur eins will – dass ausgerechnet Pater Thomas sich mit der Vorgeschichte ihres zweijährigen Komas beschäftigt. Und im letzten traut sich der Krankenhausapotheker nicht, die Polizei anzurufen, weil ihm eine ganze Wagenladung Medikamente abhanden kam.

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Himmlische Kriminal-Fälle
Steffen Mohr, St. Benno Verlag, 9,95 Euro

Man merkt, dass dieser Pater Thomas dem Autor sehr vertraut ist. Hier darf einer fragen, zuhören und kombinieren, wie es auch dem Schriftsteller gefällt. Und er darf auf die bürokratischen Hemmnisse der normalen Polizeiarbeit verzichten, darf sich einfach in seinen alten klapprigen Wagen schmeißen oder ins Krankenzimmer schneien, wenn ihm seine Nase sagt, dass es angebracht ist. Und die Nase ist fein: Ein paar Mal kommt er – als lebensrettender Engel – gerade noch im letzten Moment. Es sind beruhigende, fast tröstliche Krimis. Für alle, die nach den schweren Thrillern von Mankell & Co. mal wieder eine Verschnaufpause brauchen, um ihren Glauben an das Gute in einigen Menschen wieder zu päppeln.

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