Was ist wirklich wichtig? Die Gesichts-OP eines Leipziger OBM-Kandidaten? Suff in der Bundesliga? Oder eine ehemalige Hure, die aus ihrer Zeit als Prostituierte in Leipzig erzählt? - Wer die Zeitung mit den großen Buchstaben liest, hat ja die Wahl zwischen den skurrilsten Themen. Manche wie aus dem Abgrund der menschlichen Narreteien. Ausnahme: Huren. Es gibt sie ja wirklich. Und unsere verklemmte Gesellschaft hat sie bitter nötig.

Auch wenn Geschichten über diesen Berufszweig meist auf jenen Seiten landen, auf denen über die moralischen und kriminellen Abgründe der Gesellschaft berichtet wird. Dabei arbeiten wohl nach diversen Schätzungen um die 400.000 Prostituierte in Deutschland. Manche diskret und professionell, andere in diversen halbseidenen Etablissements unter unwürdigen Bedingungen oder gar in finanzieller und existenzieller Abhängigkeit von Zuhältern. Letzteres wird sich erst dann ändern, wenn die ach so anständige Männerwelt, die regelmäßig die Dienste des Gewerbes in Anspruch nimmt (und dabei auch die obskursten sexuellen Vorlieben auslebt) dem Beruf der Hure tatsächlich einen akzeptierten und geachteten Platz unter den Dienstleistungsberufen einräumt.

Denn in einer Gesellschaft, in der Liebe und Sex zur Ware verkommen sind, gibt es keinen ehrlichen Grund, sexuelle Dienstleister zu diskriminieren. Auch dann nicht, wenn sie an ihrem Beruf Gefallen haben. Wie Alina Angel, die dereinst einmal bei einer Krankenkasse ihre Ausbildung machte und irgendwann begann, auf Strip-Shows ihre Lust am bloßen Auftritt auszuleben.Was sie ins Milieu der diversen Erotik-Messen brachte, die noch in den 1990er Jahren eifrig durchs Land tingelten und den Bewohnern der diversen deutschen Provinzen die Freude am erotischen Spiel nahe brachten. Diese Messen gibt es immer noch, doch sie sind seltener geworden, pflastern auch ostdeutsche Städte nicht mehr so auffällig mit Plakaten zu, wenn sie irgendwo am Stadtrand gastieren.

Das Milieu hat sich verändert. Auch das, in das die forsche Leipzigerin einstieg, als sie merkte, dass in ihr auch das Talent steckte, Männer glücklich zu machen. Sie wurde zur Wohnungshure in Leipzig, warb mit Anzeigen in Zeitungen für sich und achtete von Anfang an auf klare Regeln, ließ nicht mit den Preisen handeln, zwang die Freier zu einem Mindestmaß an Sauberkeit, bestand auf Safer Sex und wies Aspiranten, die schon auf den ersten blick nicht astrein schienen, ab. Jedes gute Dienstleistungsgewerbe lebt davon, dass die Regeln eingehalten werden. Was übrigens auch für andere Dienstleister gilt, die gern in andere Wirtschaftskategorien einsortiert werden – vom Reinigungsdienst bis hin zum Finanzdienstleister.

Denn mit irren Typen bekommen sie es alle zu tun. Beim Lesen der vielen kleinen Geschichten und Anekdoten, die Alina Angel erzählt, bekommt man so eine Ahnung davon, wie sehr viele Männer auf die Dienstleistungen in Sachen Sex angewiesen sind. Manche finden bei Huren das, was ihnen eine versteinerte Partnerschaft nicht mehr gibt, andere leben hier die Phantasien aus, die sie ihrer Lebensgefährtin nicht zutrauen würden, wieder andere benutzen Prostituierte freilich auch, wie man eine Hemdenreinigung nutzt: Problem abgeben, durchnuddeln lassen, Reißverschluss hochziehen, tschüss. Wer liest, was für Typen in den zehn Jahren ihrer Arbeit als Hure bei Alina aufgetaucht sind, der ahnt, wie bunt die Problemlagen der Männer sind und wie seltsam es in den Köpfen und Hosen einiger Zeitgenossen aussieht.

Alles kein Problem, stellt Alina Angel fest, die ihre Arbeit als Prostituierte an den Nagel hängte, als sie merkte, dass der Wind rauher wurde und auch in der Szenerie des käuflichen Sexes eine zunehmende Prekarisierung einsetzte – mit Preisdumping und immer mehr Mädchen und Frauen, die für wenig Geld alles mit sich machen lassen.Es sieht ganz so aus, als hätten die diversen “Arbeitsmarktreformen” und “Liberalisierungen” der Bundes- und anderer Regierungen bis ganz nach unten durchgeschlagen. Bis zu jenen, die sich nicht mehr wehren können, die ihre blanke Haut verkaufen müssen. Die drei Schlagworte “Sex, Drogen, Gewalt” auf dem Titel sind nur ein Teil der Geschichte. Auch wenn sie dazugehören und zeigen, wo die Grenzen aufweichen und die teils organisierte Kriminalität in die Prostitution übergreift – ob bei Zuhältern, die auch vor Gewalt nicht zurückschrecken, um sich die Mädchen gefügig zu machen, ob in der Disko-Szene, wo der Partyraum gleichzeitig Umschlagplatz für allerlei Dinge ist, mit denen sich ein paar Leute goldene Nasen verdienen. Wie schnell hier ein kritisches Miteinander in Gewalt umschlägt, muss auch Alina erleben – und landet mit gebrochener Nase in der Notaufnahme. Wo sie dann auch noch erlebt, wie das Pflegepersonal hochmütig auf eine herabschaut, “die aussieht wie so eine”.

Dabei war sie da noch gar nicht im Gewerbe, lebte nur ihre Nächte aus, wie es Tausende junge Leute jede Nacht in Leipzig tun. Und was einer der Gründe dafür war, dass Alina nicht unbedingt als Büroangestellte bei einer Krankenkasse versauern wollte. Die Liebe zum schicken Fummel, zur gebräunten Haut, den knappen Röcken und scharfen Dessous – die kennt man selbst aus den seriösesten Mädchenromanen. Als Stripperin und Hure konnte Aline diese Seite ihrer Lebenslust ausleben. Bis hin zur Freude an den glänzenden Augen der Männer, die ihre gewaltig vergrößerten Brüste bewunderten.

Das Buch von Alina Angel ist das erste im Top Secret Verlag, der seinen Startpunkt in Gohlis hat und durchaus plant, noch weitere Bücher zum Thema Sex auf den Markt zu bringen. Dafür sogar noch Autoren sucht, die sich auch einmal mit anderen Seiten der Angelegenheit befassen, als es in der üblichen erotischen Literatur zu finden ist – sei es der Bericht über den Job als Prostituierte/Callgirl/Straßenhure usw., die Erlebnisse als Freier oder seien es Erfahrungsberichte zum Thema sexuelle Gewalt …

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Alina Angel “101 % Hure
Alina Angel, Top-Secret-Verlag 2012, 17,90 Euro

Ob das gut geht, muss der Verleger selbst einschätzen. Es ist eine Gratwanderung zwischen Voyeurismus und Wirklichkeitsanalyse. Es könnte ein Projekt sein, das eine wesentliche Grauzone unserer Gesellschaft besser beleuchtet, als es die üblichen Skandalberichte über Huren, Sex und Gewalt tun. Aber da ist der kleine Zweifel, ob es den potenziellen Autorenkreis in dieser Art überhaupt gibt. Denn die Geschichte von Alina Angel ist zwar sehr persönlich und detailreich – aber man merkt auch, dass sie den “Job” tatsächlich als Dienstleistung betrachtete und dass sie sich bis zum Ausstieg die nötige Distanz zu ihrer Tätigkeit bewahrte.

Das scheint – auch nach Lesen ihrer Geschichte – nicht die Norm zu sein.

Ihr Buch will Alina Angel am Donnerstag, 18. Oktober, auf der Internationalen Fachmesse “Venus 2012” in Berlin vorstellen.

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