Menschliche Geschichte ist immer auch Kriminalgeschichte. Da wird gemaust, betrogen, gemordet, werden weder die 10 Gebote geachtet noch die Gesetze, die menschliches Miteinander regeln. Immer sind es die alten Todsünden, die zu immer neuen bösen Taten führen. Richter und Polizisten haben tagtäglich damit zu tun. Und eine Ausstellung im Stadtgeschichtlichen Museum erzählt jetzt, wie's damit in Leipzig aussieht. Das Begleitbuch ist 98 Seiten dick.

Reich bebildert sowieso. Geschichte muss anschaulich sein. Und gut lesbar, schön portioniert. Dazu bieten sich die Ausstellungen des Stadtgeschichtlichen Museums ja geradezu an. Halte dich kurz, ist das Motto. Und so bekommt der Leser eine flotte Fahrt durch ungefähr 800 Jahre hiesige Kriminalgeschichte. Mit einer kurzen Einführung in die Entwicklung der Rechtsprechung und der gesetzlichen Grundlagenwerke – vom “Sachsenspiegel” über die lange Zeit maßgebliche “Carolina” bis zum Strafgesetzbuch der DDR. das dann 1990 wieder von der Agenda verschwand, weil man ostwärts das westwärts gepflegte Recht übernahm.

Der Leser erfährt schön knapp, wie Leipzig schon seit dem 14. Jahrhundert zum Zentrum der Rechtsprechung wurde und wie sich über die letzten 200 Jahre die modernen Ermittlungsmethoden der Polizei entwickelten. Auch das reich bebildert. Hier kommen Profis wie Kriminalhauptkommissar Jörg Pfeifer und der Rechtsmediziner Carsten Hädrich als Autoren zu Wort. Ausstellung und zugehöriger Katalog wurden diesmal in Zusammenarbeit mit mehreren Beratungsinstanzen gestaltet. Und die Polizei spielte logischerweise eine wesentliche Rolle.

60 Seiten widmen sich dann ganz und gar den 24 Großen Leipziger Kriminalfällen, die in der Ausstellung selbst gezeigt und erläutert werden. Im Katalog werden sie einzeln für sich erzählt, in die historischen und juristischen Zusammenhänge gestellt und ebenfalls wieder reich bebildert. Und nicht nur Dana Albertus und Christoph Kaufmann, die beiden Kuratoren der Ausstellung, dürfen hier über Dinge erzählen, die sonst eher im Polizeiteil der Zeitungen stattfinden. Doris Mundus erzählt, wie das Stadtgeschichtliche Museum selbst einst Opfer einer ganzen Diebstahlserie wurde. Karl-May-Experte Christian Heermann schildert, wie der noch längst nicht berühmte Herr May aus Ernstthal in Leipzig als Betrüger agiert und geschnappt wurde. Schrepfer-Experte Otto Werner Förster bringt den Fall des unter mysterösen Umständen erschossenen Gastwirts in die politischen Zusammenhänge seiner Zeit. Und es ist nicht der einzige Fall, wo die Politik und das Verbrechen sich so innig berührten. Die Trennlinien existieren nicht wirklich. Auch wenn viele der etwas simpler gestrickten Täter natürlich eher nicht aus den Chefetagen, dafür eher aus vorbelasteten sozialen Umständen kommen.

Natürlich wird auch der Fall Woyzeck hier kurz erzählt – auch wenn er nicht in voller Breite diskutiert werden kann wie etwa bei Hans Mayer. Man darf den Zusammenbruch der Leipziger Bank im Jahr 1901 miterleben – und darf sich auch erschreckend zeitnah an all das erinnert fühlen, was den braven Micheln in Deutschland seit vier Jahren als “Finanzkrise” verkauft wird. Bis hin zur raschen Minderung des Strafmaßes für die verantwortlichen Bankmanager.
Aber wie man sich erinnert: Der “schwarze Dienstag” von Leipzig sorgte zwar weltweit für Schlagzeilen, garantiert gelobten Politiker und Banker Besserung, aber als der “Schwarze Freitag” von 1929 kam, war alles wie gehabt, nichts hatte sich wirklich geändert und alle gelobten Besserung. Geholfen hat es auch diesmal nichts. Was nicht nur am Unwillen der regierenden Politiker liegt, den unheilvollen Kreislauf von Schuldenmachen, Steuersenken und Deregulieren zu durchbrechen. Es liegt auch an der menschlichen Natur, die sich auch nicht ändert, wenn die Akteure ein Atomkraftwerk unter die Finger bekommen, einen Staatsapparat oder einen superschnellen Börsenzugang.

Und in der Regel spielen sämtliche von der Kirche definierten Todsünden (eigentlich: Hauptlaster) dabei eine verhängnisvolle Rolle. Wer sie nicht kennt oder gern so tut, als kenne er sie nicht, hier sind sie: Hochmut (Eitelkeit, Stolz, Übermut), Geiz (Habgier), Wollust (Ausschweifung, Genusssucht, Begehren), Zorn (Wut, Rachsucht), Völlerei (Gefräßigkeit, Maßlosigkeit, Selbstsucht), Neid (Eifersucht, Missgunst) und Faulheit (Feigheit, Ignoranz, Trägheit des Herzens). Hier zitiert nach dem Wikipedia-Eintrag.

Und wer sich jetzt denkt “Aber das sind doch die ehrbaren Eigenschaften der Leute, die sich seit einiger Zeit wieder als unsere Elite feiern!”, der hat wohl recht.

Und der sieht dann auch, wie das, was in einigen sehr, sehr wirtschaftsnahen Gazetten immer wieder als Erfolgsmensch, Macher, Superreicher gefeiert wird, den üblichen polizeilichen Ganoven-Beschreibungen erstaunlich nah kommt. Nur dass es selbst gestandene Wirtschaftsjournalisten oft nicht fertigbringen, die Spitzbüberei im schicken Anzug auch nur in die Nähe des gemeinen Hühner- oder Kaffeediebstahls, von Gewalttaten im Suff oder gierigem Verlagen nach einer Versicherungsprämie zu bringen.

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Dass es zusammengehört, zeigt dann Christoph Kaufmann noch in seinem kleinen Abschlussbeitrag zu den Verbrechen seit 1990, wo auch “Immobilienhai” Jürgen Schneider sein Plätzchen bekommt. Ob die Sanierung der Leipziger Innenstadt ohne Jürgen Schneider so bald in Gang gekommen wäre, das darf freilich bezweifelt werden. Der Spruch wurde jetzt so oft wiederholt, dass man ihn nicht mehr glauben mag, sondern eher eine andere These in den Raum werfen möchte: Hat der spielwütige Einsatz von Jürgen Schneider nicht sogar die Entwicklung der City in eine falsche Richtung gedrängt? Die Bodenpreise viel zu früh in utopische Höhen gejagt und damit ein Engagement von ganz gewöhnlichen Mittelständlern und regionalen Firmen auf Jahre hinaus unmöglich gemacht?

Was genau dazu führte, dass sich seit anno Schneider nur noch schwerreiche Investoren und Center-Entwickler in der City tummeln und sie die gewaltigen Filetstücken in etwas Ungenießbares verwandelt haben.

Viele Leipziger malen sich immer wieder gern die Wirklichkeit schön. Und so ist auch die Leipziger Kriminalgeschichte voller dubioser Helden, die, von ihren Lastern getrieben, allerlei Unfug angerichtet haben, der über Jahrzehnte fortwirkte. Karl May, der sich so täppisch anstellte, gehört nicht eigentlich in diese Reihe der Schwerkaliber, in der August Heinrich Exner und ein paar dubiose Manager aus jüngerer Zeit eher ins Scheinwerferlicht gehören.

Was bleibt selbst nach dieser kleinen, sehr kurzweiligen Auslese aus der Leipziger Kriminalgeschichte? – Ein stilles Bedauern gerade für jene, die aus lauter Unwissenheit oder Rechtlosigkeit in die Mühlen der Justiz gerieten – von den vielen hingerichteten “Kindsmörderinnen” bis hin zu den Sträflingen im Stasi-Knast in der Alfred-Kästner-Straße. Und so ein dummes Gefühl im Bauch, dass Leute wie Exner und andere Nadelstreifen-Kumpane auch dann noch gefeiert werden, wenn sie den Leipzigern den letzten Cent aus der Stadtkasse geplündert haben.

Stadtgeschichtliches Museum Leipzig (Hrsg.): “Gangster, Gauner und Ganoven. Große Leipziger Kriminalfälle”, Leipzig 2012, ISBN 978-3-910034-13-6.

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