Leipzigs Stadtrat ist ein kostbares Gut, ein lebendiges Stück Demokratie, bei dem man sogar zuschauen darf, manchmal auch selbst mitmachen, mit Petitionen und Anfragen. Aber die Ratsversammlungen zeigen eben auch die bunte Vielfalt politischer Positionen. Und da kann es sogar passieren, dass ein FDP-Stadtrat eine Rede hält, die geradezu wie eine Bewerbung um eine Mitgliedschaft in der Initiative „Lebenswerte Städte und Gemeinden“ klingt. Ja, das ist das große Bündnis, das um mehr Geschwindigkeitsbegrenzungen kämpft.

Das große Streitthema in der Politik, bei dem auch FDP-Bundesverkehrsminister Volker Wissing regelmäßig mauert und meint, die Deutschen wollten das nicht, schon gar nicht auf deutschen Autobahnen. Auch wenn Umfragen – wie die von 2022 durch YouGov – immer wieder ergeben, dass eine Mehrheit durchaus für Tempolimits ist. In diesem Fall auch vor dem Hintergrund steigender Energiepreise.

In der Rede von FDP-Stadtrat von Sascha Matzke vom 24. April ging es freilich um innerstädtisches Tempo 30, das in einem Abschnitt der Breitenfelder Straße verhängt werden sollte. 2021 war das schon einmal geprüft worden und als nicht möglich vermeldet, denn eine Kita oder eine Schule, die solche Anordnungen von Geschwindigkeitsreduzierungen ermöglichen, gibt es im entsprechenden Straßenabschnitt nicht. Die StVO bindet auch der Leipziger Straßenverkehrsbehörde die Hände.

Auch Senioren brauchen sichere Straßen

Trotzdem beantragte die Freibeuter-Fraktion noch einmal: „Die Stadtverwaltung prüft auf Grundlage einer aktuellen Lärmberechnung die Herabsetzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit nach § 45 der Straßenverkehrsordnung (StVO) zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen in der Breitenfelder Straße Tempo 30 in dem Bereich zwischen Hoepnerstraße und der S-Bahn-Brücke, auf Höhe Breitenfelder Straße 39 (Käserei).“

Die Käserei ist die berühmte Käserei Lehmann. Aber die Käserei war nicht der Grund für den Antrag, sondern es waren die dort befindlichen Einrichtungen für betreutes Wohnen. Doch die kommen i der StVO nicht vor. Einer StVO, die in Zeiten geschrieben wurde, als es noch nicht so viele hochbetagte Menschen in Deutschland gab. Und deutlich weniger Autos auf den Straßen.

Das Verkehrs- und Tiefbauamt (VTA) sagte trotzdem zu, den Sachverhalt noch einmal zu prüfen. Aus Sicht der Stadt gäbe es durchaus Gründe, hier über Tempo 30 nachzudenken: „Es wurde rechtlich geprüft, ob eine Ausweitung auch auf betreutes Wohnen rechtlich zulässig ist. Betreutes Wohnen ist rechtlich jedoch nicht abgedeckt.  Für den Bereich der Breitenfelder Straße zwischen der Magdeburger Straße und Hoepnerstraße liegen die Voraussetzungen aktuell somit nicht vor.

Jedoch prüft die Verwaltung den konkreten Einzelfall noch einmal genauer. Aspekt hierbei ist der Umfang des Pflegeangebotes im betreffenden Abschnitt. Aus der weiteren Prüfung und der StVO leitet sich jedoch kein allgemeiner Anspruch ab.“

Und: „Wir setzen uns jedoch auf allen Ebenen nachdrücklich dafür ein, dass die Gesetzeslage auf Bundesebene geändert wird, damit die Kommunen in Fällen wie diesem perspektivisch einen größeren Handlungsspielraum bekommen.“

Ein Appell, den Sascha Matzke durchaus verstand. Solange auch ein Volker Wissing im Bund verhindert, dass die StVO modernisiert und heutigen Gegebenheiten angepasst wird, sind auch der Stadt die Hände gebunden.

Tempo 30 auf der ganzen Georg-Schumann-Straße, warum nicht?

So weit eigentlich so gut. Matzke stellte den Verwaltungsstandpunkt zur Abstimmung, weil mehr einfach nicht zu haben ist. Aber er formulierte es so schön, dass es Baubürgermeister Thomas Dienberg geradezu als eine Bewerbungsrede für das Bündnis „Lebenswerte Städte und Gemeinden“ empfand, in dem inzwischen über 1.000 Städte, Gemeinden, Landkreise und ein Regionalverband Mitglied sind und deren Sprecher Thomas Dienberg ist.

Ihr wichtigstes Anliegen sind deutlich mehr Rechte für die Kommunen, mehr Tempo 30 im Gemeindegebiet anordnen zu können, auch auf Hauptstraßen. Wichtigstes Ziel: die Erhöhung der Lebensqualität.

Und an der Stelle meinte dann AfD-Stadtrat Christian Kriegel, sich melden und dem Bürgermeister die Absicht unterstellen zu müssen, ein Flickwerk aus Tempo-30-Zonen herstellen zu wollen. Oder gar auf der schönen Georg-Schumann-Straße vom Chausseehaus bis zum Rathaus Wahren komplett Tempo 30 anordnen zu wollen. Ein bestechender Gedanke, wenn man so richtig darüber nachdenkt. Mit der aktuellen StVO aber schlicht nicht umsetzbar.

Und so wirklich scheint sich Kriegel auch in Gohlis nicht auszukennen, auch nicht in der Breitenfelder Straße, wo er lauter Kopfsteinpflaster vermutete. Aber die Straße ist komplett asphaltiert. Was einer der Gründe dafür ist, dass hier besonders schnell gefahren wird. Für die alten Leute, die dort im Betreuten Wohnen leben, ein durchaus gefährliches Unterfangen, wenn sie die Straße hier überqueren wollen.

Aber die Stadt kann das nur prüfen und hoffen, dass der Bundesverkehrsminister doch einmal ein Einsehen hat. Der Verwaltungsstandpunkt bekam mit 36:20 Stimmen jedenfalls die nötige Mehrheit.

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