Es ist der erste Krimi, den Sophie Sumburane hier vorlegt. Mit 25 Jahren einen Krimi zu schreiben, das ist zumindest mutig. Germanistik und Afrikanistik studiert die junge Autorin in Leipzig, die auch Mitglied beim Leipziger Krimistammtisch ist. Afrika ist ihre große Liebe. In doppeltem Sinne. Und eine Liebe aus Afrika spielt auch in diesem Buch eine Rolle.

Auch wenn alles anfangs so aussieht, als würde Janine Anders bei diesem Fall im Drogen- und Prostitutionsmilieu ermitteln müssen. Eine junge Frau wird gefesselt in ihrer Wohnung gefunden, die Pulsadern aufgeschnitten, aber sie lebt … Wer war das, lautet die logische Frage, die die junge Kommissarin die nächsten Tage in Atem hält und zur Getriebenen macht. Denn irgendwie haben die Medien von dem Fall mal wieder ruckzuck erfahren, lungern vorm Tatort, bringen die Ermittlungen unter Druck … ein mittlerweile bekanntes Sujet in Kriminalromanen und TV-Serien.

Vielleicht sollte man es einfach entsorgen. Es stimmt nicht. Auch wenn die Zeitungen mit den großen Schlagzeilen und Fotos immer so tun, als wären sie schneller und klüger und härter als die Polizei. Sind sie nicht. Sie tun nur so. Und so langsam nervt das einfach nur noch, dieser schreiende Versuch, anderen Leuten zu erklären, wie sie ihre Arbeit zu machen haben.Das Element sorgt für Druck im Krimi, macht die Ermittler nervös und lässt die Polizeichefs, die sich davon beeindrucken lassen, oft genug dumm da stehen. Erst recht, wenn sie ihre leitenden Ermittler im Regen stehen lassen oder gar degradieren, wie es hier passiert, wo kurzerhand – bloß weil irgendeine mysteriöse Öffentlichkeit das so will – ein großmäuliger Karrierist zum Leiter der Ermittlungen ernannt wird.

Überhaupt die Männer: Selbst mit ihrem Joel scheint Janine Anders an eine Type geraten zu sein, die just mitten in der Ermittlung nichts Besseres zu tun weiß, als nun auch noch ein Fass in Sachen Ehe aufzumachen und sein Ego durchzudrücken. Ist ja nicht so, dass Ermittler keine Menschen sind. Selbst Maigret braucht (auch wenn er es in keinem einzigen Roman zugibt), den Beistand, den Trost und das Vertrauen seiner Madame Maigret. Das hat sich im 21. Jahrhundert nicht wirklich geändert, auch wenn allerlei Hochglanzzeitschriften und Mädchenbücher so tun, als müssten Partnerschaften ausgestritten werden bis die Fetzen fliegen.

Dass Janine einen nicht gerade familienfreundlichen Job hat, das müsste sich auch unter Krimiautoren 40 Jahre nach Sjöwall und Wahlöö herumgesprochen haben. Die Polizei kommt dann zum Einsatz, wenn die Verhältnisse gestört sind, wenn Dinge endgültig kaputt sind. Und sie begegnen kaputten Menschen, verworrenen Lebens- und Familiengeschichten. Und sie müssen die Schlüssel suchen für die Todesfälle, die ihnen begegnen. Nicht ohne Grund hat sich der Kriminalroman längst zum sensibelsten Instrument der sozialen Gesellschaftsbeschreibung in Deutschland entwickelt, auch wenn all die gewaltigen Jurys, die in Deutschland die Buchpreise vergeben, nie auf die Idee kämen, einen Krimi für einen Buchpreis vorzuschlagen – außer für einen Krimi-Preis.

Der Krimi steckt in einem Ghetto, in das er nicht gehört. Denn hier werden oft genug jene Geschichten erzählt, an die sich die Geliebten des deutschen Feuilletons schon mangels Kenntnis nicht heranwagen. Die Themen, die Sophie Sumburane anspricht, gehören zu den ungelösten Themen unserer Welt. Das ist mutig, teilweise sogar ein bisschen zu viel. Auch ein bisschen melodramatisch. Das braucht eine gute Kriminalerzählung nicht wirklich. Das macht auch nicht ihren Reiz aus, selbst wenn das die Drehbuchautoren für die üblichen TV-Krimis anders sehen, wo die Ereignisse sich geradezu überschlagen müssen und die Zuschauer das Herzflattern kriegen, weil das irre Tempo sie in den Sessel presst.So ganz unschuldig sind deutsche Medienmacher nicht am wild gewordenen Charakter unserer Gesellschaft. Sie suggerieren allabendlich auch einen Hexentanz, der eine Welt vorgaukelt, in der nur die Flotten, Immerperfekten und Rastlosen die Gewinner sind, in der alles hetzt und jagt und sich permanent beweisen muss – vor den Gläubigern, den Chefs oder einer obskuren Öffentlichkeit. Die deutschen Nachrichtensendungen spielen längst dasselbe Spiel.

Und es spiegelt sich in diesem Buch. Erstaunlich, dass Janine Anders das in diesem Tempo durchhält – im Familienleben, vom Fall und von einer irgendwie allwissenden Medienmeute gejagt, soll sie schnell einen Erfolg vorweisen … Wenn Polizei in Deutschland wirklich so arbeiten soll (und einige Politiker scheinen sich ja zu wünschen, dass es so wird), dann sieht es finster aus. Man kann nur hoffen, dass es nicht so ist, dass auch die Leipziger Kriminalpolizisten genug Zeit haben, ihre Ermittlungen systematisch voranzutreiben, Laborbefunde auszuwerten, Zeugen zu vernehmen und nach Feierabend auch noch ihr Familienleben zu genießen.

Aber die Hektik, die auch die Ermittlungen von Janine Anders antreibt, gehört natürlich mit zu den “Gestörten Verhältnissen”. Wenn eine Gesellschaft anfängt zu überdrehen, hat das viele Facetten. Für Fortsetzungsbände – und der Untertitel “Janina Anders ermittelt” deutet auf Fortsetzungen hin – ist der eifrigen Kommissarin mehr Ruhe und Beharrungsvermögen zu wünschen. Auch mehr Mumm, den Machos in ihrer Umgebung die kalte Schulter zu zeigen. Frauen müssen sich auch in Kriminalromanen nicht immer beweisen. Und schon gar nicht Männern gegenüber, die ihre eigene Luschigkeit hinter Imponiergehabe und “Durchsetzungsvermögen” verstecken.

Dass die Wirklichkeit diesen Typ Mann immer wieder in Entscheidungspositionen hievt, ist ein anderes Thema. Aber es ist kein Grund, eh schon überlastete Kriminalkommissarinnen zusätzlich in Panik zu versetzen.

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Gestörte Verhältnisse: Janine Anders ermittelt
Sophie Sumburane, fhl Verlag 2012, 12,00 Euro

Den Leser jedenfalls macht so viel Druck auf die eh schon emsige Ermittlerin geradezu nervös. Etwas weniger von alledem könnte Janine Anders durchaus zu einer tragenden Figur machen, die sich zuallererst vom Affentanz der sensationslüsternen Medien nicht beeindrucken lässt und die Pressekonferenzen den Kerlen überlässt, die sie anberaumt haben.

Dann bleibt mehr Raum für das Eigentliche – das Erkunden einer Stadt, in der das Verbrechen auch im 21. Jahrhundert nur ein Spiegelbild der Gesellschaft ist – ein blutiges, ein verstörendes, aber kein so unbegreifliches, wie es manche interessierten Kreise immer wieder behaupten.

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