Mit der Edition Cornelius gönnt sich der Projekte Verlag in Halle eine besondere Reihe: großformatig, in Weiß eingebunden. Drinnen stets eine Begegnung mit anspruchsvollen Texten und Illustrationen bekannter Künstler. Christa Wolf begegnet man hier, Peter Gosse und nun auch dem Leipziger Lyriker Ralph Grüneberger, der sich mit dem Leipziger Künstler Sighard Gille zusammengetan hat für das Projekt.

Die beiden träumen schon seit Jahren von einer hochwertigen gemeinsamen Buchausgabe. Aber das wird wohl noch dauern. Immerhin wünscht sich Ralph Grüneberger das Ganze in Bleisatz. Vielleicht kommt’s ja noch irgendwann. Dies hier ist eher eine Werkauswahl, Vieles aus der Schreibtischschublade, bisher nicht veröffentlicht. Anderes zwar schon lange veröffentlicht – aber auch schon lange vergriffen. Wie die Lyrikbände “Frühstück im Stehen” von 1986 und “Stadt. Name. Land” von 1989.

Daraus findet man etliche jener Gedichte, in denen Grüneberger dem Erfolgsmythos der späten DDR einen Spiegel vorhielt. Er tat es immer auf irdische Weise, porträtierte die Helden der Arbeit in Aschegrau und Müdigkeit, ihren tristen Alltag und die vom Verfall bedrohten Häuser, in denen sie lebten. Er nahm diesen späten Nachklang des “Bitterfelder Weges” ernst. So ernst, wie ihn auch Schriftstellerkollegen wie Hilbig nahmen. Und wie es die verkündenden Funktionäre so nie gemeint hatten. Dichter in der DDR mussten schizophren sein – oder die mühsamen Maskerade der Erlauber und Zensierer kennen.
Was trotzdem auch für Grüneberger nicht verhinderte, dass seine Gedichtbände jahrelang in den Warteschleifen der Genehmigungspolitik hingen. Und dann in der Regel auch viel zu spät kamen. Wie so vieles in dem Land, das sich am Ende selber wegzensierte. Wenn zu beweisen war, dass ein alternativer Gesellschaftsweg eine offene Diskussion und eine unzensierte Öffentlichkeit braucht, dann hat die DDR es mit ihrem wortlosen Abgang kommentarlos bewiesen.

Einer wie Grüneberger konnte an der Bruchstelle bruchlos weiter machen. Die Spinnerin Hanne Luhs, die er schon in DDR-Zeiten so mitfühlend porträtiert hatte, taucht in Folgegedichten von 1996 und 2012 wieder auf – das Werk, in dem sie sich geplagt hat, abgewrackt, sie selbst eine duldsame Warterin im Flur des Jobcenters.

Auch die Straßen und Häuser, die er vor 1989 in ihrem beklemmenden Niedergang zeichnete, kommen wieder, saniert zum Teil, nun nicht mehr bevölkert von grauen Arbeitsscharen, die im Morgenqualm zur Arbeit eilen, sondern von breitbrüstigen jüngeren Leuten, die auf der Straße Nationalstolz spielen, während die arbeitslosen Eltern sich hinter Gardinen verstecken. Es ist noch immer das alte Leipzig – die Gestalten sind älter geworden, die Stadt ist glatter, die Schicksale sind versteckter.

Aber nicht nur Gedichte findet man in diesem Lesebuch des Leipziger Lyrikers. Auch einige seiner kurzen Geschichten sind drin. Auch die kleinen moralischen Einblicke in eine Welt, in der der Schein zumeist die Moral übertüncht, die Angst und die Einsamkeit. Nur kurz kommt die Schadenfreude auf, wenn man den erfolgreichen Vertreter Michael P. Meyer an der Parkplatznot und den Leipziger Politessen verzweifeln sieht. Sein vom Regen demolierter Horch steht auch für einen verschimmelten Traum. Grünebergers Gestalten leben immer in diesen Zwischenwelten der unerfüllten Träume, der ungewollten Einsamkeiten und der Verzweiflung, wenn ihnen die Träume vor den Augen zerrinnen.

Der Band zeigt auch Vorbilder, denn unter “Essay” sind etliche seiner Beiträge für Zeitschriften zu finden – zumeist Würdigungen von Autoren wie Rose Ausländer, Wolfgang Hilbig, Volker Braun oder Bertolt Brecht. Etliche Porträts von Künstlern, die Grüneberger wichtig sind. Und natürlich ein ausführlicher Text zur Elsterstausee-Lyriklesung, die als Motorbootlesung Geschichte machte und für einige Autoren an Bord ein böses Nachspiel hatte.

Das Buch klingt mit einem weiteren Teil Gedichte aus, darunter auch eines für Sighard Gille, der die beigesteuerten Grafiken wohl genauso aus den Schubladen holte – sie umfassen ebenfalls einige Jahrzehnte. Die Parallelität dieser beiden Künstler wird sichtbar, ihre Motivwahl im direkten Leipziger Umfeld. Auch hier spiegeln sich die Veränderungen wieder. Und es spiegelt sich die gemeinsame Freude an Liebe, Frau und Freiheit wieder. Auch wenn die Freiheit eben nur ein altes Moped ist, mit dem man über den Hinterhof knattert. Zur wirklichen Freiheit braucht es keine Flugzeuge und Pauschalreisen. Die fängt hinter den Aschetonnen an – und endet beim Traum von den Lottomillionen oder mit dem Blechbier am Kiosk. Gültig bis heute Grünebegers Gedicht von 1991: “Jetzt ist alles bunterbesser …”

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Liebe, Freiheit, Mann & Frau
Ralph Grüneberger, Projekte-Verlag Cornelius 2012, 29,50 Euro

Das Tragische ist eigentlich, dass die Menschen, über die er schreibt, seine Gedichte nicht lesen. Man kann nur anlesen dagegen – mit Lesungen in Schulen gehen oder in Straßenbahnen, was Grüneberger gern macht. Das sind kleine Steine in ein dunkles Wasser geworfen. “Immer wurde / Unser Morgen vom Heute belagert …”, schreibt er in einem Abschiedsgedicht für Rüdiger Will. “Vielleicht hätten wir frühzeitig gegen die Insolvenz antrinken sollen …” Er meint die gemeinsame Pizzeria. Aber wie das in Gedichten so ist: Immer schwingt was mit. Sowas Schalkhaftes. “Die Pizzeria, in der wir saßen / Ist indes pleite gegangen …”

“… als käme / Der Blues schon immer / Vom Norden”, schreibt er im Gedicht “SALVE”, in dem es um einen Musiker geht, der Verabschiedungen hasst. Aber vielleicht war der Blues ja immer schon da. Und in Leipzig immer zu Hause. Aber das ist die Seite, mit der das schrille Marketing noch nie etwas anfangen konnte. Leipzigs Dichter schon.

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