In Eisfeld ist er eine Berühmtheit. Sein Gartenhaus ist Gedenkstätte. Ein Verein kümmert sich darum. Doch in Buchhandlungen findet man sein Werk nicht. Ab und zu werden einige seiner Werke wieder aufgelegt. Der Roman "Zwischen Himmel und Erde" zum Beispiel. Aber wirklich präsent ist Otto Ludwig, dessen Geburtstag sich 2013 zum 200. Mal jährt, nicht. Zeit für eine Wiederentdeckung?

Die Autorinnen und Autoren, die die Herausgeberin Helga Schmidt für diesen Band gewonnen hat, beschäftigen sich zum Teil seit Jahren intensiv mit dem Leben und Schreiben Ludwigs, manches gehört schon zum klassischen Schriftgut zur Erforschung des Schriftstellers, manches ist eine kleine launige Randbemerkung – wie der Beitrag von Friedrich Christian Delius. Ein paar Briefe und Gedichte Otto Ludwigs sind eingestreut. Und Maren Goltz beschäftigt sich intensiv mit Otto Ludwigs Scheitern in Leipzig.

Auch Wikipedia erzählt noch vom Musikstudium des begabten Thüringers bei Felix Mendelssohn Bartholdy. Und musikalisch begabt war er wohl. Irgendwo in russischen Archiven liegen möglicherweise noch heute die handschriftlichen Partituren seiner Opern. Doch studiert hat er in Leipzig wohl nicht. Darüber gibt es keine Nachweise. Dass er Mendelssohn Bartholdy empfohlen war, belegt ein Brief in dessen Handschrift. Doch der junge Eisfelder war kein Student. Als er 1839 nach Leipzig kam, war er schon 26, gerade einmal vier Jahre jünger als der gefeierte Mendelssohn Bartholdy. Und die Spuren, die Maren Goltz findet, deuten auf ein großes Missverständnis und eine tiefe Enttäuschung und Erschütterung hin.

Es sieht sogar ganz so aus, als hätte Mendelssohn Bartholdy den durchaus fleißigen Mann aus Eisfeld von Anfang an nicht wie einen Studenten behandelt, sondern wie einen komponierenden Musikerkollegen, dem er wohl einiges zutraute – dem er aber auch deutlich sagte, dass seine Kompositionen nicht auf der Höhe der Zeit waren. Was Mendelssohn nicht wissen konnte, war, dass Ludwig wohl tatsächlich ein Suchender war, ein Bursche, dem seine kleine fränkische Provinz nicht genügte und der in Leipzig die Chance sah, hier zum erfolgreichen Komponisten zu werden.

Mit diesem Zwiespalt haderte er wohl ein Leben lang. Wie es so Manchem ging, der viele Talente mitbrachte – aber sich dann doch nicht für das stärkste davon entschied. Ein Beispiel für diese zuweilen deprimierenden Umwege ist ja E. T. A. Hoffmann, der ebenfalls zuerst als Musiker und Kapellmeister zum Erfolg kommen wollte. Auch in Leipzig. Und dabei erbärmlich scheiterte, während er gleichzeitig an jenem Erzählkanon schrieb, der ihn wirklich berühmt machte.
Tatsächlich scheint Ludwig nur ein einziges Mal mit Felix Mendelssohn Bartholdy gesprochen zu haben. Die restlichen Monate seines Leipzig-Aufenthaltes 1839/1840 scheint er jeden echten Kontakt mit dem Gewandhauskapellmeister gemieden zu haben, auch den mit anderen Leipzigern, die er als hochmütig und oberflächlich beschreibt, ganz aufs Geschäft versessen und den äußeren Schein. Eine Einschätzung, die sich auch nach Ludwigs zweitem Leipzig-Aufenthalt nicht änderte. Am Ende war sein Weggang nach Dresden auch eine Flucht, keine Lösung seines Problems.

Zwar scheint er fortan nicht mehr komponiert zu haben, dafür versuchte er nun mit dem selben Druck als Dramenautor zu Erfolg zu kommen. Was ihm mit einem Stück wie “Der Erbförster” in Grenzen auch gelang. Sein Talent als Dramenautor würdigt auch der Theaterkritiker Theodor Fontane – auch wenn er mit der selben Professionalität analysiert, warum ein solches Drama für einen normalen Theatergänger nicht auszuhalten ist.

Das eigentliche Ludwigsche Dilemma ist sein lebenslanger Versuch, in Bereichen Erfolg zu suchen, die ihm nicht wirklich Erfolgsaussichten boten. Er schimpft – wie so mancher moderne Autor auch – auf die Mechanismen des Literaturmarktes, auf dem bestimmte Dinge, die dem Geschmack der Zeit entsprechen, vom Publikum gern gekauft werden – und wo das, was der Autor selbst als so wichtig und genialisch versteht – nicht mal die Neugier eines Verlegers weckt.

Die Texte, mit denen er tatsächlich Erfolg hatte, schrieb er immer nur nebenbei, als Brotarbeit. Der berühmteste ist bis heute “Die Heiterethei und ihr Widerspiel”, eine Novelle, die ihn tatsächlich neben die großen deutschsprachigen Novellisten des 19. Jahrhunderts stellt – neben Keller, Storm, Raabe und Fontane. “Nein, ein Heimatdichter war er nicht”, schreibt Klaus Brückner gleich im ersten Beitrag des Buches. Ein Heimatdichter im Sinn von Herrmann Löns tatsächlich nicht. Einer im Sinn von Gottfried Keller aber schon. Auch Fontane hat ja viel später ganz bewusst ein typisches Lokalkolorit zum Spielfeld seiner Romane gemacht: das Berliner Milieu.

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Und auch bei Ludwig ist sichtbar, dass ihn eigentlich sein Milieu – das kleine fränkische Stück im Süden Thüringens – geprägt hat. Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn er das Glück gehabt hätte, einem wirklich hartnäckigen Verleger über den Weg zu laufen, der ihm auf den Kopf zugesagt hätte, dass seine Geschichten mit dem südthüringischen Lokalkolorit das sind, was seine Stärke ausmacht. In eigenen Äußerungen verwies Ludwig selbst gern darauf, dass die Thüringer Landschaft literarisch noch gar nicht erschlossen wäre.

Doch trotz zunehmenden Leidens unter seiner Nervenkrankheit vertat er Monate und Jahre damit, Dramen zu schreiben, in denen er sich am Maßstab Shakespeare messen wollte, begleitet von intensiven Studien zum Drama und dem Shakespeareschen Drama im Besonderen, die heute wohl als eine der besten Analysen zum Werk des britischen Super-Autors gelten.

Es gibt einige Texte im Buch, die versuchen, Ludwig in den hohen Regionen der Weltliteratur zu verorten, quasi als Vorläufer und kongenialer Kollege von Dostojewski und Joyce. Manches in seinem Stil scheint dafür geeignet. Ludwig selbst scheint intensiv über sein eigenes Schreiben und die Konstruktion seiner Texte nachgedacht zu haben. Seine Kompositionsmethode wirkt modern. Nur die Inhalte wirken im Kontrast dazu biedermeierlich. Was wie eine Abwertung klingt. Aber eigentlich eine Einordnung ist: Das Alltagsleben der Deutschen, egal wo sie wohnten, war bis zum 1. Weltkrieg biedermeierlich und provinziell. Jede Sammlung jedes einzelnen Stadtmuseums kann davon erzählen.

Und die großen deutschen Novellisten haben davon erzählt, mit Liebe, mit Verständnis, mit Ironie, mir Sarkasmus – bis hin zu Thomas Mann, der Otto Ludwig durchaus als einen seiner literarischen Vorläufer begriff. Was den heutigen Einsortierern so schwer fällt, ist die Klassifizierung. Denn die üblichen Schubladen passen nicht – haben eigentlich noch nie gepasst. Egal ob nun “Klassik”, “Spätromantik”, “Realismus” oder “Junges Deutschland”. Man hat die ganze große deutsche Novellistik immer wieder versucht, in die Schublade “bürgerlicher Realismus” zu quetschen. Das wirkt jedes Mal wie der Versuch, einen lebendigen Prozess in einen sauberen Quader zu verwandeln. Da wird weggelassen, hineininterpretiert und alles unter eine Doktrin gepackt, als wären die zugeordneten Autoren allesamt Vertreter einer Geisteshaltung oder gar Partei.

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Und Wahrheit ging mir von
jeher über alle Schönheit

Helga Schmidt, Salier Verlag 2012, 15,00 Euro

Otto Ludwig passt nicht. Wie viele andere auch nicht. Teilweise ist er – mit seinen immer wieder selbst geäußerten Ansprüchen an sich selbst – auch schuld daran. Aber auch Autoren der Gegenwart würden wohl schummeln, wenn sie sagten, dass sie die Widersprüche zwischen den eigenen Maßstäben und dem, “was der Markt erwartet”, nicht spüren. Die, die es nicht spüren, sind eher selten gute Autoren. Und über die wird man auch 200 Jahre nach ihrer Geburt nicht debattieren, wo sie nun hingehören. Man wird sie gar nicht mehr kennen. Bei Otto Ludwig tut man’s – und der Mann, der 1865 in Dresden starb – wäre wohl genauso unzufrieden mit der Debatte wie seinerzeit mit sich selbst.

Bleiben werden seine novellistischen Texte. Seine Brot-Arbeiten. Und das ist mehr, als die meisten Schriftsteller von sich sagen können.

Wikipedia zu Otto Ludwig:
http://de.wikipedia.org/wiki/Otto_Ludwig
http://salierverlag.de

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