Zu Jahresbeginn 2013 erschien eine neue Biografie über Wilhelm Liebknecht (1826 - 1900), einen der Gründungsväter der deutschen Arbeiterbewegung. Der bereits 2010 verstorbene Autor wehrt sich darin gegen "scholastisch geprägte Interpretationen" von Liebknechts Einsatz für die Parteivereinigung 1875 in Gotha. "Wissen ist Macht" wurde zu Liebknechts bekanntestem Satz.

Wissen ist Macht

Das bereits benannte Liebknecht-Zitat aus 1872 von der Einheit Deutschlands in Freiheit und der Emanzipation des arbeitenden Volkes als zwiefachem Ideal umspannt die großen Themen des politischen Lebens von Wilhelm Liebknecht. Zum einen ging es ihm um eine Nationalstaatsbildung in Folge einer Revolution: demokratisch und republikanisch, also ohne gekrönte Häupter. Und unter Einschluss aller Menschen “deutscher Zunge” beziehungsweise “großdeutsch”, wie man damals sagte: also einschließlich des heutigen Österreich. Das war, jedenfalls territorial, auch die Geschäftsgrundlage der im März 1848 gewählten deutschen Nationalversammlung, die in der Frankfurter Paulskirche eine Verfassung entwarf.

Für einen Veteran der 1848er Revolution wie Liebknecht musste die “Emanzipation des arbeitenden Volkes” mehr sein als die Befreiung aus materieller Not. Die soziale Frage ging für Wilhelm Liebknecht einher mit der nach wirklicher demokratischer Teilhabe.

Und da war noch eines: “Wissen ist Macht – Macht ist Wissen”, lautet das wohl bekannteste Liebknecht-Zitat. Damit ist sein Festvortrag überschrieben, den er 1872 sowohl vor dem Dresdner, wie vor dem Leipziger Arbeiterbildungsverein gehalten hat. Emanzipation durch Bildung also. Wissen zerstört zwar mitunter Gewissheiten. Und Wissen erträgt keine Autoritäten und unumstößliche Dogmen. Aber Wissen befähigt den Einzelnen zu Emanzipation und Autonomie.

“Die Schule ist das mächtigste Mittel der Befreiung, und die Schule ist das mächtigste Mittel der Knechtung ? je nach der Natur und dem Zweck des Staats”, so Liebknecht in seinem Festvortrag, “im freien Staat ein Mittel der Befreiung, ist die Schule im unfreien Staat ein Mittel der Knechtung.” Im zweiten Falle werde die Schule von einer Bildungseinrichtung zu einer Dressureinrichtung.

August Bebel: Liebknecht kam uns in Sachsen wie gerufen

Leipzig ist eine der zentralen Lebensstationen von Wilhelm Liebknecht. Es sind die Jahre der Herausbildung einer eigenständigen sozialdemokratischen Arbeiterpartei aus dem Milieu der Arbeiterbildungsvereine. Fixpunkt am Ort ist die Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins ADAV am 23. Mai 1863.
Schon als Student der Philologie, evangelischen Theologie und Philosophie fiel der junge Liebknecht der hessischen Obrigkeit als Demokrat auf. An den Revolutionskämpfen 1848/49 beteiligte sich Liebknecht an verschiedenen Schauplätzen, teilweise mit einem selbst gebauten Gewehr, wie wir bei Schröder erfahren. Es folgten zwischen 1849 und 1862 lange Jahre des Exils in der Schweiz und in England. In London zählt Wilhelm Liebknecht zum Kreis um Karl Marx. Von der Isolation des Londoner Exilantendaseins ist in Schröders Buch mehrfach die Rede.

Dann die Rückkehr nach Deutschland in einer Zeit politischen Tauwetters nebst Amnestie für Revolutionskämpfer. Hier macht Liebknecht die große Ausnahme. Weder war er, wie viele Forty-Eighter vor ihm, in die USA emigriert. Noch verblieb er, wie der Kreis um Marx und Engels, in London.

Den Preußen war er alsbald wieder zu aufmüpfig. Nach der Ausweisung aus Berlin ließ sich Wilhelm Liebknecht im Sommer 1865 in Leipzig nieder. “Nach Leipzig zogen mich angenehme Jugenderinnerungen, die Regsamkeit unter den dortigen Arbeitern, denen die Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein zu danken war, … und das stark entwickelte öffentliche Leben in ganz Sachsen”, zitiert Schröder aus Liebknechts Erinnerungen. Libertas Saxoniae sozusagen.

Wohnung findet Wilhelm Liebknecht 1867 im Haus Braustraße 11. Als Braustraße 15 ist es heute als Liebknecht-Haus das Parteihaus der örtlichen Linken. In diesem Haus kam am 13. August 1871 Karl Liebknecht (ermordet 1919) als zweiter Sohn von Wilhelm Liebknecht zur Welt. Dessen Patenonkel war Karl Marx.
“Liebknecht kam uns in Sachsen wie gerufen”, zitiert Schröder aus Bebels Lebenserinnerungen. Bereits im Sommer 1865 beginnt die Bekanntschaft und Freundschaft zwischen August Bebel und Wilhelm Liebknecht. Beide werden schnell zu Führungsfiguren der deutschen Sozialdemokratie. Sie prägen die 1869 in Eisenach gegründete Sozialdemokratische Arbeiterpartei SDAP.

Sie repräsentieren die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands SAPD, die 1875 in Gotha als Zusammenschluss von SDAP und ADAV entsteht. Dass Wilhelm Liebknecht de spiritus rector dieser Fusion ist, erzürnt Marx im fernen London auf das Äußerste, wie Schröder erinnert. Liebknecht Verdienst an dieser demokratischen Fusion einer “revolutionären Partei” (SDAP) mit einer “opportunistischen Sekte” (ADAV) ist nach Schröder auch der Grund, warum Wilhelm Liebknecht in der Ahnengalerie von SED und DDR keinen prominenten Platz einnahm.

Allen “scholastisch geprägten Interpretationen” hält Schröder entgegen: “Die sozialistische Arbeiterbewegung Deutschlands war 1874/75 der Überlebensträger der sozialistischen Bewegung zumindest für Europa” – und zwar die Gestalt der in Gotha begründeten SAPD.

Nach dem Ende des Parteienverbots nennt sich die Partei ab 1891 schließlich SPD.

Liebknecht war von 1868 bis zu seinem Tode 1900 Chefredakteur der jeweiligen zentralen Parteizeitung. Schröder lässt uns teilhaben an den publizistischen und wirtschaftlichen Herausforderungen, die mit dem Zeitungsmachen verbunden waren. Auch sorgte Liebknecht dafür, dass Marxens Schriften in Deutschland unter die Leute kamen.

Parlamentarier trotz Parteiverbot

Auf Vorträge vor Arbeiterbildungsvereinen in vielen Teilen Sachsens folgen Kandidaturen für die Reichstage des Norddeutschen Bundes und Deutschen Reiches.

Parlamentskandidaturen und parlamentarische Tätigkeit bleiben Sozialdemokraten trotz des Verbots aller sozialdemokratischen Arbeiterorganisationen, also von Partei, Gewerkschaften und Vereinen, zwischen 1878 und 1890 erlaubt. Soviel Kulanz gaben die Diktatoren im kurzen 20. Jahrhundert nicht mehr. Gleichwohl werden Bebel und Liebknecht 1881 aus Leipzig verwiesen. Bis zum Auslaufen der Anti-Sozialistengesetze leben sie in Borsdorf östlich der Messestadt. Dann wird zusehends Berlin, da politische Zentrum des Kaiserreichs, beider Lebensmittelpunkt.

Von 1874 bis 1900 gehörte Liebknecht wieder dem Reichstag an – zuerst für sächsische, später für hessische und Berliner Wahlkreise. Als Mitglied des Sächsischen Landtages wirkte er von 1879 bis 1885 sowie zwischen 1889 und 1892.

“Liebknecht ging voran auf dem Weg ins Neuland, ging voran in unbekanntes Gelände als Pionier, als Pfadfinder, immer zugleich im zermürbenden Kampf um die materielle Existenz seiner Familie”, schreibt Schröder über Liebknecht. Zudem mobilisierte er ein Gefolge auf diesem Weg ins Neuland.

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Wilhelm Liebknecht
Wolfgang Schröder, Karl Dietz Verlag 2013, 34,90 Euro

In dem Buch erfahren wir nicht nur viel über den unermüdlichen Demokraten Liebknecht, sondern lernen beispielsweise das Leipzig jener Jahre aus einer anderen Perspektive kennen. Auch das zählt zu den Vorzügen dieses Buches. Es profitiert ganz eindeutig von dem Starken Bezug des Autors zu Leipzig. Bemerkenswert ist ebenso die Darstellung des Wachsens sächsischer Landgemeinden im ausgehenden 19. Jahrhundert am Beispiel von Borsdorf, dem Asylort Bebels und Liebknechts ab 1881.

Ein “Fragment” nennen die Herausgeber das Buch in Respekt vor dem Autor, der sein Buch nicht mehr vollenden konnte. Inhaltlich ist das glattes Understatement.

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