Der Krieg kommt eigentlich nicht drin vor, auch wenn die Eltern der Autorin von diesem Krieg und seinen Folgen gezeichnet sind. Und die Trennung kommt erst später mit dem Mauerbau. Tatsächlich beschreibt Elke Cohnen eine Kindheit in der frühen DDR. Das liest sich nur als Titel nicht so gut. Und das zeigt wiederum, wie belastet das Kürzel DDR mittlerweile in den ideologischen Grabenkämpfen der Zeit ist.

Das wird sich sicher geben. So ungefähr in 100, 200 oder 1.000 Jahren. Was vielen, die im Osten Deutschlands lebten und aufgewachsen sind, natürlich nicht hilft. Es ist wie ein Makel, auch wenn es nicht wirklich einer ist. Die wenigsten Menschen können sich wirklich aussuchen, wo das Leben sie hinverfrachtet. Und auch im Osten waren Millionen froh, nach dem Krieg überhaupt ein Dach über dem Kopf gefunden zu haben, eine Arbeit zum Lebensunterhalt und neue Freundschaften, Lieben und Familienkontakte. Viele hatten ihre Liebsten im Krieg verloren – die einen die Ehemänner, andere ihre Frauen und Kinder. Viele Lebensgemeinschaften in dieser Zeit wurden aus der Not geboren.

So auch die der Eltern von Elke und ihren Geschwistern. Sie wuchsen in Görlitz auf, der nun geteilten Stadt. Und es ist nicht der uniforme Ballast, den man in der Regel dem Leben in der DDR nachträglich überstülpt, der in diesem Buch eine Rolle spielt. Auf ganz andere Weise wirft diese Geschichte ein Blick in die Zeit. Denn wo neue Partnerschaften so im Zeichen der Not stehen, spüren das auch die Kinder. Und das haben bestimmt viele in diesem Nachkriegsdeutschland so erlebt, wo die großen Lieben und Träume vieler Menschen in einem blutigen Krieg untergegangen waren. Auch die Ehe der Eltern der Autorin war wohl Vieles auf einmal – der Versuch eines Neuanfangs, Zweckgemeinschaft, gescheiterte Hoffnung – aber auch redliches Bemühen.

Die erste Trennung, die Elke miterlebt, ist die ihrer Eltern. Auf Arbeit und im Gefühlsleben des Vaters scheint Vieles nicht recht zu funktionieren – der Alkohol wirft ihn aus der Bahn, sorgt für die Scheidung, die dennoch keine endgültige ist. Denn nun erlebt die Mutter, wie schwer es ist, einen neuen Partner und “Ernährer der Familie” zu finden. Kein leichtes Unterfangen in einer Zeit, in der die heiratsfähigen Männer fehlen, das Geld gerade zum Leben reicht und das Haus der Oma doch zu klein ist, um alle Konflikte aufzunehmen.Die Versorgungslage ist nach wie vor prekär. Aber das Leben erwacht wieder. Die Menschen wissen sich zu helfen. Und die Autorin erlebt tatsächlich eine unbeschwerte Kindheit. Auch wenn sie unter Asthma leidet. Sie findet Freundinnen, hat in ihren Geschwistern große Beschützer und beobachtet die Vorgänge um sich herum mit zunehmend wacherem Blick. Und das große Tamtam der Gesellschaft spielt da noch lange keine Rolle. Die Rahmendaten einer Kindheit sind andere, werden vom Murmelspiel auf der Straße, vom Urlaub an der See und der Versöhnung der Eltern geprägt. Und dann vom Abenteuer Berlin, wohin die Familie zieht, nachdem dem Vater als Chef der Verkehrsbetriebe in Görlitz gekündigt wurde. Berlin ist ein Neuanfang – unter beengten Bedingungen. Der Bruder hat noch kurz vorm Schließen der Grenzen das Land verlassen. Aus dem fernen Südamerika kommt die Tante zu Besuch. Die Sehnsucht nach der Weite ist früh lebendig und lässt sich auch nicht mehr dämpfen, als die Mauer dicht ist.

Es wirkt fast wie ein versöhnliches Nachspiel, wenn Elke Cohnen die Zeit schildert, an der eine nach der anderen aus ihrer kleinen Familie in den Westen geht. Beklemmend das Kapitel zum frühen Tod des Vaters. Aber auch wichtig. Denn am Ende sind es diese persönlichen Beziehungen und Erfahrungen, die Leben ausmachen, die Menschen motivieren, ihr Leben zu gestalten. Natürlich spielt das “Weltgeschehen” immer hinein. Wer im Osten Deutschlands aufwuchs, wurde quasi mitten hinein geworfen, konnte dem gar nicht entkommen. Nicht einmal mit diesem schönen Jahr 1989. Aber ist es wirklich so wichtig?

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Zeiten der Trennung
Elke Cohnen, Buchverlag für die Frau 2013, 12,90 Euro

Je weiter das wegrückt, umso unwichtiger scheint es. Leben ist immer jetzt. Und Kindheitserinnerungen sind stark und überzeugend, wenn sie vom Nächsten erzählen. Jedes Schicksal ist einzigartig. Und Elke Cohnen lässt die Leser an ihrem Schicksal und dem ihrer kleinen Familie teilhaben. In einer nicht einfachen Zeit. In der das kleine, familiäre Glück sich auf einmal als das Wichtigste erweist. Und natürlich schwebt die Frage im Raum: Kann man ein neues Leben beginnen, wenn man das will? Wünscht man sich das wirklich? Oder ist das Gefühl, dass Dinge wichtiger und besser werden, schon der Lohn für ein bisschen Mühe? Wahrscheinlich genau das. Aber meist merkt man das erst später – manchmal auch erst, wenn’s zu spät ist, wenn man wahr nimmt, dass die eigentlich wichtigen Dinge alle ganz nah und gar nicht so spektakulär sind.

So wie eine Kindheit in Görlitz und Berlin.

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