Mancher startet spät - und legt gleich ein eindrucksvolles Gesellenstück hin. So einer ist der 1938 in Leipzig geborene Theologe, ehemalige Pfarrer, ehemalige Redakteur und nun in Zeuthen bei Berlin lebende Autor Lothar Petzold. Im St. Benno Verlag hat er jetzt seinen ersten Krimi vorgelegt. Der handelt in seiner alten Heimat, in einem Städtchen gleich am Fluss im schönen Nordsachsen. Ein Krimi mitten aus dem Kirchenmilieu. Oder doch nicht?

Auf den ersten Blick ist das ganz einfach: Kommissarin Magdalena tritt ihren Dienst in der kleinen Stadt Hartenberg an, bekommt mit Jens Müller einen klugen und teamfähigen Kollegen. Und sie ist noch nicht einmal richtig angekommen, da passiert die erste Gewalttat: Annerose Fischer, Älteste im Gemeinderat der evangelischen Kirche, wird bei einem Unfall mit dem eigenen Bulli-Transporter schwer verletzt. Schnell deuten die Indizien auf mindestens einen Täter hin, der hier eine Rechnung begleichen wollte. Eine seltsame Rechnung, die im Lauf der Ermittlungen zu einem Vers aus dem Johannes-Evangelium führt: “Besser, wenn ein Mensch für das Volk stirbt, als wenn das ganze Volk umkommt”, zitiert Petzold. Oder besser: Lässt seine Akteure zitieren.

Er lässt dabei weg, wer das in der Bibel gesagt hat. Vielleicht in der Annahme, der Leser weiß es. Und der kann dann den Burschen, der hier so vehement auf diesem Spruch herumklopft, auch gleich einordnen. Was nicht ganz klappt. Denn der Bursche aus Petzolds Krimi, der mit diesem Anspruch glaubt, über den neuen Pfarrer und das Gemeindeleben urteilen und richten zu können, ist weit davon entfernt, ein Hohepriester wie Kaiphas zu sein, der mit diesem Spruch begründete, warum die Hohepriester Jesus den Römern ausliefern wollen.In der Luther-Bibel heißt die Stelle: “Aber einer von ihnen, Kajaphas, der in jenem Jahr Hohepriester war, sagte zu ihnen: Ihr wisst nichts; ihr denkt auch nicht daran, dass es besser für euch ist, wenn ein Mensch für das Volk stirbt, als wenn das ganze Volk umkommt.”

Opportunismus hat viele Gestalten, Sprachen und Gewänder. Und er klingt aus dem Mund der scheinbar Mächtigen anders als aus dem der Machtlosen. Moderne Varianten davon sind “Basta!”, “Wutbürger” und “alternativlos”.

Und Wahlergebnisse zeigen oft, dass viele Menschen es auch lieber so haben. Die scheinbare Klarheit der eindimensionalen Weltsichten. Die Selbstsicherheit derer, die nie zweifeln und die auch keine Visionen haben. Bei Kaiphas und den anderen Hohepriestern ist es unübersehbar: Sie sind wie die Kaninchen, die auf den wildgewordenen römischen Präfekten Pontius Pilatus starren (der in mehreren Überarbeitungen der Ur-Texte der Bibel regelrecht zum Heiligen weißgewaschen wurde) wie auf die Schlange. Während es in Galiläa gärt. Und auch Jesus trägt zu diesem Rumoren bei.

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Was damals in Jerusalem geschah, spielt sich augenscheinlich auch im Mikrokosmos der kleinen evangelischen Gemeinde ab, die von den fragenden und nachdenklichen Predigten ihres neuen Pfarrers regelrecht aus der Ruhe gescheucht ist. Dieser Pfarrer verstört. Er redet auch noch über seine Zweifel, behauptet gar, man solle nicht an Jesus glauben, sondern wie Jesus.

Was für ein Frevel! Dieser Pfarrer muss weg.

Doch die viel gepriesene deutsche Einigkeit herrscht im Gemeinderat gar nicht. Es gibt auch dort Leute, die fühlen sich von diesem suchenden, zweifelnden, fragenden Pfarrer verstanden. Was für Annerose Fischer zum Verhängnis wird.

Natürlich haben Jäger und Müller nicht gleich alle Fäden in der Hand. Sie sind ja keine Super-Polizisten, sondern haben ihr Handwerk nur gut gelernt und arbeiten akribisch die Spuren auf, reden mit den Leuten und merken bald, dass auch in dieser kleinen Stadt die Leidenschaften wohnen. Und Leidenschaften machen zuweilen blind. Erst recht, wenn sie sich hinter Selbstherrlichkeit und Selbstgerechtigkeit verbergen. Und auch ein kleiner Gemeindevorstand ist so etwas wie ein Hoher Rat, gibt seinen Mitgliedern ein klein wenig Prestige und Macht.Und es sind auch in diesem kleinen Hartenberg, wie man sieht, die alten, ewigen biblischen Triebkräfte, die Menschen zu Tätern machen. So religiös, wie dieser Krimi auf den ersten Blick zu sein scheint, ist er gar nicht. Es sei denn, man begreift Religion als etwas, was deutlich über die kirchlichen Gebräuche hinaus geht. Darüber unterhält sich Magdalena Jäger, die ihre Herkunft aus einem Pfarrhaus auch nicht verbergen kann, auch mit den beiden Pfarrern, die ihr begegnen, und die sie nicht nur als herzlich, sondern auch als klug begreift. Auch wenn der katholische Pfarrer Hubert Welsecke seine Zweifel und Fragen lieber nicht so öffentlich unters Volk trägt wie sein evangelischer Kollege.

Auch die bis heute offene Frage taucht auf: Darf eine Kirche ihre Mitglieder so sehr mit Zweifeln und Selbstvergewisserungen plagen, wie es die evangelische tut? Ist es nicht bequemer, den Ritus über alles zu stellen?

Oder sind das nur beiläufige Fragen? – In der Gemeinde von Johannes Nieburg augenscheinlich nicht. Sie scheint auch ein kleiner gesellschaftlicher Kosmos zu sein, in dem die einen einfach getröstet und geborgen sein wollen, die anderen Anerkennung suchen und die nächsten ein bisschen Macht. Und einer wie Nieburg bietet Reibeflächen, weil er die Fragen, die ihn selbst bewegen, nicht einfach wegredet, mit schönen Predigten zukleistert. Fast hat man das Gefühl, mit dieser kleinen Mustergemeinde hat Petzold auch ein Stück unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit gezeichnet.

Auch den Teil nicht weglassend, wo die Ratlosen von einem Zweifelnden wie Nieburg überfordert sind. Verkriechen sie sich einfach im Privaten? Oder driften sie auch in ihrem sonstigen Denken ab und bauen sich Welten mit klaren, nicht hinterfragbaren Antworten und Botschaften? – Burgen, hinter deren dicken Trutzwällen man seine Angst und seine Verlorenheit verstecken kann? Man kehrt das Ganze eben um – im Krimi fällt dazu das verdrehte Zitat vom “wunderlichen Tausch” – und setzt sich selbst in die stärkere Position, weil man sich auf Fragen, Zweifel oder Alternativen gar nicht erst einlässt.

Der Verlag hat schon recht, wenn er diesen Krimi als “tiefgründig” bezeichnet.

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Im Kreuzfeuer
Lothar Petzold, St. Benno Verlag 2013, 9,95 Euro

Hier spielt ein Autor nicht einfach mit irgendwelchen mysteriösen biblischen Elementen, biblischen Plagen oder Todsünden. Auch wenn er seinen Roman mit einer kleinen biblischen Flut beginnen lässt, wie sie die Sachsen ja nunmehr auch aus eigenem Erleben bestens kennen.

So nebenbei hat er sich eine kleine Landschaft aufgebaut, in der man durchaus noch weitere Geschichten aus der Arbeit zweier Kriminaler aus der sächsischen Provinz erwartet. Etwas beschaulicher als in den üblichen Großstadt-Krimis. Aber nicht weniger detailgenau und gesellschaftskritisch. Die Fragen, die unsere Gesellschaft tatsächlich bewegen, sind sichtlich 2.000 Jahre alt und älter. Sie tauchen nur in immer neuen Gewändern auf. Und brauchen immer neue Antworten.

www.lotharpetzold.de

www.st-benno.de

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