Mathematik ist überall. Sie spielt selbst in unserem Alltag immer eine Rolle, auch dann, wenn wir gar nicht daran denken, dass sie da ist. Beim Briefeschreiben etwa, beim Faxen und bunte Bilder Malen. Papierformate sind genormt. Das Zauberwort heißt DIN 476. Seit 1922 regelt sie die Papiernormgrößen in Deutschland. Dahinter steckt natürlich eine Formel.

Die Seiten der Papiere verhalten sich zueinander wie 1 zu Wurzel aus 2. Das Format DIN A 0 ist genau 1 Quadratmeter groß. Und alle anderen DIN-Größen ergeben sich durch Halbieren. Bis ungefähr A 10 kommt man – dann werden die Formate so winzig, dass sich eine sinnvolle Fortsetzung der Reihe nicht wirklich aufdrängt. Es gibt dann auch noch die Formatreihen DIN C für Briefumschläge und DIN B für “Umschläge für Umschläge”, die dann ermöglichen, dass genormte Briefe und Karten bzw. auch wieder Briefe selbst problemlos ins Kuvert zu packen sind.

Zu Beginn dieses kunterbunten Spiel- und Praxisheftes gibt Hans Walter eine kleine Einführung in die mathematischen Freuden der DIN-Formate. Im Abschlussteil präsentiert er etwas ausführlicher die Geschichte der Normformate, beginnend mit dem begnadeten Mathematiker, Physiker und Satiriker Georg Christoph Lichtenberg, der schon 1786 seine Studenten mit der Formel für die heutigen DIN-Formate rechnen ließ. Auch die Franzosen führten wohl zusammen mit dem metrischen System gleich nach ihrer großen Revolution auch eine entsprechende Normung ein, die dann mit der Restauration 1815 wieder abgeschafft und vergessen wurde.Was irgendwie geradezu zum gedanklichen Seitensprung animiert: Wann schreibt eigentlich mal ein kluger Mensch ein Buch über die wilde Lust der Menschen, mit aller Macht in längst überwundene Zustände zurückkehren zu wollen, all diese Restaurationen, Konterrevolutionen, Historizismen?

Dabei war die Normierung aller gängigen Produkte das Gebot der Zeit. Ohne solche Normierung ist moderne Industrieproduktion nicht denkbar. In Deutschland waren es der Chemiker Wilhelm Ostwald mit seinem “Weltformat” und sein zeitweiliger Assistent Walter Porstmann, die die Sache mit der deutschen Industrienorm für Papier vorantrieben. Den Vorschlag Porstmanns griff dann der 1917 gegründete Ausschuss für Deutsche Industrie-Norm auf. Die deutsche DIN wurde dann zur Grundlage für die europäische und weiterführend für die internationale Norm EN ISO 216.

Aus der Reihe tanzen bis heute die USA, die noch immer mit Zoll rechnen und ein entsprechend deutlich abweichendes US-Letter-Format haben. Mit dem einer wie der Mathematiker Hans Walser wohl auch nicht gern rechnen und falten würde. Während sich das DIN-Format mit seiner mathematischen Schönheit geradezu aufdrängt dafür. In dieser Broschur hat er lauter Aufgaben und Beispiele aus der eigenen Praxis und von Freunden, Kollegen und Geometrieliebhabern gesammelt, die zeigen, was für Welten sich auftun, wenn man sich einfach mit einem Stapel genormter Papiere beschäftigt. Sie könnten (und sollten vielleicht) auch bunt sein, so dass sich die faszinierend und scheinbar so simplen Falt-Gebilde ergeben, von denen man einige im Buch findet.

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Der Leser merkt schnell, wie überraschend er mit den DIN-Formaten in jenen Bereichen landet, wo Mathematiker und Geometriker erst so richtig hibbelig werden – bei Spiralen, Grenzpunkten, Rastern, DIN-Quadern und DIN-Hyperquadern. Man entdeckt die tiefen Schönheiten von Symmetrien, begegnet auch wieder dem guten alten Bekannten Goldener Schnitt – der dem DIN-Format sichtlich näher verwandt ist als dem US-Letter. Es regnet viele Aufgaben (die auch alle am Ende der Kapitel ordentlich aufgelöst werden. Aber wer will das schon, außer um zu erfahren, dass der gewählte Lösungsweg der goldrichtige war?).

Man begegnet dem Silbernen Rechteck, gerät in die Welt von Achtecken, orthogonalen Kreisen, Rhombendodekaedern und Kuboktaedern. Und darf immer wieder handwerklich tätig werden. Ein einziger Spaß für Leute, die klare Strukturen, logische Folgen und ein paar richtige Herausforderungen für das tagtäglich unterforderte Gehirn mögen. Vieles erfordert ganz bestimmt Geduld. Und für die eher Ungeübten natürlich auch die Bereitschaft, sich wieder mit ein paar vor Urzeiten gelernten Formeln und Rechenwegen zu beschäftigen. Aber das ist ja der Reiz an der Sache, dieses durchaus Begeisterung entfachende “Gewusst wie”, das auch heutzutage noch ein paar gute Mathematiklehrer zu vermitteln wissen, wenn sie dürfen.

Hans Walser “DIN A4 in Raum und Zeit”, Edition am Gutenbergplatz Leipzig, Leipzig 2013, 16,50 Euro

Über den Autor: www.walser-h-m.ch

Zum Verlag: www.eagle-leipzig.de

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