Was macht man nun mit diesem seltsamen Fest, das eine ganze Gesellschaft zwei Monate lang in einen rasenden Rausch verfallen lässt, in Panik und Verzweiflung? Muss das sein? Ist das irgendwo historisch verbürgt? Keinesfalls, stellt Martina Güldemann fest. Sie hat sich mit dem Weihnachtsfest in Leipzig ein bisschen eingehender beschäftigt.

Auch kurzweilig. Es sollte ja kein wissenschaftliches Buch werden, sondern eins über das schönste Familienfest. Oder jedenfalls das Fest, das immer das schönste werden soll. Auch dafür machen Väter und Mütter allerlei Handstände. Und wären doch froh, wenn das irgendwie anders ginge. Geht es ja auch. Es gab ja auch mal Zeiten, zu denen teure Geschenke zum Weihnachtsfest sogar verboten waren. Der Leipziger Rat hatte sogar Strafen ausgesetzt. Aber das ist lange her. Das war noch in Zeiten, als das Weihnachtsfest nicht so überladen war mit Symbolen und Attributen wie heute. Jedes einzelne Stück, das heute als so selbstverständlich zum Fest gehört, hat seine eigene Geschichte. Und überraschenderweise (oder auch nicht) ist es ausgerechnet der Stollen – in Leipzig: die Stolle – dem die längste Vorgeschichte beschieden ist.
Und die Leipziger waren seinerzeit freundlichst angefragt, beim Papst vorstellig zu werden, das Butterbackverbot aufzuheben. Butter war ja nicht erlaubt in der Fastenzeit. Aber ein Stollen ohne Butter? – Die Sachsen bekamen 1491 ihre Buttererlaubnis. Der Stollen war gerettet. Der Weihnachtsbaum kam dann erst 200 Jahre später dazu. Selbst Goethe hatte seinen kleinen Weihnachtsbaumspaß in Leipzig. Martina Güldemann hat die Geschichte ausgegraben. Und erwähnt so nebenbei, dass der Leipziger Weihnachtsmarkt sich doch bescheiden muss. Er wird nie so alt sein wie der Dresdner Striezelmarkt. Was Gründe hat. Aber ab 1785 ist er wirklich nachweisbar – für Leipzig ganz zünftig: als ein Verkaufsereignis. Was er bis heute ist.

Hier werden Wünsche wahr. Und auch das Historische Doppelstockkarrussel findet Erwähnung, das 2009 so dramatisch abbrannte. Die Geschichten aus der Geschichte mischen sich mit den Erlebnisberichten aus der eigenen Familie und von Freunden und Bekannten. Da wird es auch nostalgisch – denn wer bringt heute noch seine Stollen zum Bäcker, wer kennt noch die Verzauberung eines Westpäckchens vorm Weihnachtsfest? – Es gibt auch tragische Erinnerungen. Etwa an das Weihnachtsfest 1943, das viele Leipziger als Ausgebombte erlebten. Erst Anfang Dezember waren die Bomber über die Stadt geflogen.

Aber auch in armen Jahren versuchten die Leipziger natürlich, sich dieses eine Fest schön zu gestalten. Es steckt hinter dem großen Konsumgewimmel von heute eben doch noch die Freude am Beisammensein. Und besonders hell strahlen die Erinnerungen an die Kindheit, an Schlittschuhabenteuer auf dem Schwanenteich oder das Weihnachtsbaumschmücken mit dem Vater, dem wohl innigsten Moment des Jahres. Erwachsene erinnern sich dann eher an die Dramen drumherum – den Versuch, eine fehlkonstruierte Schule zu beheizen oder aus vier “Krücken” zwei vernünftige Weihnachtsbäume zu machen.

Und wer war das eigentlich, der da vergoldete Kartoffeln an den Baum hängte? – Es ist keines der üblichen heimeligen Weihnachtsbücher geworden, sondern ein richtiges Großstadt-Weihnachtsbuch, in dem auch die jüngere Geschichte lebendig wird. Ein eisiger Hungerwinter nach dem letzten Weltkrieg, in dem eine gewonnene Cervelatwurst auf einmal der Hauptgewinn ist. Oder ein fast verunglücktes Weihnachtsfest jüngerer Zeit, weil das wohl behütete Weihnachtsmannkostüm zum falschen Zeitpunkt außer Haus ist. Und die Thomaner fehlen natürlich auch nicht, die damals, damals tatsächlich noch singend durch die winterlichen Straßen zogen. Heute muss man sich für Karten anstellen, wenn man sie zur Weihnachtszeit in der Thomaskirche singen hören möchte.

Aber das gehört ja auch zum Fest: Nicht alles erfüllt sich. Manches kommt anders, als man denkt – etwa die Sache mit Lemmermanns Verlobungsgeschenk.

Bestellen Sie dieses Buch versandkostenfrei im Online-Shop – gern auch als Geschenk verpackt.

Leipziger Weihnachtsgeschichten
Martina Güldemann, Wartberg Verlag 2013, 11,00 Euro

Und am Ende weiß man zumindest, dass die Leipziger das Fest so gern feiern wie andere Leute auch, vielleicht etwas aufgeregter und praktischer. Und mit dem innigen Wunsch, irgendjemand möge das Geschenkeunwesen vielleicht doch mal verbieten, damit dieser Stress mal aufhört. Aber das wird wohl keiner tun. Man kann es nur selbst ändern. Wenn man will. Aber was wäre dann wieder das Leipziger Weihnachtsfest ohne den Leipziger Weihnachtsmarkt? Irgendwie fehlte dann was.

Nicht zu vergessen: Auch das eine oder andere berühmte deutsche Weihnachtslied hat seine Wurzeln in Leipzig. Das mit dem Tannenbaum gehört dazu. Die Geschichte dazu findet man auch in diesem Büchlein.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar