Am 3. Mai, zum Frühjahrsrundgang in der Spinnerei, eröffnet die Galerie Queen Anne die Doppel-Ausstellung "Animated Lounges". Sie zeigt zwei Künstler, die irgendwie zusammen gehören - Will Kurtz mit seinen "Cats and Dogs" und Cyril Massimelli mit "Lounges". Für "Lounges" gibt es schon mal den Katalog, der zeigt, was für ein eigenwilliger Franzose da 2005 nach Dresden zog.

Johannes Schmidt nennt zwar in seiner “Bildbefragung” im Katalog allerlei Künstler, die er im Bildwerk von Massimelli in Anklängen wiederfindet, allen voran den Amerikaner Edward Popper. Er geht auch mit einer steilen These in den Text: “Das Thema eines Gemäldes erscheint im Jahr 2013 nachrangig gegenüber formellen Fragen.” Aber eigentlich stellt er sie nur hin, um dann festzustellen, dass Massimelli eindeutig “Szenen heutigen Lebens” darstellt. Womit Massimelli keine Ausnahme ist. Das Problem der Kunstwissenschaftler ist immer wieder, dass sie verallgemeinern, wo es nichts zu verallgemeinern gibt. Sämtliche Kunststile stehen heute in immer neuen Traditionen und Korrespondenzen nebeneinander. Und Massimelli, der von der Fotografie her kommt, zeigt nur ein bisschen deutlicher als andere, dass er die Kunstgeschichte kennt und sich einigen Malern einfach verwandt fühlt. Einer ganzen Menge sogar.

Ist ja nicht so, dass man zu Veroneses Zeiten nicht ganz ähnliche Fragen als Künstler darstellen wollte. Mantegna nennt Schmidt noch, Caravaggio. Wahrscheinlich sind die Italiener des 15. und 16. Jahrhunderts seine Steckenpferde. Fast wartet man darauf, dass er auch den nächsten Schritt tut. Aber er tut ihn nicht. Rätselt lieber über “ausgeklügelte Lichtregie” oder gar den “Realitätsbezug unserer persönlichen Utopien”.Seit rund zehn Jahren malt Massimelli seine “Lounges”. Und es sind nicht nur Edward Hopper und die Italiener, die man in seinen Bildern wiederfindet. Wenn man danach sucht. Und die Bilder fordern geradezu dazu heraus. Gerade weil man sich immer wieder über allerlei Gesten und Posen wundert, die Massimellis Figuren einnehmen, während sie doch eigentlich nur in einer Bar sitzen, an einem Swimmingpool, im Park. Lauter Situationen des Wartens, wenn man so will, des Zeit-Herumbringens. Als wäre unser Zeitalter eines der ewigen Partys, Empfänge und Vernissagen, bei denen Leute beziehungslos nebeneinander sitzen, stehen, trinken, warten. Wie in Edward Hoppers “Nighthawks”.

Aber ist es das wirklich? Sind das hier alles Leute, die schön und jung auf nichts mehr warten als dass die Zeit vergeht? Zutiefst gelangweilt, abwesend, unaufgeregt? Ist unsere Welt nur noch eine der Aufenthaltsräume, die man betritt, sich drin aufhält, um dann wieder daraus zu verschwinden, um Wichtigeres zu tun?

Wäre da nicht Massimellis auffälliges Spiel mit unverwechselbaren Haltungen und Posen, die man von den berühmten Meisterwerken der Malerei kennt. Nicht nur von den Italienern, denn man stolpert genauso über Szenen von Degas, Manet und Renoir. Und wer seine Kunstikonen im Kopf hat, wird noch mehr finden. Bis hin zu antiken Friesen, die sich bei Massimelli in eine scheinbar seltsame Gruppe von Partygästen am Pool verwandeln.

Und wenn man schon über Beleuchtung philosophiert, dann fällt einem natürlich auf, woher die von Masimelli so gern genutzte Beleuchtung von unten eigentlich stammt: aus Max Klingers “Blauer Stunde”. Und viele der Bilder Massimellis sind Blaue Stunden. Momente des Übergangs und der Stille – der Lärm des Tages ist vorbei, man geht gerade erst zur Geselligkeit über. Man findet sich ein an Orten, die zur Geselligkeit einladen. Orten, die auf den Betrachter wie eine Bühne wirken. Aber genauso hat auch die Bühne einst auf Degas gewirkt. Es scheinen seine Tänzerinnen zu sein, die hier mit dieser märchenhaften Beleuchtung auf Sofas und an Cafétischen sitzen. Massimelli hat sie einfach herübergeholt in die Aufenthaltszonen der Gegenwart. Da dürfen auch all jene reizenden Frauen nicht fehlen, die in der Kunstgeschichte nackt posiert haben als Aphrodite oder Venus. Sie tauchen als Striptease-Tänzerin oder Fotomodel wieder auf.

Der Party-Raum wird zur Begegnungsstätte, in der man unverhofft all den Schönen und Grazilen der Weltmalerei begegnen kann. Auftauchend, als wären Massimellis Lounges nur ein ganz gewöhnlicher Transit und es eigentlich ganz normal, dass sich die Kunstepochen so selbstverständlich und gelassen begegnen. Kurz mal auf der Durchreise aus einer Parkszene von Renoir hinüber in ein altes römisches Fresko.Für Betrachter durchaus ein zwiespältiges Erlebnis: Ist das nun alles inszeniert? Zeigt sich hier – wie bei Hopper – die Nähe zu Film- und Fotoinszenierung? Sind die Dargestellten tatsächlich so passiv, wie es Carolin Modes und Esther Niebel in ihrem Textbeitrag im Katalog beschreiben? Oder übersieht man, wenn man zu flüchtig schaut, wie sich in diesen Bildern ganz lautlos etwas entspinnt? Wie gerade die scheinbare Stille zum Rahmen für Blicke, Gesten, Kontaktaufnahmen wird – eben das, was ja für gewöhnlich auch Partys zum Knistern bringt.

In Massimellis Bildern passiert viel mehr, als man auf den ersten Blick vermutet. Ihre Magie sind die kleinen Gesten, Blicke und Beziehungen quer durch den Raum. Und natürlich zeigen sie auch, wie vertraut uns die Bilderwelt von Caravaggio bis Tizian noch heute ist. Oder sollte man sagen: Wie vertraut uns diese Menschen noch sind in all ihrer Sinnlichkeit, Verträumtheit, Neugier? Nun sitzen und stehen sie hier, der Abend hat gerade begonnen, alles ist möglich.

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Cyril Massimelli
Carolin Modes, Esther Niebel, E. A. Seemann Verlag 2014, 19,95 Euro

Die Lounge ist auch ein Transitraum zwischen Gefühlen, ein Zwischenzustand, die Insel der Gelassenheit in einer sonst vom Fieber besessenen Welt. Und damit – so seltsam das klingt – der Sehnsuchtsort unserer Zeit, dieser beruhigende Ort des “noch nicht”.

Natürlich nicht auszuhalten für Leute, die immerfort beweisen müssen, wie betriebsam sie sind. Kein Ort, kein Stündchen mehr, die nicht dem heutigen Geist der Nützlichkeit und Effizienz geopfert werden. Massimellis Bilder sind wie ein gemütliches “Ihr könnt mich mal.” Und dann bestellt er sich ein Bierchen und stellt sich zu den anderen oder lehnt sich an die verträumte Blondine, hört zu, was sie sagt. Das Leben darf jetzt einfach mal so sein, wie es ist.

www.queen-anne.de/aktuelles/items/animated-lounges-203.html

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