Vielleicht muss man ein bisschen suchen im Kinderbuchregal. Aber die Suche lohnt sich. Es gibt wieder Kinderbücher aus Leipzig. Schon eine ganze Weile. So hat die "Kleine Hexe Toscanella" von Gunter Preuß im Lychatz Verlag ein Zuhause gefunden. Und vor zwei Jahren taten sich erstmals ein beliebter Autor aus der Lausitz und ein begnadeter Illustrator aus Halle zusammen: Jurij Koch und Thomas Leibe.

Damals schufen sie zusammen das Bilderbuch “Bauer Sauer und der Maulwurf Ulf”. Es ist eine jener typischen Koch-Geschichten, die aus den Leben hienieden erzählen. Es braucht keine phantasievollen Höhenflüge, um phantasievolle Geschichten zu schreiben. Nicht nur in der Lausitz passieren sie jeden Tag und gleich um die Ecke. Mit Oma Kata-Marka ist es genauso. Sie hat einen kleinen Hof mit allerlei bunten Hühnern und einem Hahn. Der Hahn heißt Tobi und ist der König in seinem Reich. Er sorgt nicht nur dafür, dass in seinem Hühnerhaufen alles seinen geregelten Gang geht. Er beschützt sein liebes Federvieh auch. Denn die Bedrohung lauert im Himmel und heißt Kralle, Mäusebussard von Beruf.Aber wie das so ist in einem klassischen Hühnerhof: Aus Eiern schlüpfen nicht nur Hühner, sondern dann und wann auch ein neuer Hahn. Und dann steht – so ist das ja nicht nur im Tierreich – die Machtfrage: Wer ist der neue Champion im Hühnerhof?

Das muss geklärt werden. Und da jeder Neue ein bisschen dumm ist und glaubt, er könne die Welt einreißen, zeigt Paul, der Neue, erst einmal, wie man Hühnern den Kopf verdreht und den Alten eben alt aussehen lässt.

Steckt da ein Stück Lebensweisheit drin? – Bei Jurij Koch ja immer. Immerhin ist er ja auch schon 76. Da hat man auch das schon erlebt, wie die Jungen eiligst versuchen, die Welt zu verbessern und den Alten nicht mehr zuhören wollen oder gar jeden Respekt verlieren. Das tut keinem Hühnerhof gut und treibt in der Regel auf nichts anderes als Zank und Streit und fliegende Federn hinaus. Und am Ende freut sich der Dritte.

Aber erst einmal geht’s zur Sache. Tobi zeigt Paul, was ein ordentlicher Stupser ist. Und Paul beweist, dass er Tobi in die Pfanne hauen kann, wenn er will. Man muss ihn ja nur bei Oma Kata-Marka ordentlich anschwärzen und in Verruf bringen – mit einem Happen von Omas Kuchen und Omas selbstgestrickter blauer Jacke, die dran glauben muss.Schon das ist Stoff genug, den der zwei Generationen jüngere Thomas Leibe mit Humor in Bilder setzt. Tobi bekommt Weste und Taschenuhr, Paul ein schniekes Hemd mit blauen Sternen. Omas Hof liegt in einer reizenden hügeligen Landschaft, wie man sie sich vorstellt, wenn man mal an Landleben denkt. Hund Laudan hat eine ordentliche Hundehütte aus Brettern. Und Oma ist auch kein graues Mäuschen, sondern eine handfeste Oma, wie man sie sich auf einem Bauernhof in der Lausitz so denkt. Mit zwei Kampfhähnen wird sie allemal fertig. Ein Fußballspiel soll’s richten. Aber wie das beim Fußball so ist: Alle starren auf den Ball und merken zu spät, dass das Unheil naht. Wie gehabt: von oben. Omas Warnruf kommt zu spät und Paul wird unverhofft zum Schnäppchen für den Bussard.

Das ist die Stelle, an der die Filmmusik für gewöhnlich basslastig wird und die Trompeten schmettern. Hier ist Entscheidung gefragt und Kampfgeist. Achja: und Teamgeist. Ist Paul einer von uns? – Kann man diskutieren. Tobi diskutiert nicht, sondern wächst. An sich selbst, wie das so schön heißt, springt über seinen Schatten, vergisst allen Streit. Auf in den Kampf. Wenn Hühner eine Chance haben wollen gegen Kralle, den Räuber, dann heißt es: Alle für einen! Alle für Paul!

Und wenn Mama und Papa beim Vorlesen an dieser Stelle in Raserei verfallen, darf man sie ruhig bremsen. Aufregung vorm Schlafengehen ist niemals gut. Die Hühner machen das schon, wie man auf Leibes Bildern sieht, die die Geschichte illustrieren, wie man ein echtes Heldendrama inszeniert. Hier lässt sich keiner was gefallen. Paul ist einer von uns. Und am Ende ist es nur eine Frage, ob Kralle mit allen Federn davonkommt oder nur als gerupfter Vogel.

Eine schone Geschichte, mit der Jurij Koch daran erinnert, wie schön es ist, gemeinsam stark zu sein. Auch wenn man nur ein armer Hahn oder ein armes Huhn ist. Kralles gibt es genug. Sie sind die Überflieger und Allgegenwärtigen. Sie lauern nur auf ihre Beute. Und die Beute kann jeder sein, der zu laut kräht im Hühnerhof. Heißt das dann : Schnabel halten? Wegducken? Gackern einstellen? – Nicht bei Oma Kata-Marka. Ihre Hühner sind ihr Reich. Und sie weiß ihre Hühnerschar zu ködern, wenn es drauf ankommt. Oder wenn es mal wieder zu heftig herging da draußen. Dann gibt’s Napfkuchen für alle. Möchte man da Huhn sein oder Enkel? Besuchen könnte man sie mal wieder.

“Oma Kata-Marka und die Streithähne”, Jurij Koch, Lychatz Verlag 2014, 9,95 Euro

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