Dreht sich die Geschichte im Kreis? Kommt ein neues Mittelalter auf uns zu? Die Bärte wachsen ja schon. Manch ein Zeitgenosse sieht schon wieder aus wie ein wilder Ritter oder ein zerzauster Eremit. Im TV halten Historien-Melodramen das Publikum bei Laune und in den Buchhandlungen stapeln sich die Romane mit historischem Kolorit. Bevorzugter Topos: das grimmige Mittelalter. Auch Bernhard Künzner versucht, die Welt vor 700 Jahren wieder lebendig werden zu lassen.

Dass er es mit einer gewissen Intention tut, sieht man, wenn man seine anderen bisher erschienenen Buchtitel zu Rate zieht. Dazu gehört auch “Zwischen dunklen Mächten”, 2010 erschienen. Es ist die Geschichte des Mönch Stephans, der dem Kloster entflieht und in den Zeiten der Pest erfährt, dass er augenscheinlich über besondere Heilungskräfte verfügt.
Der neue Roman von Künzner ist praktisch die Fortsetzung dieses Buches. Stephan ist mittlerweile auf dem Schloss des Fürsten von Waldenburg gelandet, irgendwo in Bayern gelegen bei einem Städtchen gleichen Namens. Und wieder hat eine Plage das Land heimgesucht – diesmal eine lange Regenzeit, die das Land bis weit in den Sommer unter Wasser gesetzt hat – die Ernte scheint komplett auszufallen, die Menschen darben und über Bayern ziehen finstere politische Wolken auf: der Städtekrieg von 1387/1389 nimmt seinen Lauf, in dem die Städte des schwäbischen Städtebundes (darunter auch einige wichtige Städte Frankens) mit den bayerischen Herzögen im Clinch liegen und alles auf eine große militärische Konfrontation des Fürstenheeres mit den Streitkräften der Städte hinausläuft.

Stephan ist diesmal nicht die Hauptperson. Diesmal dreht sich das Ganze eher um den Fürsten Matthias von Waldenburg, seine ungestüme Tochter Gloria und irgendwie auch um ihre diversen Schützlinge und Verehrer – darunter den Schmied Ulrich und den Bauernsohn Matthias. Ein reiches Ensemble, das letztlich in Aktion treten muss, als der Fürst – geplagt vom Hexenschuss – einen ganzen Becher Eibensaft trinkt und zum vorläufigen Pflegefall wird. Künzner zieht das ganze Register der Dramaturgie, lässt Gloria beweisen, wie schrecklich weiblicher Stolz sich rächen kann, Ulrich wird zum noblen Retter. Der landflüchtige Matthias dito, als er nicht nur das Fürstenheer, das das Schloss belagert, ausspioniert, sondern auch gleich noch die Pulvervorräte der Kanonen in den Regen kippt. Es geht so einiges drüber und drunter im großen Regen, der die Belagerung der Burg übergießt.

Bernhard Künzner hat zwar versucht, seine Geschichte zeitlich einzuordnen und das historische Kolorit einzufangen. Aber ihm geht es wie vielen anderen Autoren des Genres: Auch er kann nicht aus seiner Haut, aus der Haut eines Bewohners des Informationszeitalters, der wohl schon einige auf Action getrimmte Hollywood-Blockbuster mit edlen Rittern, Königen und Prinzessinnen gesehen hat, dazu auch noch die Variationen aus dem Hause Disney, die jede Prinzessin in ein verwöhntes heutiges College-Girl verwandeln, das frustriert zum Ausschnappen neigt, wenn ihr gestrenger Vater nur die Braue runzelt. Da werden auch arme Bauern schnell zum Prinzen, sind Bewohner romantischer Städtchen geradezu herzerwärmend hilfsbereit, Soldaten voller Ehre und Fürsten rührend besorgt um das ihnen anvertraute Völkchen. Da lebt die ganze märchenhafte Idyllisierung des Mittelalters.

Und irgendwie kann sich auch Künzner nicht davon lösen. Eigentlich möchte er eine schöne Geschichte um den Irrtum der Herzen schreiben, falschen Stolz und edle Rettungsbereitschaft. Das wird natürlich märchenhaft, geht drunter und drüber und verlässt auch immer wieder den Rahmen, den die von Künzner gesetzte Zeitspanne kurz vor dem Egerer Landfrieden eigentlich setzt. Es ist ein Spagat, moderne Vorstellungen einer richtig dramatischen Geschichte in ein fernes Jahrhundert zu verpflanzen. Das fällt spätestens auf, wenn “Maisstauden ihre dunkelgrünen Blätter aus dem Schlamm” recken.

Entstanden ist so eine Geschichte, die man sich gut als Disney-Verfilmung vorstellen kann mit dem köstlichen Erschrecken, wenn die Gemahlin des weisen Fürsten entdeckt, dass er den ganzen Eibensaft auf einmal getrunken hat, der zornig aufstampfenden Gloria, als sie merkt, dass sie die eigentliche Wendung der Ereignisse einfach im Gärtnerhaus verschlafen hat, und dem völlig verzweifelten Pferdeknecht, der die ganze Liebes-Werbung des Schmieds aus lauter Dummduseligkeit vermasselt hat, und dann die Final-Szene, als ein paar weiße Fahnen genügen, die Eroberung der Burg zu verhindern. Ein Buch also für alle, die die Sache mit der strengen Historie nicht so ernst nehmen und dafür lieber herzergreifende Gefühlsverwirrungen mögen und eine Personage, die auch im letzten Schiedsgericht das Format edler Gefühle zeigt, wenn Schmied Ulrich den Verrat auf sich nimmt, um seine angebetete Gloria zur Ehrlichkeit herauszufordern. Ein bisschen Walter Scott schwingt da mit, ein bisschen Dumas, ein bisschen Rousseau.

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Der dunkle Schleier fällt
Bernhard Künzner, EinBuch Verlag 2014, 13,90 Euro

Am Ende scheint wieder die Sonne über dem geschundenen Land, die fremden Truppen ziehen wieder ab. Und wer’s nicht glaubt, der darf von hinten anfangen zu lesen.

http://einbuch-verlag.de

Der Städtekrieg 1387-1389 auf Wikipedia:
http://de.wikipedia.org/wiki/St%C3%A4dtekrieg_1387%E2%80%931389

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