Kein Mensch weiß, wie die Zukunft aussieht. Aber eine Menge kluger Leute tüfteln dran. Eigentlich nicht erst seit heute. Der Traum von einer Welt voller Roboter und Androiden ist bald 100 Jahre alt. 1920 erschien Karel Čapeks Drama „R.U.R. – Rossum’s Universal Robots“. Seitdem geistert der Roboter durch die Science Fiction. Und jetzt ist es augenscheinlich bald so weit: Er erobert den Alltag der Menschen.

Zumindest hat Ulrich Eberl so ein Gefühl, dass es jetzt so weit ist. In Leipzig wurde gerade der furiose Robocup ausgetragen, Konzerne testen selbstfahrende Autos auf den Straßen, Stadtwerke planen das smarte, sich selbst steuernde Stromnetz, Unternehmen arbeiten in der Cloud, Smartphones sind vollgepackt mit klugen, interaktiven Programmen, Roboter assistieren im OP, die Polizei versucht mit Algorithmen das Verbrechen zu bekämpfen … Aber wie breit die Front der Forschungsinstitute ist, die derzeit an einer zunehmend vernetzten und roboterisierten Welt arbeiten, das macht der Münchner Technikjournalist Ulrich Eberl in diesem Buch einmal kompakt sichtbar.

Wirklich kompakt. Wer noch nicht drin steckt in der Materie, der wird mit Macht hineingezogen. Denn Eberl, der lange Jahre bei Siemens das Zukunftsmagazin „Pictures of the Future“ leitete, hat das Jahr 2015 genutzt, um um die Welt zu reisen und alle möglichen Forschungslabore, Institute, Hochschulen und Unternehmen zu besuchen, wo an künstlicher Intelligenz gearbeitet wird. Die großen Internetkonzerne von Google bis Amazon geben dafür Milliarden aus, kaufen jedes Unternehmen auf, das sich mit Einzelaspekten einer intelligenten Technik beschäftigt. Staaten, aber auch die EU, finanzieren schon seit Jahren Forschungsprogramme, mit denen die Schaffung intelligenter Programme und humanoider Roboter vorangetrieben wird.

Es erweist sich wie so oft: Die großen Ideen der Science Fiction werden irgendwann alle umgesetzt (mal vom Quatsch mit der Zeitmaschine abgesehen). Manchmal braucht es nur eine Menge Zeit, eine Menge Geld und viele einzelne Forschungsprogramme, die irgendwann zusammenfließen. Und es brauchte in diesem Fall auch die Revolution in der Speichertechnologie. Als Čapek sein „R.U.R.“ schrieb, gab es ja noch nicht einmal Computer und eine Idee davon, wie die hochkomplexen Denk- und Steuerungsvorgänge in so einem Roboter technisch umgesetzt werden könnten. Höchstens die vage Vorstellung, dass man solche autonomen Maschinen auch mit einer Art Moral ausstatten müsste. Was ja dann Isaac Asimov 1942 erstmals in seiner Roboter-Geschichte „Runaround“ durchspielte, wo er erstmals die drei „Roboter-Gesetze“ aufschrieb. Auf die auch Eberl zu sprechen kommt, denn heute sind sie so aktuell, dass ganze Forscher-Teams sich an der Frage abarbeiten: Wie bekommt man so etwas wie Werte, Ziele und Gefühle in die Roboter?

Und es ist nicht nur die explosive Entwicklung der Speichermedien, die heute die Arbeit mit lernenden Computersystemen erst möglich macht und die Idee lernfähiger Roboter auf die Tagesordnung setzt. Es ist auch eine andere Wissenschaft, die erst einmal ihre Power entfalten musste, damit die IT-Forscher überhaupt erst wussten, wie sie vorgehen mussten. Denn Roboter sind (manchmal) nicht nur äußerlich menschenähnlich, sondern sind auch in ihrer Programmierung nach menschlichem Vorbild entwickelt.

Das merkt man, je mehr man sich in dieses Buch hineinliest und je mehr Forschern man begegnet, die versuchen, ihren bewegunsfähigen Maschinen nicht nur Bewegung und Orientierung anzutrainieren, sondern auch Kommunikationsfähigkeit oder gar die Fähigkeit, neue Fertigkeiten zu erlernen. Stoff ist jede Menge da. Das Internet ist voll davon. Ganze Programme und Lernprozesse kann man in die Cloud legen. Das muss der Roboter gar nicht alles mitschleppen. Er lädt es sich einfach runter, wenn er es braucht.

Aber wie lernen Computer? Wie geht das? Da ist man dann mitten in den modernen Neuro- und Kognitionswissenschaften (über die Mario Markus jüngst ein ebenso umfassendes Buch zum Stand der Forschung schrieb). Denn wenn man menschliche Denkfähigkeiten nachvollziehen will, muss man wissen, wie das im menschlichen Gehirn passiert, wie sich Erfahrungen und Wissen dort einprägen, wie Rückkopplungen und Belohnungen funktionieren.

Da kam also in den letzten Jahren so einiges zusammen, das überhaupt erst einmal die richtigen Wege zeigte, wie Roboter funktionieren können, die ja in erster Linie nur mechanische Geräte sind – klug ausgetüftelt mit vielen Bewegungsgraden, eingebauten Kameras, Sensoren und Energiespeichern. Vollgestopft mit künstlichen Neuronen. So lange man diese Geräte nur von außen steuern wollte, war das alles noch ganz einfach. Aber wie konstruiert man lernende Systeme, die auch in der Lage sind, auf unvorhergesehene Situationen zu reagieren?

Daran arbeiten, wenn man Eberl so auf seinen Reisen rund um den Erdball – in die USA, nach Japan, China, in diverse europäische Institute – folgt, viele Forscher auf vielerlei Weise. Die einen versuchen, den Maschinen koordinierte Bewegungsfähigkeit beizubringen, andere versuchen ihre „Sinne“ zu schärfen, wieder andere knobeln daran, wie so eine denkende Maschine in die Lage kommt, vernünftige Entscheidungen treffen zu können. Irgendwie trifft sich das – wie in Kapitel 6 – in der Frage: Wie kann man dem Computer ein menschlich funktionierendes Gehirn verschaffen? Denn Vieles deutet ja darauf hin, dass Roboter fähig sein müssen, kluge, aber auch richtige Entscheidungen selbstständig treffen zu müssen. Gerade dann, wenn sie tatsächlich in die Haushalte der Menschen einziehen und – wie in Japan jetzt schon absehbar – einen Großteil der Betreuung von Senioren zu übernehmen, weil es schlicht mehr alte Menschen gibt als junge Pflegekräfte.

Dabei haben die elektronischen Fleißarbeiter einen Vorteil: Sie können jederzeit vernetzt arbeiten und ihre Erfahrungen und Lernprozesse in die Cloud übertragen. Das ist längst keine Zukunftsmusik mehr. Gerade diese selbstlernenden Systeme sind schon allgegenwärtig, werden von großen Internetanbietern genutzt, aber auch in Smartphones eingebaut. Da sind die Nutzer von heute oft noch Teil des Lernprozesses. Aber Eberl betont nicht zu Unrecht, dass mittlerweile das Wort smart in Mode kommt. Und das bedeutet nun einmal, dass – auf Basis des nun einmal existierenden Internets – immer mehr Prozesse vernetzt werden.

Ein Beispiel ist die moderne Energieerzeugung. Die Zeit der alten, zentralen Kraftwerke geht vorbei. Schon heute hängen Millionen kleiner Energieerzeuger am Netz, deren Datenströme ausgelesen werden können – und müssen. Denn wenn Millionen Quellen unter völlig unterschiedlichen Bedingungen Energie erzeugen, muss das irgendwo ausgesteuert werden, damit die Netze nicht zusammenbrechen oder gar ein Stromausfall alles lahmlegt. Das passiert heute schon und wird sich – je mehr auch Häuser und Haushalte mit all ihren elektrischen Geräten vernetzt sind – noch viel mehr ausweiten. Und ziemlich bald werden überall im Netz intelligente Steuereinheiten entstehen, die mit allen angeschlossenen Geräten kommunizieren und dafür sorgen, dass immer genug Energie da ist, wo sie gebraucht wird.

Da ja auch Autos immer mehr Teil dieses Systems werden (als Batterieträger selbst wieder Speichermedium für Strom), werden sich Menschen auch daran gewöhnen, dass immer mehr Geräte mit ihnen kommunizieren – oder zumindest in der Lage sind. Die wirklich „intelligenten“ Geräte regeln das alles miteinander.

Es geht also nicht nur um Roboter, sondern um die zunehmende intelligente Vernetzung unserer Umwelt – auch dann, wenn man sich als Otto Normalverbraucher noch keinen Hausroboter im Wert eines Mittelklassewagens leisten kann. Und auch kein selbststeuerndes Auto.

Es kann durchaus sein, dass viele der von Eberl beschriebenen Entwicklungen erst im Jahr 2030 ausreifen bis zur Umsetzung. In einer Rahmenhandlung schildert er, wie das Ganze im Jahr 2050 aussehen könnte. Was nicht viel Phantasie braucht, denn die Entwicklungen, die er da schon als Alltag beschreibt, sind heute längst Forschungsgegenstand – manchmal auch schon weit ausgereift. Und auch die Gefahren werden diskutiert. Denn jede Technik ist missbrauchbar. Und die ersten (Viren-)Angriffe auf sensible Infrastrukturen hat es ja schon gegeben. Was aber passiert, wenn auch Waffen immer „intelligenter“ werden und am Ende selbst entscheiden, ob sie töten? Das sei ein „No go“, schreibt Eberl. Aber man kennt ja seine Kraftmeier in der Welt.

Und man fragt sich wohl zu Recht: „Jetzt schon?“ Ist das nicht wieder ein technologischer Sprung, der für diese Menschheit viel zu früh kommt? Denn Eberl begegnet ja auf seiner Reise sehr verantwortungsbewussten Forschern, die vor allem humane Ziele haben: den Menschen das Leben erleichtern, Produktionsprozesse zu optimieren, neue Produkte zu entwickeln, aber auch Lösungen für uralte Probleme zu finden – bis hin zu computergesteuerten Prothesen für Menschen mit Verletzungen und Behinderungen. Eberl bringt das Problem mit den Schlagworten „Killerroboter und Superintelligenz“ zur Sprache – was ihn im nächsten Kapitel zur Frage bringt, ob man Robotern nicht sogar emotionale Intelligenz beibringen kann. Was möglich ist, wohl zur Verblüffung vieler Menschen, die die Menschwerdung für etwas ganz Außerordentliches halten. Aber auch Werte und Gefühle sind Prozesse im Gehirn und aufs engste verbunden mit Belohnungsreaktionen im Gehirn für „richtiges“ Handeln.

Aber alle Diktaturerfahrungen haben ja auch gezeigt, dass man auch Menschen zu Killermaschinen erziehen kann, wenn man ihnen andere Wertvorstellungen und Belohnungen einbläut. Von den Robotern, so zitiert Eberl so manchen der befragten Forscher, werde keine Gefahr ausgehen. Im besten Fall werden sie uns sehr ähnlich und sind in unserem Alltag als wertvolle Helfer überall präsent.

Aber nicht nur in Eberls Rahmengeschichte schafft es ein skrupelloser Mensch, in die Systeme einzugreifen und sie zu missbrauchen. Und nicht ohne Grund geht Eberl auch auf eine Entwicklung ein, die die meisten Nutzer überhaupt nicht bemerken, die aber vor allem ihr Denken und Handeln beeinflusst: „Wenn Algorithmen die Kontrolle übernehmen“. In den sogenannten sozialen Netzwerken ist das schon heute der Fall. Und wer das Thema einigermaßen aufmerksam verfolgt, weiß, welche fatalen Folgen das schon längst bis in die Politik hat – man muss nur an die völlig radikalisierte Diskussion der Flüchtlingsthematik denken, an den zunehmend radikalisierten Wahlkampf eines Donald Trump oder die wahrscheinlich nicht unbedeutende Rolle von Facebook & Co. in der „Brexit“-Debatte.

Die großen Internet-Konzerne sind zwar an der Spitze der Entwicklung, wenn es um die Entwicklung intelligenter Systeme und Maschinen geht. Aber was kommt dabei heraus, wenn die Konzerne selbst unsoziale Apparate ohne humane Werte sind? Oder wenn sie zwischen Geschäft und Moral eine Brandmauer gezogen haben?

Was passiert, wenn all die Forschungen von heute zusammenfließen? Und das werden sie möglicherweise irgendwann, denn sie alle basieren letztlich auf der verfügbaren Datenmenge und Rechenleistung im Netz. Wie kann man sich am Ende gegen feindliche Übernahmen und Angriffe schützen? Oder entstehen völlig neue Arten von Cyber-Kriminalität? Und es spricht Manches dafür, dass die Cyber-Kriminalität schon heute viel größeren Schaden anrichtet als die Rauschgiftkriminalität.

Man versteht Eberls Begeisterung. Denn was er in den Forschungslaboren, auf Messen und bei Wettkämpfen gesehen hat, zeigt, was für einen Sprung die Entwicklung der intelligenten Technik gemacht hat mit Internet, modernen leistungsstarken Speichertechnologien und der Entwicklung der Kognitionsforschung. Manche dieser Entwicklungen werden in den nächsten Jahren Einzug halten in unseren Alltag. Auch viele Haushaltshelfer werden zusehends mit smarter Technik ausgestattet. Und da einige Forscher auch daran arbeiten, die Frage zu klären, ab wann Roboter von Menschen emotional akzeptiert werden, werden einige Entwicklungen auch kaum auf Widerstand oder Zurückhaltung bei den Käufern stoßen.

Die eigentlichen Fragen schwingen am Rande mit – eben die genannten über den politischen oder kriminellen Missbrauch dieser Technik. Denn wo man Menschen intelligent vernetzen kann, kann man sie auch überwachen, bevormunden oder fremdsteuern. Das Beispiel China ist immer wieder präsent. Und die Roboterliteratur hält ja nicht nur die Namen Čapek und Asimov bereit, sondern auch die Namen Huxley, Orwell und William Gibson. Denn wer die Netze hat und damit auch die Macht über die Algorithmen, der kann Gesellschaften steuern. Da sei wieder an das jüngst hier besprochene „Luther!“-Buch von Joachim Köhler erinnert. Luther kannte zwar keine Computer und Roboter, aber er wusste noch vor Descartes mit dessen „Cogito ergo sum“, dass viele Menschen nicht mal ahnen, dass oft auch das Gegenteil zutrifft: Man wird gedacht und läuft mit fremden Programmierungen im Kopf herum – die das Leben zur Hölle machen können.

Oder die Gesellschaft zum Tummelplatz von Rattenfängern, die die Klaviatur der Algorithmen bestens beherrschen. Eigentlich genau das richtige Buch zur Zeit. Denn wenn der Mensch jetzt an der Schwelle steht, seinen Traum von einer künstlich geschaffenen Intelligenz tatsächlich zielstrebig zu verwirklichen, dann ist auch Zeit, darüber nachzudenken, was das für unsere Gesellschaft bedeutet. Oder ob am Ende doch wieder nur Goethes Zauberlehrling zitiert werden muss, weil der dümmste Lehrling eine Technologie in die Hand bekommen hat, die er überhaupt nicht versteht.

Ulrich Eberl Smarte Maschinen, Hanser Verlag, München 2016, 24 Euro.

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