Leute mit Geld, richtig viel Geld, verachten Menschen, die für ihr Geld arbeiten müssen, die Miete zahlen und in Städten wohnen, von denen ihnen nichts gehört. Überall begegnen diese Verachteten Zeichen, die ihnen klar machen, was alles unerwünscht, verboten und sanktioniert ist. Einst öffentliche Orte wurden privatisiert, bekamen Hausordnungen und Überwachungskameras.

Was natürlich alles Ausdruck von Misstrauen ist. Und von der Denkweise reicher Leute über arme Leute. Denn sie verachten die Mittellosen nicht nur, sie halten sie im Grunde umfassend für kriminell, korrupt, gefährlich. Es sind nicht die Armen, die „gatet communities“ bauen, Stacheldraht und Glasscherben auf Mauern stecken, Kameras in Türeingänge hängen und Stahlzäune um Wohnanlagen bauen. Es sind die Besitzenden. Die, die sich mit Geld den wertvollsten Grund in den Städten kaufen können und damit bestimmen, wie Stadt an dieser Stelle aussieht.

Oder besser: nicht mehr aussieht. Denn die neuen Bauten der Fonds und Investoren sind gesichtslos. Schon ihre Architektur zeigt Abwehr, Verachtung und Verschlossenheit. Dass Mickaël Labbé am Ende auch ein Hühnchen mit den Architekten von heute zu rupfen ist, ist nur zu verständlich. Denn sie spielen das Spiel mit und entwerfen Gebäude, die die Abwehr, das Misstrauen, die Ignoranz geradezu ausstrahlen. Denn diese Fassaden dienen vor allem dazu, die Unerwünschten abzuschrecken.

Wenn Stadtbewohner zu Unerwünschten werden

Nur eins scheint völlig verloren: das architektonische Verständnis für die Bedürfnisse der Stadtbewohner.
Wobei es wohl nicht die Architekten waren, die mit dieser Abwehrarchitektur begonnen haben. Der Vertreibungsprozess beginnt ganz friedlich, mit Parolen, die klingen, als wäre all das doch eigentlich gut gemeint, was Städten und ihren Bewohnern angetan wird. Mickaël Labbé beginnt seine sehr philosophische Reise durch die Welt unserer geraubten Städte in Straßburg, der Stadt, in der er lebt und Direktor der Philosophischen Fakultät der Universität Straßburg ist. Und wo sein Stutzen begann, als er merkte, was die Aufwertung eines vorher eher von Armen, Malochern, kleinen Leuten genutzten Platzes am Ende für ein Ergebnis hatte.

Auch diese „Aufwertungs“-Maßnahme wurde mit dem Versprechen von mehr Ordnung, Sauberkeit und Sicherheit verkauft. Proklamationen, die man auch aus Leipzig kennt. Da wird der Stadtraum dann gründlich umgebaut, regelrecht bereinigt. Sauberer ist es hinterher tatsächlich. Und das Publikum, das einige Leute so gar nicht sehen wollen – Obdachlose, Bettler, Jugendliche, alte Leute – war dann tatsächlich verschwunden. Doch mit diesen so gern als Zielscheibe gnadenloser Ordnungspolitik benutzter Menschengruppen verschwanden auch die Menschen, für die der Platz vorher ein Stück Heimat war, Treffpunkt, Erholungsoase in billigen Kneipen, der Mittelpunkt eines ganzen Viertels.

Doch die billigen Kneipen verschwanden. Die Wirte sanierten und erhöhten die Preise, um zu überleben, denn jetzt flanierten hier die Touristen in dem festen Glauben, ein originales Stück Straßburg zu erleben.

Die Glaubenssätze der Stadtplaner

Und dabei sind wir hier in Frankreich. Mickaël Labbé veröffentlichte seine nach und nach verdichteten Überlegungen 2019 in der Edition Payot & Rivages. Felix Kurz hat das Buch jetzt ins Deutsche übersetzt.
Denn dieselben Phänomene gibt es längst weltweit. Sie sind geradezu zu Glaubensätzen in der internationalen Städteplanung geworden. Die Städteplaner glauben tatsächlich, dass sie Städte sauberer, sicherer und kontrollierbarer machen, wenn sie öffentliche Räume nach diesen Prämissen umbauen. Und damit letztlich in Nicht-Orte verwandeln, die sich allesamt zum Verwechseln ähnlich sind und alle Bauteile aufweisen, die aus dem Modellbaukasten der kontrollierten Stadt stammen. Foucault lässt grüßen.

Nur dass man, wenn man mit Labbé das Phänomen der modernen Stadt umkreist, in dem hinter Schlagworten wie Urbanisierung und „Lebensqualität“ tatsächliche Prozesse der Ausgrenzung, Enteignung und Privatisierung stattfinden, der Frage der bewohnbaren Stadt auf den Grund gehen muss.

Meist richtet sich die mit „Bürgerpartizipation“ verkündete Maßnahme zwar irgendwie gegen einige wenige als deviant begriffene Gruppen – Obdachlose, Dealer, Bettler, Trinker und „randalierende“ Jugendliche. Aber die Maßnahmen, die dann ergriffen werden, zerstören auch für alle Anderen die Aufenthaltsqualität – seien es Bänke, auf denen man nicht mehr gut sitzen kann, große gepflasterte Platzflächen ohne Schatten, maximale Ausleuchtung mit aggressivem Licht, Beschallung mit aufdringlicher Musik, Kameras an jedem Mast und patrouillierende Securitys … Die Liste lässt sich noch viel weiter führen. Der Zweck und das Ergebnis sind immer dasselbe: Es entstehen Orte ohne eigenes Gesicht, an denen sich niemand mehr länger aufhalten will.

Eine pathologische Entwicklung

Und im Ergebnis entsteht ein Prozess, in dem die Stadtbewohner erst aus ihrem eigenen, zuvor gern als „verwahrlost“ bezeichneten Kiez vertrieben werden und nach und nach das Leben in der Stadt immer ungemütlicher und unaushaltbarer wird. „Wir sind heute mehr denn je der Möglichkeit beraubt, unser eigenes Leben zu gestalten, indem wir die Orte gestalten, an denen es sich abspielt – ein Hauptanliegen des Gedankens ‘Recht auf Stadt’“, schreibt Labbé. „Die Privatisierung urbaner Räume, die Zunahme von Strategien der Ausgrenzung und Kontrolle, die kommerzielle Ausbeutung immer größerer Gebiete und die Herstellung einer stereotyp-standardisierten Stadt durch aggressives City-Branding sind nur einige der Phänomene, in denen eine pathologische Entwicklung deutlich wird.“

Es sind nicht mehr die Bewohner der Stadt, die ihre Stadt gestalten, verändern und beleben, sondern anonyme Fonds und „Entwickler“, die ganze Stadtquartiere am Reißbrett entwerfen lassen und vor allem eines im Sinn haben: mit ihren Immobilien richtig viel Geld zu verdienen. Und da sie über die nötigen Investitionsmittel verfügen, können sie nicht nur alles aufkaufen, was in den meist unter kargen Haushalten leidenden Städten an Grundstücken und Immobilien auf den Markt kommt – sie können der Stadt auch ihre „Visionen“ aufdrängen, wie das aussehen soll, was sie da als „urbanes Quartier“ aus dem Boden stampfen lassen. Das dann aber mit „urban“ nicht mehr viel zu tun hat. Den Profit denkt so nicht.

Profit denkt groß und clean und in Kategorien der vollkommenen Kontrolle. Was ihm aber vollkommen abgeht, ist das geringste Verständnis für Gemeinschaft, das „Wir“, das Labbé in seinen Betrachtungen mit dem „Wo“ verknüpft. Denn Stadt ist für ihre Bewohner eigentlich nicht nur Lebensraum, sondern ein Raum des Wahrgenommenwerdens, der Kommunikation, des sozialen Umgangs.

Menschen ohne Sozialkontakte

Da muss man nicht allzu viele Stadtplanungen gesehen haben, um zu wissen, dass das eigentlich nie in den schönen Visualisierungen der Planer vorkommt. Man bekommt zwar immer schöne Bilder mit schönen (weißen und jungen) Menschen zu sehen, die irgendwie stolz über saubere Wege zwischen blendend weißen Gebäuden schreiten. Nur: Wohin?

Selten sieht man mal eine Bank. Man sieht keinen Lotto-Kiosk, keine Eckkneipe, keinen „Späti“, kein Hinweisschild auf den Arzt um die Ecke, den Kindergarten, die Schule. Es sind sterile Welten mit sterilen Menschen, die nichts miteinander zu schaffen haben. Denn nach ihrem schicken Gang über den Weg verschwinden sie ihren teuren Lofts. Mit der Stadt und ihren nicht so smarten Bewohnern haben sie nichts zu tun.

Tatsächlich laufen diese Schattenwesen durch enteignete Räume. Besonders drastisch kann es Labbé an Orten schildern, die leider Opfer des Tourismus geworden sind und sich so radikal den Touristenströmen angepasst haben, dass für die einstigen Bewohner gar kein Platz mehr ist (wie in Venedig) oder diese sich die neuen hohen Touristenpreise nicht mehr leisten können. Oder einfach nur noch teure Läden aus dem Katalog die Hauptstraße besiedeln, während kleine Händer und Gewerbetreibende, die einst das Flair der Straße ausmachten, verdrängt wurden, weil sie sich die neuen Mieten nicht mehr leisten können.

Geld hat kein Gewissen

Einige Phänomene sind längst auch in Leipzig zu beobachten. Genauso wie die Angst der Stadtplaner, den rücksichtslosen Reichen und Investoren Grenzen zu setzen. Denn Eigentum verpflichtet in Deutschland zu nichts. Aber es schafft Macht und Erpressungspotenzial. Und es bestimmt, wer überhaupt noch als Bewohner der privatisierten Stadt akzeptiert wird. Was weltweit längst in aller Stille passiert. Denn wer mit Geld arbeitet, braucht keine Bürgerbeteiligung. Das Baurecht ist auf seiner Seite. Es muss auch auf Natur und Artenschutz keine Rücksicht nehmen, nicht auf Gewässerrandstreifen und Frischluftschneisen.

Steigende Mieten und die „Aufwertung“ von Stadträumen sind beide Teil des bekannten Themas Gentrifizierung. Nur dass die Reichen keine Ahnung haben von der Vielfalt menschlichen Lebens in der Stadt. Auch die nicht, die dann in den „gated communities“ leben, denn sie sind ja abgeschottet davon, wohnen zwar in der Stadt, haben aber mit den Bewohnern ihrer Straße, ihres Viertels nichts mehr zu tun. Dazwischen sind Mauern, Glaswände und Gegensprechanlagen.

Und scheinbar gibt es keine Mittel gegen diese Privatisierung der Stadt. In einem Kapitel macht sich Labbé sehr umfänglich Gedanken darüber, wie sich die eigentlichen Bewohner der Stadt wehren können gegen diese Enteignung öffentlicher Räume. Ein Mittel, das ganz nachweislich nicht funktioniert, sind die bekannten Besetzungen öffentlicher Plätze – von den Barrikaden der Gelbwesten in Frankreich bis zu Occupy Wall Street oder Nuit debout. Denn selbst wenn die Polizei nicht mit Brutalität den Platz räumt und die Demonstrierenden ausharren, läuft sich ihr Protest mit der Zeit tot – denn die Plätze sind per definitionem nicht zum Leben gebaut. Irgendwann müssen auch die tapfersten Demonstranten zurückkehren in ihre Viertel, ihren Alltag, an ihre Arbeit. Das Leben geht weiter.

Wem gehört die Stadt?

Aber das Leben spielt eben nicht auf den Demonstrationsplätzen, sondern genau da, wo Menschen tatsächlich wohnen. Und da könnte es beginnen, kommt Labbé zu seinem Schluss: Da könnten die Menschen anfangen, sich den sozialen Raum ihrer Stadt zurückzugewinnen. Jedes gemeinsame Projekt, das wieder soziale Begegnungen ermöglicht, hilft – egal, ob Bürgergärten, Gemeinschaftscafés, Nachbarschaftsläden. Aber auch der gemeinsame Kampf gegen städtische Aufwertungspläne, die keine Rücksicht auf gewachsene Strukturen im Viertel nehmen, ist dort möglich.

Denn die Attraktion auch der großen Touristenstädte dieser Welt entstand nicht, weil es da ein paar Sehenswürdigkeiten gibt, sondern weil die Touristen erwarteten, dort direkt in das als exotisch empfundene Leben der Einwohner eintauchen zu können, die kleinen „urigen“ Läden und Cafés besuchen zu können, auf heimischen Märkte heimische Produkte erwerben zu können. Doch die schiere Masse hat die einst so faszinierenden Städte verändert – die Viertel der Einheimischen wurden zu Schlafburgen und Orten der kompletten touristischen Vermarktung. Und die Angebote in den Souvenirshops stammen nicht von heimischen Handwerkern, sondern aus chinesischer Massenproduktion.

Man merkt schon: Labbés Buch richtet sich eigentlich nicht nur an die Menschen in den Städten der Welt, die allesamt von Vertreibung und Enteignung bedroht sind, wenn die großen Haifische auch nur sie Chance neuer Profitquellen wittern. Es richtet sich sehr deutlich an die Architektinnen und Architekten von heute, die die soziale Dimension in ihren Entwürfen regelmäßig ignorieren und Stadtkonstruktionen entwerfen, die für soziale Begegnungen keinen Raum mehr lassen. Und – weniger deutlich – an Stadtplanerinnen und Stadtplaner, die sich nicht nur in Deutschland viel zu oft nur als Erfüllungsgehilfen für die kapitalstarken Investoren verstehen und die Bürger als mögliche Gestalter ihrer Stadt systematisch ignorieren.

Das von Kontrollsucht geprägte Denken der Reichen

Und das tun sie auch, weil sie selbst von den Parolen und Denkweisen der Reichen und Besitzenden infiziert sind, von all den jeden Tag neu wiederholten Forderungen nach mehr Ordnung, mehr Sauberkeit, noch mehr Kontrolle, die sich scheinbar nur gegen ausgewählte, als unerwünscht beschriebene Gruppen richtet. Aber in Wirklichkeit das ganze letztlich unberechenbare Miteinander und Durcheinander der Stadt meint, die Eigenwilligkeit und Unangepasstheit der Bürger und das „wilde Wuchern“ von Stadt, wenn nicht jemand mit dem „eisernen Besen“ durchkehrt.

Ein Ergebnis sind auch die extremen Entmischungen der Stadt – mit zunehmend nur noch dem Konsum und den guten Geschäften überlassenen Innenstädten und den in Randbezirke abgedrängten armen Bevölkerungsgruppen, die auch deshalb schon als andersartig, fremd und gefährlich gesehen werden, weil die Sprecher der wohlhabenden City-Bewohner mit ihnen nichts mehr gemein haben. Auch nicht den Besuch beim Gemüsehändler, beim Friseur oder der Kneipe an der Ecke.

Das Thema ist nicht neu, stellt Labbé noch fest. Im Grunde beschäftigen sich sensible Autorinnen und Autoren damit seit über 50 Jahren. Nur interessiert das weder das große Geld noch die Stadtplaner selbst, die das Bild der komplett kontrollierten Stadt verinnerlicht haben. Was bleibt also?

Es wird nicht ohne die Bürger selbst gehen, die sich ihr „Recht auf Stadt“ wieder erkämpfen müssen – gegen dickfellige Investoren und beratungsresistente Planungsstäbe, in deren Plänen das soziale Miteinander einfach nicht vorkommt. Aber auch hier wird deutlich, wie kaputt unsere Demokratie tatsächlich ist, wenn großes Geld bestimmt, wie unsere Städte aussehen sollen und der Souverän – wir als Bürger – nur tatenlos zuschauen kann, wie unsere Städte und Viertel von Leuten okkupiert werden, die sich nicht die Bohne für die Menschen interessieren, die hier schon ein Leben lang gewohnt haben.

Mickaël Labbé „Platz nehmen gegen eine Architektur der Verachtung“, Edition Nautilus, Hamburg 2023, 20 Euro.

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