Der Titel des Buches ist ernst gemeint. Und die beiden Autoren wissen, wovon sie reden. Matthias Rilling ist einer der weltweit führenden Forscher in der Bodenökologie. Jörg Blech ist Wirtschaftsjournalist beim „Spiegel“. Sie kennen sich über ihre Kinder und sind irgendwann intensiver auf Matthias Rillings Forschungsthema zu sprechen gekommen.
Der eine wahrscheinlich anfangs regelrecht erstaunt und entsetzt. Denn wenn man erst einmal genauer hinschaut, wie Böden weltweit überhaupt erst Leben auf dem festen Land ermöglichen, dann wird einem angst und bange, wenn man sieht, wie die Böden weltweit zerstört werden.
Die beiden haben nicht grundlos den Buchtitel „Mutter Erde“ gewählt. Denn genau das beschreibt, worum es bei den fruchtbaren Böden letztlich geht. Und es geht um mehr als um Ernteerträge, Düngung und Fruchtbarkeit.
Aber weil dazu in der öffentlichen Wahrnehmung in der Regel keine, wirklich keine Kenntnisse vorliegen, gehen die beiden in diesem Buch ganz systematisch vor – bis ins Kleinste und Allerkleinste. Denn wenn man nicht weiß, wie Böden leben und funktionieren, kann man überhaupt nicht verstehen, was für eine Katastrophe es ist, wenn heute fruchtbare Böden weltweit täglich in Hektargröße vernichtet, abgetötet, ausgelaugt und desertifiziert werden.
Auch in Deutschland, wo die Produktion landwirtschaftlicher Güter auf riesigen, industriell und mit schwerem Gerät beackerten Feldern passiert. Felder, die Wind, Regen und Sonne ungeschützt ausgesetzt sind, mit riesigen Lasten künstlicher Düngung zu kämpfen haben, hektoliterweise Pestizide, Insektizide und Fungizide verkraften müssen und gleichzeitig systematisch mit schweren Pflügen zerstört werden.
Der Zoo unter unseren Füßen
Warum das alles so zerstörerisch ist, bekommt man mit, wen Rilling und Blech mit ihren Lesern direkt hineintauchen in die Bodenkrume und – mittlerweile gestützt auf einige Jahre systematischer Bodenforschung weltweit – zeigen, wer und was da eigentlich im Boden lebt.
Von den großen Bewohnern wie den Maulwürfen und Regelwürmern bis zu den Mikrolebewesen, die man mit bloßem Auge nicht sehen kann, die aber hauptverantwortlich sind dafür, dass die Böden Kohlenstoff aufnehmen und über Jahrtausende wertvollen Humus ausbilden.
Und das tun nun einmal winzig kleine Tierchen, die erst das erschaffen, was man so Krume nennt: Viren, Bakterien, Fadenwürmer, Protozoen, Springschwänze. Nicht zu vergessen die Pilze, deren Myzel im Boden regelrecht zum unterirdischen Kommunikations- und Stofftransportsystem wird.
Es sind so viele winzigste Lebewesen, dass die Forscher noch nicht einmal sagen können, was eigentlich jede einzelne Gruppe von Lebewesen bewirkt. Da steht die Forschung noch ganz am Anfang, nur dass schon die ersten Feldforschungen zeigten, wie mit einem Schrumpfen dieses unterirdischen Zoos auch sofort die Fruchtbarkeit des Bodens geringer wird, genauso wie dessen Aufnahmefähigkeit für Kohlenstoff und Wasser.
Was auch deshalb ein höchst aktuelles Thema ist, weil die Böden weltweit der größte Kohlenstoffspeicher sind. Wir Menschen nehmen das nur nicht so wahr, laufen drauf herum, glauben, dass Bauern schon wissen, wie man den Boden pflegt, und denken beim Wort Wüstenbildung eher an Länder im heißen Süden.
Doch die Wüstenbildung ist auch in Deutschland in Gange. Jedes Jahr werden tausende Tonnen fruchtbarer Erde zu Staub und vom Wind verweht. Oder beim Starkregen mitsamt Pestiziden und Dünger in die Flüsse gespült.
Und die Verlustrate lässt sich berechnen, stellen beide Autoren fest. Das heißt: Wir können auch für Deutschland berechnen, wann die Äcker allesamt unfruchtbar werden, wenn weiter so drauflosgeackert wird wie im industriellen Zeitalter.
Das (Boden-)Biom in uns
Die beiden Autoren gehen aber auch auf einen weiteren Aspekt ein, den wir Stadtbewohner überhaupt nicht in Blick haben: Dass fast alle unseren sogenannten Zivilisationskrankheiten darauf beruhen, dass wir in sterilen Umgebungen leben und den Kontakt zum Boden völlig verloren haben.
Mal von emsigen Kleingärtnern und Freizeitbauern abgesehen. Denn wer sich mit der Fauna im Boden beschäftigt, merkt bald, dass diese Fauna direkt mit den Bakterienvölkern im menschliche Organismus verwandt sind.
Auch das etwas, was für gewöhnlich im Biologieunterricht nicht erzählt wird, weil es nicht so recht zum unabhängigen Bild vom Lebewesen Mensch passt. Aber ohne diese Ur-Bevölkerung in unserem Darm und anderswo, wären wir gar nicht lebensfähig. Wir leben in Symbiose mit Milliarden dieser winzigen Lebewesen – und wir werden krank, wenn diese natürliche Vielfalt in unserem Körper gestört wird.
Und diese Störung hat viel mit unserer künstlichen Ernährung, mit industriell verarbeiteten Rohstoffen zu tun. Und mit unserer Bodenferne. Unser körpereigenes Biom kann sich nicht mehr regenerieren.
Etwas, was selbst in den Krankenhäusern längst eine Rolle spielt, wo man nun seit Jahren zunehmend mit Bakterien zu tun hat, die antibiotikaresistent sind und die auch in Deutschland zu hundertern Todesfällen im Jahr führen, weil es kein wirksames Antibiotikum mehr gibt.
Was wohl wieder mit menschlichem Unwissen zu tun hat. Denn zu jedem schädlichen Bakterium (das in der freien Natur trotzdem eine wichtige Rolle spielt) gibt es Bakterien, die diese bekämpfen oder einfach in Schach halten.
Und dabei sind die möglichen nützlichen Wirkstoffe, die die Mikrolebewesen im Boden bereithalten, noch gar nicht alle erforscht. Wir kennen noch nicht einmal alle Arten von Lebewesen im Boden. Aber eines wird in diesem Buch deutlich: Unser Umgang mit dem Boden muss sich ändern.
Und zwar verdammt schnell, wenn wir unsere eigene Lebensgrundlage nicht verlieren wollen. Ansätze dazu gibt es schon – darauf gehen die Autoren im Kapitel „Vom Nutzen der Kulturlandschaft“ recht ausführlich ein – auf Terra Preta, Regenerative Landwirtschaft und Agroforst zum Beispiel, mit denen Landwirte ihre Böden sichern und wieder aufwerten können.
Und natürlich gehen sie auch auf die Frage der Erträge ein: Was passiert, wenn Landwirte auf das tonnenweise Ausbringen von Kunstdünger, auf Tiefenpflug und Insektizide verzichten?
Der Boden als Müllhalde
Was passiert, wenn sie es nicht tun, ist auch längst erforscht: Die Böden laugen aus, das Bodenbiom verschwindet. Aus der fruchtbaren Krume wird toter Staub. Und weil weltweit so rücksichtslos geackert wird, ist es nur eine Frage der Zeit, wann die Böden zur Wüste werden und die Nahrungsversorgung zusammenbricht.
Wobei noch hinzukommt, dass der größte Teil der fruchtbaren Böden gar nicht dazu genutzt wird, Nahrung für den Menschen zu produzieren, sondern Mastfutter für Rinder, Schweine usw.
Ein Weg der Nahrungserzeugung, der riesige Bodenflächen in Anspruch nimmt, auf denen sonst viel mehr Nahrung in Form von Obst, Gemüse und Getreide für den Menschen angebaut werden könnten.
Niemand müsste also hungern, wenn das Zeitalter der industriellen Landwirtschaft endet. Wir würden nur weniger Fleisch auf dem Teller haben. Dafür mehr Bioprodukte aus der Region.
Und dann gibt es längst auch noch weitere Folgen für unsere Böden, die man auch erst sieht, wenn man die Krume genauer untersucht. Auch das thematisieren die beiden Autoren: das weltweite Zunehmen von Mikroplastik in den Böden, ohne dass man heute schon sagen kann, was das Mikroplastik mit der Fruchtbarkeit der Böden anrichtet.
Ganz zu schweigen davon, dass es am Ende wieder im menschlichen Magen landet. Und durch Überdüngung sind manche Böden regelrecht mit Schwermetallen überlastet. Man wird durchaus atemlos, wenn man sich durch das Buch blättert und merkt, wie viel wir unseren Böden längst zumuten, ohne zu wissen, was das alles in seiner Summe anrichtet und ob es dabei nicht Kipppunkte gibt, bei denen dann das unersetzliche Mikrobiom im Boden einfach erlischt.
Ohne fruchtbare Böden kein Leben auf dem Land
Noch – so stellen die beiden fest – erweisen sich die Böden als widerstandsfähig, schlucken allen möglichen Dreck, überstehen Dürrezeiten, kommen wider irgendwie zu Atem, wenn der Acker sich mal erholen kann. Aber wir wissen nicht, wo die Grenze der Belastbarkeit ist. Und wann ein schleichender Prozess dann tatsächlich in ein fatales Ende kippt.
Aber eins wissen wir längst: Ohne die fruchtbaren Böden weltweit gäbe es weder Pflanzen noch Tiere und auch nicht den Menschen. Und wenn die Böden verschwinden, ist es auch mit der Menschheit zu Ende. Das Buch ist eine fundierte Warnung an alle, die mit Böden zu tun haben.
Und das sind nun einmal wir alle, auch alle, die den Kontakt zur lebendigen Natur verloren haben. Das Thema brennt längst genauso wie der Klimawandel, hängt teilweise direkt damit zusammen. Denn gut bewirtschaftete Böden können auch wieder Kohlenstoffsenken werden.
Es ist höchste Zeit, dem Boden viel mehr Aufmerksamkeit zu widmen und uns klarzumachen, dass wir ohne gesunde Böden nicht überleben werden. Und das hängt nun einmal auch mit dem Wissen darum zusammen, wie eng verwandt unser körpereigenes Biom mit dem Biom des Bodens ist.
Dass wir also letztlich selbst Teil eines die Erde umspannenden Systems sind, mit dem wir krank werden, wenn es krank wird, und sterben, wenn es stirbt. Aber einen ermutigenden Satz haben die beiden am Ende noch: „Der Boden ist keine endliche Ressource, er kann sich erneuern. Wir müssen den Boden nur gut behandeln – dann werden wir immer genug davon haben.“
Jörg Blech; Matthias Rillig Mutter Erde Ullstein, Berlin 2025, 25,99 Euro.
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