Die Dimension ist gewaltig: Rund 5.000 Gemälde sollen die Werkstatt Lucas Cranachs des Älteren, die von seinem Sohn Lucas Cranach dem Jüngeren fortgeführt wurde, verlassen haben. Rund 1.500 Gemälde lassen sich heute noch in Museen und Sammlungen nachweisen. Im Oktober 2009 begannen acht große Museen in Europa und den USA gemeinsam mit dem Museum Kunstpalast in Düsseldorf und der Fachhochschule Köln ein großes Forschungsprojekt: das Cranach Digital Archive.

Sie starteten die digitale Erschließung der Gemälde von Lucas Cranach dem Älteren. Es geht dabei um Zuschreibung, Authentizität, Datierung und Präsentation – aber auch um Techniken und Arbeitsweisen dieser Werkstatt, die praktisch der Zeit der deutschen Reformation ein Gesicht gab. Denn viele dieser Auftragsarbeiten zeigen die (Einfluss-)Reichen dieser Zeit.

Verglichen mit dem umfangreichen Bilderfundus ist natürlich der Bestand im Leipziger Museum der bildenden Künste recht überschaubar: 16 Bilder von Lucas Cranach dem Älteren, zwei von Lucas Cranach dem Jüngeren. Die Bilder stammen nicht aus einer der bürgerlichen Bildersammlungen, die dereinst ins Bildermuseum wanderten, sondern aus der Nikolaikirche, wo sie jahrzehntelang unbeachtet auf dem Dachboden standen und Anfang der 1990er Jahre als Überraschungsfund präsentiert wurden. 1994 gab es eine entsprechende Ausstellung der Bilder im damaligen Museum der bildenden Künste im ehemaligen Reichsgerichtsgebäude.

Das Museum der bildenden Künste nutzte die Chance, als Partnerinstitution an das Cranach Digital Archive anzudocken und auch den eigenen Cranach-Bilderbestand wissenschaftlich zu untersuchen – auch mit technischen Möglichkeiten, die im eigenen Haus nicht zur Verfügung stehen, von der Röntgen- und der Infrarotuntersuchung bis zur dendrologischen Untersuchung der verwendeten Holztafeln. “Es ist ein Glücksfall, dass wir die Bilder so untersuchen konnten”, sagt Dr. Jan Nicolaisen, der das Projekt im Leipziger Museum betreut.Da kann es dann auch passieren, dass die technische Analyse eines Bildes wie “Die Anbetung der Heiligen Drei Könige” aus der Zeit um 1515 ergibt, dass es wohl eine gewisse Massenware ist, technisch nicht besonders beeindruckend. In der technischen Beschreibung klingt das dann so: “relativ verbindlich für die Malerei”, “keine plastische Wiedergabe”, “Abweichungen: kleine Präzisierungen der Form während des Malprozesses”. Also stammt es wohl nicht vom Meister Lucas Cranach selbst, sondern ist im Wesentlichen ein Werkstattprodukt.

Ein Wappen links im Bild verweist auf den kursächsischen Kämmerer Degenhart Pfeffinger, der als Auftraggeber 1515 Cranach für die geleistete Arbeit bezahlte. Darüber soll es auch eine Quittung geben.

Wikipedia kennt den Mann als Degenhart Pfäffinger. Er stammt aus einem bayerischen Adelsgeschlecht, trat aber in den Dienst des sächsischen Kurfürsten Friedrich des Weisen, mit dem er sogar die Wallfahrt zum Heiligen Grab machte. “Pfäffinger, der 1493 zurückkehrte, stand in großer Gunst bei Kurfürst Friedrich. Er wurde dessen Sekretär, innerster Kämmerer (Schatzmeister) und geheimer Rat, und als solcher für wichtige Sendungen an den Papst, den Kaiser und andere Botendienste eingesetzt”, heißt es bei Wikipedia. Friedrich der Weise war Kurfürst der ernestinischen Sachsen, er war es, der die Wittenberger Universität gründete und zum großen Beschützer Luthers wurde. Seine Residenzstadt war Wittenberg, wo auch Cranach seine Werkstatt hatte.

Ein möglicher Anlass für das in Auftrag gegebene Bild der “Anbetung der Heiligen Drei Könige” könnte die Heirat des 44-jährigen Degenhart Pfäffinger mit der bayerischen Adligen Erntraut von Seiboltstorff im Jahr 1515 gewesen sein. Nur vier Jahre später starb Pfäffinger im Dienst seines Kurfürsten während des Wahltages von Kaiser Karl V. in Frankfurt am Main.

Auch das Bild “Der Sterbende” aus dem Jahr 1518 ist in der Datenbank schon zu finden. Das Datum ist sogar aufgemalt auf Latein. Die deutsche Übersetzung: “Dem besten Vater ließ Heinrich schmitburg aus Leipzig, Doktor der rechte, dies fertigen im Jahr 1518 nach der Geburt des Herrn.” Mit dem Bild beschäftigt sich Enno Bünz in seinem Beitrag “Kirchliches Leben und Laienfrömmigkeit im spätmittelalterlichen Leipzig” in dem Band “Das religiöse Leipzig.”

Der Mann auf dem Sterbebett ist der Leipziger Ratsherr und Universitätslehrer Valentin Becker aus Schmiedeberg, der aber schon 1490 gestorben ist. Das Bild stellt also eher die Frömmigkeit seines Sohnes Heinrich dar, stellt Enno Bünz fest.

In den Bildern aus der Cranach-Werkstatt steckt also mehr Zeitgeschichte, als man so beim ersten Betrachten sieht. Und selbst der kleine Leipziger Cranach-Fundus hält noch ein paar Entdeckungen bereit.

Zum Cranach Digital Archive: www.lucascranach.org

Zu Degenhart Pfäffinger auf Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Degenhart_Pf%C3%A4ffinger

Zum Bildermuseum: www.mdbk.de

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar