Solche Sätze liebt Sachsens Wissenschaftsministerin Sabine von Schorlemer: "Im Jahr 2020 zu den wissenschaftlich und wirtschaftlich führenden Regionen Europas zu gehören, ist unser erklärtes Ziel. In der Mikroelektronik, Nanotechnologie, dem Maschinen- und Fahrzeugbau, den Material- und Werkstoffwissenschaften, der Biotechnologie, den Neurowissenschaften, der Medizintechnik und der Umweltforschung kann Sachsen bereits heute mit international sichtbarer Spitzenforschung aufwarten."

Das schrieb sie im Dezember 2013, gleich nachdem sie die so genannte “Zuschussvereinbarung” für Sachsens Hochschulen unterschrieben hatte. Bei der Gelegenheit sagte sie auch so einen Satz aus dem Poesiealbum: “Unsere Hochschulen haben als geistige Zentren eine tragende Rolle in unserer Wissensgesellschaft. Sie sind zudem Ideengeber für Innovationen sowie Ausbilder von hochqualifiziertem Fachkräftenachwuchs. Mit der Zuschussvereinbarung schaffen wir die tragfähige finanzielle Grundlage, um die Einrichtungen für die kommenden Jahre gut auszustatten. Sie erhalten finanzielle und personelle Planungssicherheit bis zum Ende des Jahres 2016 und mehr eigene Gestaltungsfreiheit sowie Eigenverantwortung.”

Das von finanzieller Planungssicherheit keine Rede sein kann, bezeugen die verzweifelten Versuche der Hochschulrektorate, irgendwie mit den Protesten umzugehen, die jetzt nach den verordneten Stellenkürzungen hageln. Sachsens Hochschulen werden bestürmt von Studierwilligen – und die Wissenschaftsministerin verordnet Kürzungen. Und verkauft das wie eine Wohltat.

Da steht zwar der Hinweis auf “Hochschulen (…) als geistige Zentren.” Aber sie behandelt sie wie eine Fastfood-Kette mit viel zu teurem Personal am Abwasch, am Bräter und am Tresen.

Hinter den blumigen Worten verschwindet dabei die Sicht auf die eigentliche perspektivische Planung. Gibt es überhaupt eine?

Taucht sie wenigstens auf, wenn von Schorlemer einmal eine 100-Seiten-Hochglanzbroschüre mit dem Titel “Wissenschaftsland Sachsen” herausgibt, wie sie es im Dezember 2013 tat? – Der Leser staunt nur. Erst recht, wenn er auf Seite 12 liest, dass die Ministerin tatsächlich die Studierendenzahlen im Land kennt: Da steht tatsächlich unter der Überschrift “Attraktives Hochschulland” zu lesen: “Tausende sind es auch, die als Studierende und Forschende aus aller Welt in den Freistaat kommen. Insgesamt etwa 112.000 junge Menschen – davon 12.000 aus dem Ausland – studieren hier und sorgen für Impulse. Das macht ein Land mit Zukunft aus: kluge Köpfe und deren Lebendigkeit, Kreativität und Suche nach neuen Wegen.”

Man findet einen Ausflug in die große sächsische Wissenschaftsgeschichte (Adam Ries, Agricola, Ostwald, Ardenne, Leibniz … sage keiner, Leibniz wäre nicht aus Sachsen gegangen, weil der Jungakademiker hier keine Hochschulanstellung bekam …). Man findet aber auch Sätze, die die ganze Verachtung für einen ganzen Hochschulbereich enthalten: “Im Bereich der Geisteswissenschaften leisten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Freistaat Sachsen ebenso Hervorragendes.” Nachdem sie von Mikroelektronik bis Biotechnologie jeden Forschungszweig extra aufgezählt hat, verblüfft dieser Satz, der nichts beinhaltet.

Die Verachtung findet man dann weiter hinten im Heft auf Seite 86, wo es um die Universität Leipzig geht, die von den Stellenkürzungen besonders betroffen ist. “Die wissenschaftliche Exzellenz der Universität Leipzig bestätigt auch eine Vielzahl kleinerer, international anerkannter Projekte in den so genannten Orchideenfächern, vor allem in geistes- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen.” Das bestätigt sie eben nicht, sonst wäre die Uni Leipzig in der letzten Exzellenzinitiative Exzellenz-Uni geworden. Und eine Reihe dieser “Orchideenfächer” werden jetzt abgeschafft auf höchstministerielle Weisung, auch wenn Sabine von Schorlemer so tut, als hätte sie damit gar nichts zu tun.Was man in der Broschüre nicht findet, ist eine Wissenschaftsstrategie der Staatsregierung. Zum Beispiel Zahlen, welche Art Fachleute man ausbilden will, welchen Bedarf man im eigenen Land sieht, welche Art Forschung man braucht, wo man Schwerpunkte setzen möchte, wo man historische Stärken nutzen möchte oder wie die Wissenschaftsregionen aussehen sollen, die man gerade definiert hat.

Auf einer Karte sind sie eingemalt, mehr nicht. Und das gar nicht Überraschende: Sie stimmen mit den drei Regierungsbezirken überein. Einzige Ausnahme: die Wissenschaftsregion Freiberg. Was die Sache nicht besser macht. Denn auch so merkt man schnell, dass die sächsische Staatsregierung in den vergangenen Jahren, als es um die Ansiedlung der großen Forschungsinstitute ging, keine Strategie hatte, wo sie nun welche Art Forschung konzentrieren möchte. Das Ergebnis ist, dass sich fast alles in und um Dresden angesiedelt hat. Mehr als die Hälfte der Forschungsinstitute konzentrieren sich im Dresdner Raum: ein Helmholtz-Institut, drei Max-Planck-Institute, elf Fraunhofer-Institute, drei Leibniz-Institute.

Danach kommt dann die Wissenschaftsregion Leipzig – mit drei Max-Planck-Instituten, zwei Fraunhofer-Instituten und drei Leibniz-Instituten. Chemnitz hat dann noch zwei Fraunhofer Institute, Freiberg ein Helmholtz- und ein Fraunhofer-Institut. Die Forschungslandschaft ballt sich also in Dresden rund um die von der Staatsregierung forcierte TU Dresden, wo man tatsächlich an wichtigen Forschungen arbeitet, die auch für Sachsens Wirtschaft von Bedeutung sein könnten – von der Polymer-Forschung bis zur Plasmatechnik. Drumherum dann noch ein paar “Orchideeninstitute” wie das Sorbische Institut oder das Hannah-Arendt-Institut.

Was einen dann an die “Orchideenfächer” erinnert und die Frage: Wer ist derjenige, dem man hier den Begriff in den Mund schiebt? Und warum taucht so ein Wort in so einer offiziellen Publikation überhaupt auf, wenn es nicht genau die Haltung bezeichnet, die die sächsische Wissenschaftspolitik den Geisteswissenschaften gegenüber einnimmt? Dass es die Geisteswissenschaften sind, die “Leipzig zu einem weltweit attraktiven Hochschul- und Forschungsstandort” machen, gesteht man sogar noch ein. Trotzdem überlässt man dann die Entscheidung, welche “Orchidee” entsorgt wird und wo man seine wertvollen “internationalen Beziehungen” kappt, der Hochschule vor Ort. “Amputation” nannte es die Rektorin der Uni Leipzig, Prof. Beate Schücking.

Da es keine sächsische Wissenschaftsstrategie gibt, wird die Broschüre zwangsläufig zu einer reinen Sammlung der existierenden Hochschulen und Forschungsinstitute. Ohne Potenzialanalyse. Dafür mit den üblichen Tonnageangaben, wie das so üblich ist, wenn es reineweg um “Effizienz” geht: “Drittmittel gesteigert”, “Milliarden investiert”… So kann man Wissenschaft und Forschung auch betrachten. Als reine Geldmaschine. Dass es einen Überblick über die Arbeitsbedingungen der Forscher und Akademiker in diesem Band nicht gibt, versteht sich dann von selbst.

www.technologie.sachsen.de

www.forschung.sachsen.de

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar