Am Mittwoch, 4. Juni, stellte die Amadeu-Antonio-Stiftung in Berlin die neue Studie "Die stabilisierte Mitte. Rechtsextreme Einstellung in Deutschland 2014" vor. Sie ist - wie auch die letzte von vor zwei Jahren - wieder ein Leipziger Produkt, erarbeitet vom Kompetenzzentrum für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung der Universität Leipzig. Da weiß man nun ziemlich genau, dass radikale Einstellungen etwas mit Psychologie zu tun haben.

Im Rahmen der sozialpsychologischen “Mitte-Studie” an der Universität Leipzig werden seit 2002 im Zwei-Jahres-Rhythmus repräsentative Erhebungen zur rechtsextremen Einstellung in Deutschland durchgeführt. Die aktuelle Publikation präsentiert Ergebnisse aus der Befragung im Jahr 2014 und vergleicht sie mit den Studienergebnissen der letzten zwölf Jahre.

Dabei wurde ein starker Rückgang bei allen rechtsextremen Dimensionen verzeichnet und somit weniger manifest rechtsextrem Eingestellte.

In den Vorjahren hatten diese Studien stets für Aufregung besorgt, denn sie belegten, dass Einstellungen, die man eher mit Rechtsextremismus in Verbindung bringt, bis in die Mitte der Gesellschaft existieren.

Und auch 2014 wurde in der “Mitte-Studie” in allen Bevölkerungsgruppen eine rechtsextreme Einstellung nachgewiesen. Wie schon in den vorangegangenen Erhebungen ist die Ausländerfeindlichkeit die Dimension, die auf die größte Zustimmung trifft: Jeder fünfte Deutsche ist noch immer ausländerfeindlich. Die zweithöchsten Zustimmungswerte erreichen mit 13,6 Prozent chauvinistische Aussagen, 5 Prozent der Deutschen sind antisemitisch eingestellt.

Doch die Einstellungen scheint eng gekoppelt mit den jeweiligen persönlichen Gefühlen von Unsicherheit. Geht es dem Land wirtschaftlich besser, sinkt augenscheinlich die Bereitschaft, bestimmte Haltungen der Überheblichkeit und der Abwehr einzunehmen.

Die Zustimmung zu rechtsextremen Aussagen sank 2014 im Vergleich zu den bisherigen Studien. Selbst der Anteil derjenigen, die ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild haben, ist in ganz Deutschland deutlich zurückgegangen – von 9,7 Prozent im Jahr 2002 auf 5,6 Prozent im Jahr 2014. Die Abnahme ist in allen untersuchten Dimensionen feststellbar: Befürwortung einer Diktatur, Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, Sozialdarwinismus, Verharmlosung des Nationalsozialismus und Chauvinismus finden in Ost- und Westdeutschland weniger Akzeptanz als noch 2012.

“Die Bundesrepublik Deutschland befindet sich bildlich gesprochen in einer Insellage. Die wirtschaftliche Gesamtentwicklung ist mit Wirtschaftswachstum und Exportsteigerung so gut wie seit Jahren nicht mehr”, erklärt Diplompsychologe PD Dr. Oliver Decker von der Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie der Universität Leipzig. “Dabei wissen wir schon seit Jahren um den engen Zusammenhang von Wirtschaft und politischer Einstellung. Jetzt ist auch der Kontrast zu allen anderen Ländern in Europa sehr groß: Das stabilisiert die Mitte der Gesellschaft.”

Doch ganz verschwinden solche Haltungen nicht. Sie tauchen eher ab in einen Bereich, wo sie unterschwellig weiter ticken.

So gibt es weiterhin eine hohe Zustimmung in der Kategorie “teils/teils” (zwischen 12 und 31 Prozent). “Das weist auf die latente Bereitschaft vieler Menschen hin, rechtsextremen Aussagen zuzustimmen”, betont der Mitherausgeber der Studie, Prof. Dr. Elmar Brähler. Der Inhalt der Aussagen wird geteilt, doch die Antwort-Skalierung gestattet es, sich abgeschwächt zu äußern. Man passt sich sozusagen an. Grollt im Verborgenen und nimmt dabei die Diskriminierungsangebote der Politik dankbar an. Sie eignen sich so gut zum “Muss man doch mal sagen dürfen”.

“Es gibt 2014 eine gute Nachricht: Wie die Ausländerfeindlichkeit, so nimmt auch die Zustimmung zu rechtsextremen Aussagen insgesamt ab”, stellt Oliver Decker fest. “Es gibt aber auch eine schlechte Nachricht: Bestimmte Gruppen von Migrantinnen und Migranten werden umso deutlicher diskriminiert.”

Im Jahr 2014 geben sich 20 Prozent der Deutschen als ausländerfeindlich zu erkennen. Asylsuchende, Muslime sowie Sinti und Roma erfahren eine weit höhere Stigmatisierung. Die Abwertung von Asylbewerbern ist mit 84,7 Prozent der Befragten in den neuen und 73,5 Prozent der Befragten in den alten Bundesländern sehr groß. Aber auch Sinti und Roma ziehen bei mehr als der Hälfte der Deutschen Ressentiments auf sich, und fast die Hälfte der Deutschen lehnen Muslime ab.Wobei das Thema “Abwertung von Asylbewerbern” differenziert zu bewerten ist. Denn hinter der Aussage stecken mittlerweile ja auch 25 Jahre diskriminierende Bundespolitik. Und die Rufe nach weiterer Verschärfung der Zuwanderungsgesetze nehmen aus konservativen Parteien ja nicht ab. “Der Ausländer” oder gar “der Asylant” eignen sich so ideal als Feindbild, wenn man von innenpolitischen Problemen ablenken möchte. Wenn sich das dann noch mit einer nationalen Überheblichkeit koppelt, wird es brandgefährlich.

“Die Empfänglichkeit für die Ideologie der Ungleichwertigkeit ist weiterhin vorhanden”, sagt Oliver Decker. “Wir sehen hier eine autoritäre Dynamik: Nicht Migrantinnen und Migranten im Allgemeinen werden abgelehnt, viele Deutsche denken nun: Die bringen uns was. Aber jene, die die Phantasie auslösen, sie seien grundlegend anders oder hätten ein gutes Leben ohne Arbeit, ziehen die Wut auf sich.”

Die Wissenschaftler nennen das Phänomen den sekundären Autoritarismus. Die Stellung der Wirtschaft in Deutschland spiele mit hinein, erklären die Forscher und benennen eine Entwicklung, die die Republik in den letzten 25 Jahren spürbar verformt hat. Und es hat logischerweise auch psychologische Folgen, wenn überall das so genannte “Primat der Wirtschaft” gilt.

“Sie ist zu so etwas wie einer nicht hinterfragbaren Autorität geworden”, so Decker. “Wenn sie stark ist, freuen sich die Menschen. Aber trotzdem müssen sie sich ihr unterordnen, und das produziert Aggressionen, die sich dann gegen Abweichende oder Schwächere richten.”

Die Leipziger Sozialpsychologen haben dafür den Begriff der “narzisstischen Plombe” entwickelt. Man passt sich dem Druck des “Marktes” an bis zur Selbstaufgabe – doch was man nicht ausleben darf, kehrt sich dann gegen andere. In der Regel gegen wirtschaftlich noch Schwächere.

Denn auch die Studie 2014 bestätigt: Es sind vor allem Menschen mit niedrigem Einkommen und niedrigem Bildungsstand, die für chauvinistisches und menschenfeindliches Gedankengut empfänglich sind.

Befragte mit Abitur stimmen allen Dimensionen des Rechtsextremismus-Fragebogens signifikant seltener zu als Personen mit einem niedrigeren formalen Bildungsabschluss. Der Effekt der Bildung ist deutlich: Beispielsweise sind 6,8 Prozent der Menschen mit Abitur, aber 20,8 Prozent ohne Abitur ausländerfeindlich eingestellt.Aber das bedeutet eben nicht, dass man rechtsextreme Einstellungen nur unten, bei den “Erniedrigten und Beleidigten” findet. Der Frust ist auch in anderen Gesellschaftsschichten zu Hause – genauso wie der Anpassungsdruck.

Die diesjährigen Ergebnisse dokumentieren erneut, dass rechtsextreme Positionen bei den Anhängern sämtlicher politischer Parteien nachweisbar sind, und dass auch die Wählerschaft der großen Parteien SPD und CDU davon nicht ausgenommen ist.

“Es fällt allerdings auf, dass die stärkste Anziehungskraft bei den Wählern mit einer ausländerfeindlichen, antisemitischen und chauvinistischen Einstellung neben den rechtsextremen Parteien die AfD hat”, erklärt der Sozialwissenschaftler Johannes Kiess, der seit 2008 an der Studie mitarbeitet.

Frühere Studien wurden auch gern mal als Beleg dafür gelesen, dass der Rechtsextremismus gerade im Osten besonders virulent ist.

Aber es ist wohl etwas anderes, was sich da in verstärkten Äußerungen in Sachen Chauvinismus und Ausländerfeindlichkeit in Ostdeutschland ausspricht.

Beim Chauvinismus falle auf, dass 28,7 Prozent der Ostdeutschen der Meinung sind, Deutschland solle sich endlich wieder Macht und Geltung verschaffen (im Vergleich zu 19,5 Prozent in Westdeutschland), stellen die Leipziger Forscher fest. Auch bei der Ausländerfeindlichkeit finde man in den neuen Bundesländern noch immer höhere Zustimmungswerte als in den alten.

“Wo weniger Migranten und Migrantinnen leben, ist die Diskriminierung von ‘Ausländern’ stärker verbreitet”, erklärt Elmar Brähler. “Der Kontakt verhindert Vorurteile, darum wissen wir seit einigen Jahren.”

Aber das kann nur eine mögliche Erklärung sein. Denn wenn Werte von Chauvinismus und Ausländerfeindlichkeit mit dem Einschätzen der eigenen wirtschaftlichen Lage korrellieren, dann kann auch das den Unterschied Ost / West erklären.

Vor allem auch, weil eine andere Institution in den letzten Jahren im Osten an Zuspruch gewann: die Demokratie. Der Wert stieg seit 2010 an, während er im Westen der Republik sank. Besonders stark stieg der Zuspruch der Ostdeutschen zur “Demokratie wie in Verfassung festgelegt”. Und das wieder korrespondiert mit der schwindenden Zustimmung zu einer autoritären Herrschaftsform.

Das sind Aussagen, die für eine starke Demokratie sprechen – trotz all der Wähler, die bei Wahlen lieber zu Hause bleiben.

Die EU hingegen wird von den Deutschen auch 2014 immer noch skeptisch betrachtet. Nachdem zunächst eine starke Euphorie festzustellen war, flachte die Begeisterung mit den Jahren ab.

“Unsere Ergebnisse aus dem Frühjahr 2014 weisen eine stabile Zustimmung zur EU bei 40 bis 45 Prozent der Bevölkerung aus”, erläutert Johannes Kiess. “Doch bei mehr als 50 Prozent hat sie keine positive Resonanz.”

Dabei zeige – so die Forscher – die Analyse, dass der fehlende Anklang der EU sehr stark mit der antidemokratischen Orientierung der Befragten zusammenhängt: “Wir müssen feststellen, dass Menschen mit rechtsextremer Einstellung und der Bereitschaft, andere Gruppen abzuwerten, die EU deutlich häufiger ablehnen.”

Das Problem aber wird in der Befragung sichtbar: Die EU wird für die Meisten nicht greifbar. 45 Prozent sagen zwar, es sei eine “gute Sache”. Aber über 30 Prozent können sich nicht so recht positionieren, sagen “weder gut noch schlecht”, die 11 Prozent “weiß nicht” dazu, und man hat die Ratlosigkeit im Grunde greifbar.

Die Studie auf der Website der Amadeu-Antonio-Stiftung: www.amadeu-antonio-stiftung.de/w/files/pdfs/mitte_leipzig_internet.pdf

Die “Mitte”-Studien der Universität Leipzig als PDF zum Download.

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