Es kommt das große Konsumfest. Und an Plakatsäulen wird für lauter Schnickschnack geworben, den kein Mensch wirklich braucht. Interaktive Lautsprecherboxen zum Beispiel, die auf Zuruf antworten. Und die immer cleverer zu werden scheinen. Amazon hat es gerade verkündet: Sein Sprachassistent Alexa kann nun auch Stimmen erkennen und sie der jeweiligen Person zuordnen. Etwas, was die meisten Menschen schon im Babyalter können.

Was in der Technikwelt als kleine Revolution gefeiert wird, ist für unser Gehirn ganz normal, kommentiert das Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften. Das sitzt in Leipzig und untersucht diesen seltsamen Denkapparat, den wir da im Schädel haben, mit modernsten Geräten und den verrücktesten Fragestellungen. Denn dieses Gehirn in seiner Struktur unterscheidet uns selbst von unseren nächsten Verwandten. Es beherrscht lauter faszinierende Dinge, die die Bastler aus dem Silicon Valley nun versuchen, mit digitalen Speichern nachzubauen – stets mit dem Glauben daran, sie könnten Intelligenz quasi neu schaffen, unabhängig vom Menschen.

Als wäre es ein wunderbares Ziel, auch noch das Denken des Menschen überflüssig zu machen.

Es sieht nicht wie ein kluger Weg aus.

Dabei sind die Kognitionswissenschaftler gerade dabei, herauszubekommen, wie unser Denkwerkzeug möglicherweise tatsächlich arbeitet. Stimmen erkennen gehört dabei zu den grundlegenden Standards.

Unser Gehirn erkennt, ob uns eine Stimme bekannt vorkommt oder nicht. Bisher war jedoch unklar, durch welche Areale im Gehirn wir Stimmen wiedererkennen, teilt das forschungsfreudige Institut nun mit.

Blick auf die rechte Seite des Gehirns und seine Areal zur Stimmerkennung (mit Blickrichtung nach rechts): Den sogenannten hinteren Gyrus temporalis superior, kurz STG, einem Teil des rechten Schläfenlappens. Grafik: MPI CBS
Blick auf die rechte Seite des Gehirns und seine Areale zur Stimmerkennung (mit Blickrichtung nach rechts): Den sogenannten hinteren Gyrus temporalis superior, kurz STG, einem Teil des rechten Schläfenlappens. Grafik: MPI CBS

Ein Team des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig hat nun in einer großangelegten Studie an Patienten mit Hirnverletzungen den überzeugenden Beweis geliefert: Unser persönlicher Assistent zur Stimmerkennung nutzt eine Windung im rechten Schläfenlappen.

Wir befinden uns ständig in Situationen, in denen wir mit anderen sprechen. Dabei verhalten wir uns einem Freund gegenüber anders als gegenüber einem Fremden. Eine wesentliche Fähigkeit ist es daher, nicht nur zu erkennen, was einer zu uns sagt, sondern auch wer zu uns spricht. Dabei hilft uns die Stimme unseres Gesprächspartners. Bislang war sich die Wissenschaft nicht einig darüber, wo genau im Gehirn sich die Areale befinden, durch die wir eine Stimme wiedererkennen.

„Sehr zuverlässige Aussagen darüber, welche Gehirnbereiche welche Funktionen innehaben, lassen sich anhand von Untersuchungen an Patienten mit Hirnverletzungen treffen. Ist ein bestimmter Bereich im Gehirn verletzt und fällt dadurch eine bestimmte Fähigkeit aus, lässt sich beides einander zuordnen“, erklärt Claudia Roswandowitz, Wissenschaftlerin am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften (MPI CBS) in Leipzig und Erstautorin einer Studie, die nun die entscheidenden Erkenntnisse zur Stimmerkennung gebracht hat. Darin testeten die Forscher 58 Patienten mit Hirnschädigungen, vor allem Schlaganfall-Betroffene, die Fähigkeit, Stimmen zu lernen und diese dann wiederzuerkennen. Zusätzlich dazu nutzten die Forscher Hirnscans der Patienten, die hochaufgelöst deren Hirnstrukturen und -schädigungen zeigten.

Die Neurowissenschaftler erkannten, dass besonders Patienten mit Läsionen in bestimmten Bereichen des rechten hinteren Schläfenlappens Stimmen schlechter erkannten. Sie gehen daher davon aus, dass der hintere Gyrus temporalis superior, kurz STG, unerlässlich für die Stimmerkennung ist.

Bestätigt werden diese Erkenntnisse auch durch eine Vorgängerstudie am MPI CBS. Darin wurde ein Phänomen erforscht, das umgangssprachlich auch als „Stimmblindheit“ bezeichnet wird: Die Phonagnosie, die Unfähigkeit Stimmen wiederzuerkennen. Den beiden untersuchten Betroffenen – die einzigen in Deutschland bekannten – gelingt es nicht, andere Menschen an ihrer Stimme wiederzuerkennen, selbst die eigene Mutter oder die eigenen Kinder nicht. Auch bei ihnen erkannten die Forscher um Roswandowitz, dass Veränderungen im und mit dem rechten Schläfenlappen zu den entsprechenden Defiziten führen. Im Vergleich zu den Patienten mit Hirnverletzungen waren hier jedoch nicht ausgefallene Hirnstrukturen die Ursache, sondern die abweichende Aktivität in diesen Gebieten.

„Durch diese Erkenntnisse können wir besser verstehen, wie das Gehirn Stimmen erkennt. Das ist die Grundlage, um wirksame Therapien für Betroffene der Phonagnosie, die in manchen Fällen angeboren ist, gerade nach einem Schlaganfall jedoch recht häufig auftritt. In unserer Studie haben beispielsweise neun Prozent der Patienten von deutlichen Schwierigkeiten beim Erkennen von Stimmen berichtet. Trotzdem ist das Phänomen im medizinischen Bereich bisher kaum bekannt. Hier müssten wir zu einer höheren Sensibilität gelangen“, sagt Roswandowitz.

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