Die Umweltverbände fordern es schon lange. Und auch der Leipziger Ökolöwe hat diese Forderung jüngst wieder bekräftigt: Damit alte Medikamente nicht mehr in Umwelt und Gewässer gelangen, sollen die großen Pharmakonzerne die Rücknahme der nicht mehr gebrauchten Medikamente finanzieren. Und auch die Reinigung der Abwässer müsste so eigentlich finanzierbar sein. Jetzt unterstützt ein Gutachten des Leipziger Umweltforschungszentrums die Einführung einer Arzneimittelabgabe.

Arzneimittelrückstände aus Haushalten, Krankenhäusern und der Landwirtschaft belasten unsere Gewässer. Eine nationale Mikroschadstoffstrategie soll die Probleme künftig lösen. Dabei stellt sich die Frage der Finanzierung. Eine Möglichkeit wäre, eine Arzneimittelabgabe für gewässerbelastende Wirkstoffe einzuführen. In einem wissenschaftlichen Gutachten für das Umweltbundesamt (UBA) haben UFZ-Forscher daher das Instrument einer Arzneimittelabgabe unter ökonomischen und juristischen Gesichtspunkten näher beleuchtet.

Medikamente wirken oftmals weit über die Grenzen unseres Körpers hinaus. Denn viele Arzneimittelrückstände wie beispielsweise Hormone oder das Schmerzmittel Diclofenac können in gängigen Kläranlagen nicht aus dem Abwasser entfernt werden. Sie überstehen das Reinigungsprozedere weitgehend unbeschadet und gelangen über das „geklärte“ Abwasser in die Umwelt.

Auch Rückstände aus verabreichten Tierarzneimitteln in der Landwirtschaft sind problematisch. Sie werden über die Gülle auf den Feldern verteilt und mit dem Regen in Flüsse und Grundwasser gespült. Solche Mikroschadstoffe können Gewässerorganismen schaden und stellen ein ernstzunehmendes Umweltproblem dar. Und nicht nur das: Sie können sogar die Aufbereitungsstufen der Trinkwassergewinnung passieren und sich womöglich negativ auf unsere Gesundheit auswirken. Was kann man also tun, um den Eintrag von Mikroschadstoffen in Gewässer einzudämmen?

Prinzipiell wäre natürlich das Vermeiden von gewässerschädlichen Stoffen sinnvoll. Doch das ist nicht immer möglich – gerade im medizinischen Bereich. Technisch gibt es aber eine Lösung, zumindest für kommunales Abwasser.

„Die sogenannte vierte Reinigungsstufe ist ein probates Mittel, um einen Großteil der Mikroschadstoffe aus dem Abwasser zu entfernen. Sie schließt sich an die drei üblichen Reinigungsstufen einer Kläranlage an“, erklärt Prof. Erik Gawel vom UFZ. „Die Techniken dazu sind bereits ausgereift und auch von den Kosten her vertretbar.“

Für die Ausstattung ausgewählter Kläranlagen mit der vierten Reinigungsstufe als Teil einer nationalen Mikroschadstoffstrategie stellt sich natürlich die Frage der Finanzierung, wenn nicht alles über Abwassergebühren laufen soll. Diskutiert wird hier die Einführung einer Arzneimittelabgabe, um auch Verursacher vor der eigentlichen Abwasserentstehung zur Verantwortung zu ziehen.

Arzneimittelabgabe wäre rechtlich kein Problem

Erik Gawel und seine UFZ-Kollegen haben im Auftrag des Umweltbundesamtes (UBA) ein Gutachten erstellt, in dem sie das Instrument einer Arzneimittelabgabe unter ökonomischen und juristischen Gesichtspunkten beleuchten.

„Rechtlich wäre die Einführung einer Arzneimittelabgabe ohne Probleme möglich und auch aus ökonomischer Sicht sinnvoll“, sagt der Umweltökonom. „Eine Finanzierung von Maßnahmen einer Mikroschadstoffstrategie wäre mit dem Abgabenaufkommen ebenfalls möglich.“

Eine Finanzierung über Steuern oder erhöhte Abwassergebühren an den entsprechenden Kläranlagen sei zwar auch denkbar, doch aus Sicht der Forscher nicht fair.

„Durch Herstellung und Verwendung gewässerschädlicher Stoffe entstehen gesamtgesellschaftliche Kosten. Doch warum sollten alle Steuerzahler dafür aufkommen?“, fragt Gawel. „Ein Ausgleich nach dem Verursacherprinzip wäre aus unserer Sicht gerechter. Und die Abwassergebühren nur an den nachgerüsteten Anlagen steigen zu lassen, wäre willkürlich, wo doch Arzneimittelrückstände überall anfallen.“

Wer soll das bezahlen?

Für die Abgabe schlagen die Forscher einen dreistufigen Tarif vor: Ist noch nicht sicher, ob ein Arzneimittel gewässerschädlich ist oder nicht, müssten Hersteller oder Abgabestellen (z.B. Apotheken) nach dem Vorsorgeprinzip eine Abgabe für mutmaßliche Gewässerrelevanz zahlen. Liegt eine eindeutige gewässerschädigende Wirkung vor, wäre eine erhöhte Abgabe fällig. Kann aber nachgewiesen werden, dass das Arzneimittel gewässerunschädlich ist, würde der Wirkstoff von der Abgabenzahlung befreit werden.

„Die Nachweispflicht, dass keine Gewässerrelevanz vorliegt, läge bei den Arzneimittelherstellern selbst“, sagt Gawel. „Die anzuwendenden Testverfahren müssten aber natürlich gesetzlich festgeschrieben werden.“

Ergänzend halten die Forscher eine Zuzahlung für Humanarzneimittel mit Kassenerstattung für denkbar.

„Der Beitrag könnte mit etwa 50 Cent durchaus klein sein“, findet Gawel. „In erster Linie ginge es darum, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass die Anwendung von Präparaten mit gewässerbelastenden Wirkstoffen zu gesellschaftlichen Zusatzkosten führt. Bei Zuzahlungsbefreiung sollte der Obolus natürlich nicht gezahlt werden müssen.“

In ihrem Gutachten sprechen sich die UFZ-Forscher deutlich für die Einführung einer Arzneimittelabgabe aus, z.B. als eines von mehreren Instrumenten zur Finanzierung von ausgewählten Kläranlagen mit der vierten Reinigungsstufe, die wirkungsvoll und kostengünstig zur Lösung der Mikroschadstoffproblematik beitragen könne.

„Eine Abgabe wäre aus ökonomischer Sicht sinnvoll, juristisch möglich und auch aus gesellschaftlicher Sicht fair“, sagt Gawel. „Bislang wurde der Arzneimittelsektor hinsichtlich gewässerschädigender Wirkungen durch Arzneimittelrückstände nicht in die Verantwortung genommen. Eine Arzneimittelabgabe würde im Rahmen einer breit aufzustellenden Mikroschadstoffstrategie eine wichtige Ausgleichsfunktion übernehmen.“

Weitere Sektoren, wie etwa die Landwirtschaft, müssten dann ebenfalls in die Verantwortung genommen werden.

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