Da hagelte es Kritik von vielen Seiten, als die Kultusministerkonferenz am Freitag, 5. Oktober, die Ergebnisse des Grundschul-Ländervergleichs 2011 veröffentlichte. Nicht von allen. In Sachsen klopfte man sich einmal mehr zufrieden auf die Schultern. "Sachsen auf Platz 2 beim Leistungsvergleich der Grundschüler", jubelte das Kultusministerium.

Dass es aus anderen Bundesländern heftige Kritik am Ranking-Charakter, den die Studie ja doch wieder hatte, hagelte – das wurde einfach ausgeblendet. “Sachsens Grundschüler können in Deutschland mit am besten lesen und rechnen”, jubilierte das Ministerium. “Danach liegen Sachsens Viertklässler beim Rechnen und Lesen hinter Bayern auf dem 2. Rang. Kinder aus sozial schwachen Familien werden in Sachsen am besten gefördert. Lediglich im Zuhören werden Ergebnisse erreicht, die dem Mittelwert in Deutschland entsprechen.”

“Das sehr gute Abschneiden Sachsens beim Ländervergleich ist vor allem der hervorragenden Arbeit der Lehrerinnen und Lehrer an unseren Grundschulen zu verdanken. Der innerdeutsche Leistungsvergleich zeigt deutlich, dass in erster Linie die Grundschullehrerinnen und -lehrer die Grundlage für den schulischen Erfolg der Schüler auf ihrem weiteren Bildungsweg schaffen. Ohne ihre gute Arbeit wären die Erfolge bei den PISA-Studien nicht möglich gewesen”, erklärte sich Sachsens Kultusministerin Brunhild Kurth das Ergebnis. In Sachsen gelinge es, die Gruppe der leistungsschwachen Schülerinnen und Schüler gering zu halten. Der Anteil der Kinder, die im Kompetenzbereich Lesen und Mathematik den Mindeststandard verfehlten, seien in keinem Land so niedrig wie in Sachsen, so die Ministerin.

Dass sich selbst Bildungsforscher nach dieser Studie ernsthaft fragten, ob man so die Ursachen unterschiedlicher Lernerfolge in den Bundesländern überhaupt herausfinden könne, schien die Kultusministerin nicht zu irritieren.

Als Gründe für das gute Abschneiden nannte die Kultusministerin unter anderem eine enge Verzahnung von dem Schulvorbereitungsjahr in der Kita und der Schuleingangsphase in der Grundschule sowie eine intensive Sprachförderung in der Grundschule.

“Die Leseförderung ist über Jahre an den Grundschulen gewachsen und nimmt einen zentralen Bestandteil im Unterricht ein”, so Brunhild Kurth.

Dennoch gebe es Herausforderungen, denen man künftig noch stärker Rechnung tragen müsse. “Sowohl beim ?Zuhören? als auch bei einer noch differenzierteren und damit zielgenaueren Förderung von Jungen und Mädchen sehen wir Handlungsbedarf. Ansatzpunkte für eine Erhöhung der Kompetenzen können eine stärkere Aufmerksamkeit und Bewusstheit für das Zuhören sein sowie der fachübergreifende Einsatz von Höraufgaben. Eine Aufgabe wird auch sein, stärker als bisher eine spezifische Leseförderung für Jungen anzubieten, wie dies beispielsweise im Projekt ?geschlechtersensible Leseförderung? an sechs Grundschulen bereits erprobt worden ist”, meint die Kultusministerin, einen Ansatz zur Verbesserung der Lage gefunden zu haben.

An dem Bundesländer-Grundschulleistungsvergleich nahmen aus Sachsen 74 Grundschulen und fünf Förderschulen teil.

Aber schon der vom Ministerium formulierte Satz “Kinder aus sozial schwachen Familien werden in Sachsen am besten gefördert.” ist mehr Weihrauch als Wirklichkeit.

Die Studie hat zwar vorhergehende Studien bestätigt, nach denen die soziale Herkunft von Kindern einen starken Einfluss auf den Lernerfolg hat. Aber die Studie zeigt auch, dass Sachsen unter allen getesteten Bundesländern die geringste soziale Streubreite hat. “Die schmalste und somit homogenste Verteilung des HISEI findet sich in Sachsen mit einer Spannweite von 43 HISEI-Punkten zwischen dem 5. und dem 95. Perzentil. Für Sachsen zeigt sich also, dass sich die Schülerschaft hinsichtlich der sozialen Herkunft vergleichsweise wenig unterscheidet”, heißt es in der Studienauswertung.

Mit dem HISEI wird anhand des Berufsstandes der Eltern der soziale Status der Kinder definiert. Die hier benannten Perzentile bedeuten: Es wird die Maximalpunktzahl in jedem Test ermittelt, die entweder nur 5 Prozent der Kinder erreichten oder 95 Prozent der Kinder. Je dichter beide Punktzahlen beieinander liegen, um so ausgeglichener ist der Lernerfolg, je größer die Differenz, umso heterogener auch der Bildungsstand der Kinder.

Die geringere soziale Spreizung in Sachsen korrespondiert also auch mit einer geringeren Spreizung im Lernerfolg der Viertklässler. Und das trifft auf die Lesekompetenzen genauso zu wie auf die Mathematik-Fähigkeiten. Übrigens ein Effekt, der so auch in den Nachbarländern Thüringen und Sachsen-Anhalt nachweisbar ist.Womit man eigentlich bei einem wesentlichen Aspekt der Studie ist, die auch einmal näher beleuchtete, warum die Stadtstaaten Bremen, Hamburg und Berlin in den Bildungsrankings immer wieder am Ende der Skala landen. Warum ist das so? Sind die Lehrer dort schlechter? Geben die Stadtstaaten nicht genug Geld für ihre Schulen aus? Oder sind große Flächenländer wie Bayern oder Baden-Württemberg schon aufgrund ihres Reichtums prädestiniert, die Nase vorn zu haben?

In den einzelnen Vergleichstabellen wurden nicht nur die Bundesländer selbst ausgewertet (und mit dem deutschen Durchschnitt verglichen), sondern es wurde auch eine Extra-Spalte für die Großstädte eingerichtet (alle Städte über 300.000 Einwohner – ohne die drei Stadtstaaten). Und siehe da: Diese Ergebnisse ähneln erstaunlicherweise denen der drei Stadtstaaten. In der Spreizung der Lernerfolge genauso wie in der Spreizung der sozialen Herkunft.

Zu den Stadtstaaten heißt es in der Studie: “Die größte Spannweite hinsichtlich des HISEI weist das Land Bremen mit einer Differenz von 55 HISEI-Punkten zwischen dem 5. und 95. Perzentil auf. In Bremen unterscheiden sich Schülerinnen und Schüler hinsichtlich ihrer sozialen Herkunft also am deutlichsten, aber auch in den beiden anderen Stadtstaaten, Berlin und Hamburg, ist jeweils ein deutliches soziales Gefälle zu konstatieren.”

Und wenig später zu den Großstädten: “Ferner kann die Studie bestätigen, dass sozial bedingte Disparitäten nicht nur eine spezifische Herausforderung der drei Stadtstaaten, sondern allgemein von urbanen Ballungsräumen darstellen (…). Darüber hinaus machen die Ergebnisse erneut deutlich, dass bereits in der Grundschule erhebliche sozial bedingte Kompetenzunterschiede bestehen, die für den weiteren Bildungsweg und den Übergang auf die weiterführenden Schulen bedeutsam werden können.”

Was – auch in der Interpretation der Studienautoren heißt: Wer die Bundesländer in einem Ranking vergleicht, vergleicht Äpfel und Birnen. Wesentlich sinnvoller wäre der direkte Vergleich ähnlich strukturierter Regionen.

Es bedeutet aber auch, dass Brunhild Kurth mit ihrer Kurzbewertung der Studie auch wieder die innersächsischen Differenzen völlig ausblendet. Denn zu den Großstädten gehören auch Dresden und Leipzig. Und jeder Blick auf die in Leipzig verteilten Bildungsempfehlungen zeigt, dass die sozialen Differenzen auch hier so groß sind, dass in der einen Schule bis zu 90 Prozent der Kinder problemlos den Sprung ins Gymnasium schaffen, in anderen Grundschulen fast keines. Die Lehrer vor Ort wissen es, welche Rolle die soziale Herkunft tatsächlich spielt bei den Bildungschancen.Dazu kommt noch eine Extra-Auswertung in der Studie, die den Zusammenhang zwischen Bildungserfolg und Zuwanderungshintergrund beleuchtet. Da wird einiges noch deutlicher. Denn es sind nicht die ländlichen Räume, die für Zuwanderer attraktiv sind, sondern die urbanen Metropolen. In der Regel liegt der Anteil von Zuwanderern und überhaupt Menschen mit Migrationshintergrund in den Großstädten um ein Vielfaches über dem im ländlichen Raum. Und die Studie zeigt deutlich, dass der Lernerfolg auch eng mit der Herkunft der Eltern der Kinder zusammenhängt – bei zwei Eltern mit Migrationshintergrund übrigens noch stärker als bei nur einem Elternteil mit Migrationshintergrund.

Übrigens ein Aspekt, der auch in der Leipziger Schullandschaft so nachweisbar ist.

Kann man natürlich fragen: Und warum steht Sachsen trotzdem recht gut da insgesamt? – Die Antwort ist eigentlich simpel. Leipzig mit knapp 6 Prozent Ausländeranteil an der Bevölkerung ist hier die Stadt mit dem höchsten Ausländeranteil. In westdeutschen Großstädten und Berlin liegt der Anteil in der Regel über 20, teilweise 30 Prozent.

Auch hier werden in einem simplen Bundesländerranking also Äpfel mit Birnen verglichen.

Und eine kleine Tabelle zeigt auch, dass es durchaus eine Rolle spielt, aus welchen Ländern die Eltern zugewandert sind. Kinder aus dem türkischen Sprach- und Kulturkreis haben in deutschen Schulen deutlich größere Probleme als Kinder etwa aus der ehemaligen Sowjetunion oder Polen. Was weniger mit den Bildungsstrukturen in den Herkunftsländern zu tun hat, als mit der Sprache. Welche (Sprach-)Welten da bereist werden müssen, hat ja Frank Schweizer in seinem sehr anschaulichen Buch “Seltsame Sprache(n)” beschrieben.

Das Fazit ist eigentlich simpel: Sachsen ruht sich auf Lorbeeren aus, die keine sind. Und auf Ministerebene werden die eigentlichen Probleme weiter ausgeblendet. Man behandelt die Großstädte weiterhin so, als seien im Freistaat überall die gleichen Grundbedingungen vorhanden. Alle bekommen – wenn überhaupt – denselben Satz. Mit den konkreten Konflikten vor Ort müssen sie selbst zurande kommen. Auch daher rührt die seit Jahren hohe Quote von 13 Prozent von Schülern in Leipzig, die die Schule ohne Abschluss verlassen.

Gerade weil Großstädte für Zuwanderer besonders attraktiv sind, brauchen sie auch besondere Integrationsangebote, die Kindern aus sozial schwachen und Migrantenfamilien helfen, die Nachteile gegenüber den gleichaltrigen Schülern aufzuholen / auszugleichen. Und wenn Brunhild Kurth auch noch die gute Vorschule lobt, dann hat der Freistaat Sachsen daran eigentlich auch keinen Anteil. Es sind die Kommunen selbst, die hier investieren, obwohl sie die finanziellen Reserven eigentlich nicht haben.

Die Ergebnisse des Grundschul-Ländervergleichs findet man hier: www.kmk.org/presse-und-aktuelles/meldung/ergebnisse-grundschul-laendervergleich-2011.html

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