"Wir müssen endlich zu den ganzen Problemen in der Bildungslandschaft stehen", fordert der neue Vorsitzende des Leipziger Stadtelternrates, Andreas Geisler, im zweiten Teil des L-IZ-Interviews.. "Zurzeit scheinen sich die Politiker in Dresden auf den Pisa-Lorbeeren auszuruhen", findet er. Der Stundenausfall dürfe nicht länger kleingerechnet werden.

Herr Geisler, im laufenden Oberbürgerwahlkampf stellen alle Bewerber die Bedeutung von Schule und Bildung heraus. Welche Erwartungen haben Sie denn in Bildungsfragen an das kommende Stadtoberhaupt?

Politiker stellen immer vor Wahlen und in Sonntagsreden die Bedeutung von Schule und Bildung besonders in einem rohstoffarmen Land wie Deutschland heraus. So gesehen haben sich meine Erwartungen in den letzten Jahren deutlich reduziert, denn nach Wahlen passiert meist viel weniger als versprochen.

Die Versprechen, die man gibt, sollte man einhalten können und nicht nur so dahinsagen. Aber es sollten schon konkrete Sachen genannt werden, wo was gemacht werden soll und natürlich auch, wie es finanziert werden soll.

Denn solange man nicht in Verantwortung steht, kann man viel fordern. Man muss aber auch glaubhaft machen, wie man es selber umsetzen kann. Aber dies kann man ja am 21. Januar 2013 erfahren.

Was geschieht an diesem Tag?

An diesem Tag findet das OBM-Kandidatenforum zum Thema Schule, organisiert von den Arbeitskreisen Gymnasien und Grundschulen des SER (Stadtelternrat – Anmerkung der Redaktion) und von mir, im Soziokulturellen Zentrum “Anker” statt. Dort werden wir von 17:00 bis 19:00 Uhr den Kandidaten auf den Zahn fühlen und sehen, wie jeder seine Ziele und Wege zu besserer Schule und Bildung beschreibt. Alle Eltern sind eingeladen, dort teilzunehmen, um sich eine eigene Meinung zu unseren OBM-Kandidaten zu bilden. Wir werden Fragenkomplexe und Redezeit vorgeben und versuchen, noch einige direkte Fragen beantwortet zu bekommen. An dieser Stelle herzlichen Dank an das Team rund um Frau Engel vom “Anker”, die uns diesen Termin ermöglichen.

Bildungspolitik fällt in die Kulturhoheit der Länder. Ihre drei wichtigsten Forderungen an Sachsens Kultusministerin Brunhild Kurth sind demnach?

Der SER Leipzig unterstützt zu 100 Prozent die Forderungen des Landesschülerrates Sachsen vom September 2012 und bestätigt aus seiner täglichen Arbeit die Ergebnisse und Einschätzungen bezüglich des Ausfalls der Unterrichtsstunden.

Auch wir haben versucht, den Ausfall in einzelnen Schulen zu messen und zu belegen. Unsere Ergebnisse sind leider nicht so breit aufgestellt, dass sie repräsentativ sein können. Aber auch wir sind bei unseren Erhebungen auf eine Quote, über das Schuljahr gerechnet, von knapp 15 Prozent der Schulstunden gekommen, die nicht entsprechend dem Lehrplan abgehalten werden können.

Von diesen 15 Prozent werden die gut die Hälfte der Stunden wenigstens noch in Vertretung gehalten, oft in anderen Fächern oder von Lehrern, die nicht wissen, wo die Klasse im Lehrplan steht. So ist dieser Unterricht, selbst wenn er gehalten wird, nie annähernd so gut wie vom eigentlichen Fachlehrer laut Plan gehaltener Unterricht.

Und was ist mir der anderen Hälfte?
Die andere Hälfte ist problematischer, denn oft fällt der Unterricht komplett aus, zum Beispiel bei längeren Erkrankungen der Lehrer, bei denen die Genesung nicht absehbar ist. Und das über Wochen und manchmal auch Monate!

In manchen Schulklassen gibt es Stillbeschäftigungen, die manchmal wenigstens noch eine Person beaufsichtigt. Weitere Beispiele sind Hausarbeiten oder Themen zum Selbst-Erarbeiten. In verschiedenen Schulen stehen sogar größere Schüler mal vor einer Klasse!

Da es natürlich auch viele Schulleiter gibt, die mit ihren Elternvertretern sehr vertrauensvoll zusammenarbeiten, wissen wir auch, dass die Zählweise des Ministeriums vorgegeben ist und wir Eltern eine ganz andere Vorstellung haben.

Müssen wir hier von einem speziellen Fall von doppelter Buchführung sprechen?

Natürlich gibt es in den meisten Schulen zu den Zahlen, die dem Ministerium nach ihrer eigenen Rechenweise gemeldet werden, noch die Zahlen über den wirklichen Ausfall. Diese Zahlen sind wirklich besorgniserregend und bestätigen die Zahlen des Landesschülerrates, auch wenn eine Erhebung über einen so kurzen Zeitraum nie völlig korrekt sein kann.

Diese Ausfallzeiten an den Schulen muss man erkennen und anerkennen und sie damit auch ansprechen. Man darf den Ausfall nicht durch statistische Rechnungen klein machen – zum Beispiel gilt Aufgabenerteilung in Fächern nicht als Ausfall – was lernen da die Schüler?

Wir müssen endlich zu den ganzen Problemen in der Bildungslandschaft stehen.

Was meinen Sie damit?

Zurzeit scheinen sich die Politiker in Dresden auf den Pisa-Lorbeeren auszuruhen – nach dem Motto: “Wir sind ja so gut in Pisa, das geht immer so weiter”. Dass es aber die alten Lehrer sind, die die Schüler motivieren, das scheint man zu verdrängen. Wir Eltern fragen uns manchmal besorgt: Sind wir Dank der Politik im Freistaat so gut oder sind wir im Vergleich trotz der Politik aus Dresden so gut? Viele Eltern denken das Zweite.

Und schließlich: Neue Lehrer braucht das Land. Deren Ausbildung muss gefördert, aber auch auf die Fächer und Schularten gelenkt werden, die gebraucht werden.
Ich will nicht auf der Bezahlung herumhacken. Aber vor allem die Arbeitsbedingungen der Lehrer müssen wieder besser werden. Und sie müssen gesellschaftlich die Anerkennung bekommen, die dieser schwierige Beruf verdient.

Inwieweit soll das Thema Inklusion bei Ihrer Arbeit eine Rolle spielen?

Die Landespolitik muss das Thema Inklusion und Förderschulen endlich aktiv angehen. Im Schulbereich sind wir nach wie vor im Vergleich der Länder negative Spitze beim Aussortieren an Förderschulen: Mehr als acht Prozent der Schüler besuchen eine Förderschule.

Das ist doppelt so viel, wie in anderen Bundesländern, wie zum Beispiel Niedersachsen oder Rheinland-Pfalz und zeigt den dringenden Handlungsbedarf. Das Aussortieren hilft denen, die schwer lernen, nicht. Aber auch denen, die einfach lernen, nimmt es die Chance, dringend benötigte soziale Kompetenzen zu erwerben.

Sie sind Elternvertreter einer beruflichen Schule. Erhält dieser Schulzweig die Aufmerksamkeit, die er verdient?

Meiner Meinung nach hat der berufliche Schulzweig bei weitem nicht die Aufmerksamkeit, die er verdient hätte. Und gerade die Elternarbeit an Beruflichen Schulzentren ist ein großes Thema und vor allen eine große Baustelle.

Unsere Kinder brauchen im Schnitt immer länger für ihre Ausbildung und sind immer länger finanziell von ihren Eltern abhängig. Aber in der Schule mitreden dürfen Eltern nur, wenn das eigene Kind unter 18 ist und in der Klasse oder dem Kurs auch die Hälfte unter 18 Jahre alt ist. Was für ein Quatsch!

Dort müssen deutliche Korrekturen ansetzen, oder wir stärken die Schülerrechte an BSZs (Berufliche Schulzentren – Anmerkung der Redaktion) und machen die Schülersprecher fit, ihre Geschicke selber in die Hand zu nehmen.
Anders gefragt: Wie basteln man sich in Sachsens gegliederter Bildungslandschaft am besten eine Bildungsbiografie zusammen?

Wir müssen die Übergänge zwischen den Schularten so einfach wie möglich gestalten lernen. Verantwortliche in der Grundschule sollten wissen, was erwartet ein Gymnasium oder eine Mittelschule für Vorrausetzungen.

Aber auch umgekehrt: Wir müssen fragen, was kann eine Grundschule leisten. Die Mittelschulen müssen noch praxisbezogener werden und wissen, was brauchen die Kinder an Wissen für einen Beruf oder einen Besuch eines BSZ. Die Gymnasien müssen vermitteln, wie geht es nach dem Abi weiter und was brauche ich dafür. Dazu muss kooperiert werden, und vor allem man muss viel miteinander reden. Das klappt in vielen Schulen schon wunderbar, muss aber überall gelebte Realität werden.

Alle Schularten sollten an einem Strang ziehen und auch den gleichen Stellenwert genießen, immerhin sind wir ja die Stadt-Elternvertreter von weit über 30000 Schülern und damit die Vertreter von mehr Eltern als Einwohner zu so mancher Wahl in Leipzig gegangen sind.

Brennt ihnen noch eine politische Forderung unter den Nägeln?

Versicherungsschutz für gewählte Elternsprecher ist ein Thema, welches es mit dem Kultusministerium dringend zu besprechen gilt. Wir müssen ähnlich wie gewählte Kommunalpolitiker einen gewissen Schutz bei unserer Tätigkeit einfordern: sei es im Bereich der Haftpflicht oder des Rechtsschutzes.

Der Fall einer Elternsprecherin, die bei der Einweihung der Schule auch kritische Worte fand und sich dadurch einer Klage ausgesetzt sah, sollte Warnung genug sein. Natürlich führen wir unser Amt sehr gewissenhaft und überlegen mehrmals, was wir sagen, aber ein gewisser Schutz muss sein.

Nach all den Forderungen an Dritte: Wie wollen sie im Stadtelternrat ihre Arbeit organisieren?

Wir müssen auch bei uns selber ansetzen: Wir brauchen größtmögliche Transparenz, die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit muss besser werden durch gute Pressearbeit, aber auch durch eine ständig aktuelle informative Webseite.

Wir müssen eine möglichst große Anzahl von Schulen und Schulelternsprechern mitnehmen, um viele Meinungen und Lösungsansätze zu kennen. Wir müssen die neu einsteigenden Eltern massiv unterstützen und fördern – besonders in der Grundschule. Aber auch mal mit Kita-Elternsprechern reden, denn diese müssen wir langfristig als Aktivposten gewinnen und die Grundsteine legen für ein langfristiges Engagement. Nur so gleichen wir unsere strukturellen Nachteile gegenüber der Politik und Verwaltung aus, die langfristig arbeiten und manchmal Probleme nur aussitzen.

Wir wollen mehr Kontakt und Hilfe für unsere Eltern anbieten, besonders dadurch, dass wir eine neue Geschäftsstelle im Zentrum der Stadt beziehen werden und dort in der Fleischergasse näher bei den Eltern sein werden. Wie genau diese Angebote aussehen werden, müssen wir noch festlegen, und auch der Start der Angebote hängt noch davon ab, wie schnell wir den Umzug gebacken bekommen.

Vielen Dank für das Gespräch.
Podiumsdiskussion “Schule in Leipzig” mit den Leipziger OBM-Kandidaten am Montag, 21.01.2013, 17 – 19 Uhr im Anker, Renftstraße 1 (ehemals Knopstraße).

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