Am Mittwoch, 16. Oktober, wurde im Sächsischen Landtag der CDU/FDP-Antrag "Sicherung eines qualitativ hochwertigen öffentlichen Schulsystems im ländlichen Raum" behandelt. Eigentlich ein sinnvolles Anliegen, endlich die Schulschließungen im ländlichen Raum zu beenden und damit auch die Infrastrukturen für junge Familien zu stärken. Doch während CDU und FDP darin einen Meilenstein sehen, ist es für SPD und Linke und Grüne wieder nur ein Notpflaster, das nicht genügt, das Problem zu lösen.

Also gibt es hier die wesentlichen Meinungen zum Thema in einer Übersicht.

Pro: Norbert Bläsner, bildungspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Sächsischen Landtag:

“Wir haben diesen Auftrag ernst genommen: 2010 haben wir unsere Zustimmung zum Doppelhaushalt 2011/2012 daran geknüpft, dass die Schließungen von Oberschulen – damals Mittelschulen – im ländlichen Raum mit einem Moratorium ausgesetzt werden. Seitdem genügt es, dass die Oberschulen im ländlichen Raum eine Eingangsklasse 5 mit mindestens 20 Schülern bilden – laut Schulgesetz wären 40 Schüler notwendig. Das Moratorium wirkt bis heute: Neun Schulen fielen zum Schuljahresbeginn 2013 in seinen Geltungsbereich.

Nicht alle haben sich aber damals über das Moratorium gefreut, erinnere ich mich noch gut. Doch die Zeiten ändern sich: Damals war der ehemalige Kultusminister noch ein Bremsklotz in der Bildungspolitik – heute ist die Kultusministerin eine Partnerin aller, die Schulen erhalten und stetig verbessern wollen. Deshalb haben wir uns sehr gefreut, als Ministerin Kurth gemeinsam mit ihrem Ministerkollegen Kupfer jüngst vorschlug, das Schulschließungsmoratorium nicht nur bis zu einer Schulgesetznovelle über 2015 hinaus zu verlängern, sondern obendrein auf Grundschulen zu erweitern. Diesen Vorschlag wollten wir als FDP so schnell wie möglich als Versprechen den Schülern, Eltern, Lehrern und Kommunen geben – heute setzen wir dies als Koalition um.

Das Signal von Schwarz-Gelb ist unmissverständlich: Sachsen soll weiterhin das Bildungsland Nummer 1 sein. Sächsische Schüler sind seit PISA praktisch immer auf Spitzenplätzen in diversen Leistungsvergleichen. Dazu gehört für uns auch, dass wir wohnortnahe staatliche Schulen auch auf dem Lande anbieten, damit jeder Schüler die gleichen Chancen hat.”

Pro: Lothar Bienst, der bildungspolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion:

“Die demografische Entwicklung in Sachsen nach der friedlichen Revolution mit einer Halbierung der Schülerzahlen hat in den vergangenen Jahren Schulschließungen unumgänglich gemacht. Das war ein schmerzlicher aber notwendiger Prozess. Heute brauchen wir neue und flexible Modelle, um insbesondere den Menschen im ländlichen Raum alle Bildungschancen zu erhalten.

Mit dem bereits von der Staatsregierung vorgestellten “Konzept zur Sicherung von Schulen im ländlichen Raum” und unserem heutigen Antrag wird nicht nur eine Priorität der CDU-Bildungspolitik umgesetzt, sondern der Freistaat geht damit einen entscheidenden Schritt im Interesse der Erhaltung der notwendigen sozialen und Bildungsinfrastruktur in den ländlichen Regionen des Freistaates.

Die Fortsetzung des Moratoriums unter Einbeziehung der Grundschulen ist aber nur ein erster Schritt und als Vorstufe für eine anstehende Änderung des sächsischen Schulgesetzes zu verstehen. Diese Gesetzesänderung ist allerdings umfassend vorzubereiten und kann deshalb erst in der neuen Legislaturperiode erfolgen. Eine kurzfristige Änderung des Schulgesetzes ist nicht sinnvoll und wird von uns abgelehnt.”

Pro: Patrick Schreiber, CDU-Abgeordneter und Mitglied des Arbeitskreises “Schule und Sport”:

“Sachsen ist in den vergangenen 23 Jahren immer gut damit gefahren, das Schulgesetz nicht überhastet, sondern behutsam anzupassen. Beständigkeit ist ein wichtiger Faktor für eine erfolgreiche Schulpolitik. Das sehr gute Abschneiden sächsischer Schülerinnen und Schüler bei sämtlichen Leistungsvergleichen bestätigt diese Verfahrensweise.

Deshalb ist bei einer Schulgesetzänderung Genauigkeit statt Schnelligkeit gefragt und ein großes parlamentarisches Beteiligungsverfahren notwendig. Im Rahmen einer Gesetzesnovelle sind beispielsweise auch Fragen zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, die Klarstellung der Lernmittelfreiheit sowie die Einführung der sächsischen Oberschule im Schulgesetz zu diskutieren und zu regeln.”
Kontra: Annekathrin Giegengack, stellvertretende Fraktionsvorsitzende und bildungspolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen:

“Der Erhalt eines zukunftsfesten Schulnetzes im ländlichem Raum ist eine echte Herausforderung und darf nicht auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten verhökert werden. Die Schule gehört ins Dorf wie die Kirche und die Apotheke, sie ist mehr als ein ‘Standortfaktor’. Dabei ist die Schulstruktur kein Zufallsprodukt. Der Erhalt von Schulstandorten darf weder dem Lehrernotstand noch den allgemeinen Sparzielen geopfert werden.

Unser Schulgesetz hat sich als zu starr erwiesen, viel Regelungen sind veraltet. So finden sich keine Hinweise auf die unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten in der Stadt und auf dem Land. Es fehlen zudem Anreize, neue Wege zu beschreiten und innovative Ansätze zu finden, um mit strukturellen Herausforderungen umzugehen. Unkonventionelle Lösungen müssen erlaubt, ja gewollt sein. Auch der schulartübergreifende Unterricht darf nicht länger aus ideologischen Gründen abgelehnt werden. Die Zusammenlegung einer Mittelschule mit einem Gymnasium kann einen Schulstandort retten und den Schülerinnen und Schülern kilometerlange Schulwege ersparen.

Wir haben bereits 2011 das Mittelschulmoratorium als rechtlich fragwürdig kritisiert. Nun wird es auf die Grundschulen ausgedehnt. Vorläufige Rechtsnormen schaffen keine Verbindlichkeit. Die Frage, weshalb eine amtierende Staatsregierung die Menschen im Land und die Opposition im Landtag mit einer Schulgesetznovelle in die nächste Legislatur vertröstet, bleibt unbeantwortet. Derzeit fallen neun Oberschulen unter das Moratorium – da mutet es schon recht eigenwillig an, sich als Retter der Landschulen zu präsentieren.”

Kontra: Dr. Eva-Maria Stange, bildungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag:

“Seit 1990 wurde jede zweite Schule in Sachsen geschlossen. Eine Ursache ist der Rückgang der Schülerzahlen in den 90er Jahren. Wachsende Elternproteste unter dem Motto ?Kurze Wege für kurze Beine? und die Sorgen gerade der ländlichen Kommunen, für junge Familien immer unattraktiver zu werden, wurden vom seit 23 Jahren CDU-geführten Kultusministerium jedoch ignoriert.

Die SPD-Fraktion fordert seit Jahren einen Stopp der Schulschließungen und eine Änderung der Regelungen im Schulgesetz, damit auch kleine Grundschulen oder einzügige Mittelschulen vor allem im ländlichen Raum problemlos erreichbar bleiben. Derzeit muss eine Grundschule mindestens 15 Schüler einschulen und eine Mittelschule in Klasse 5 mindestens 40 Schüler (zweizügig) aufnehmen. Das schreibt das sächsische Schulgesetz so vor. Die Folgen: Lange Schulwege und steigende Fahrtkosten. Das belastet nicht nur die Schülerinnen und Schüler, sondern auch die Eltern und Schulträger.

Nach vier Jahren Regierungsverantwortung lenken CDU und FDP kurz vor der Landtagswahl im kommenden Jahr halbherzig ein. Anstatt aber das Schulgesetz zu ändern, soll ein Moratorium die Schulschließungen im ländlichen Raum abbremsen. Ein Moratorium ist aber lediglich eine politische Willenserklärung, die keine Rechtssicherheit für die Schulstandorte schafft – schon gar nicht über die Landtagswahlen 2014 hinaus.

Deshalb hat die SPD-Fraktion in die heutige Landtagsdebatte einen Antrag zur sofortigen Änderung des Schulgesetzes eingebracht und die Unterstützung für eine zügige parlamentarische Behandlung zugesagt. Somit könnte bereits ab 2014 Rechtssicherheit geschaffen werden und Eltern und Schulträger hätten eine sichere Perspektive auch über das nächste Jahr hinaus.”

Kontra: Cornelia Falken (Linksfraktion) in ihrer Landtagsrede:

“Was Ihre Versprechen und die Moratorien wirklich wert sind, möchte ich Ihnen hier heute aufzeigen. – Im März 2007 teilten Sie, Herr Flath, uns mit: Das Schulnetz ist stabil, die demographische Katastrophe im Schulbereich ist überstanden. Sicherheit für die verbleibenden Schulen bedeutet die Kurswende. Man könnte meinen, Frau Kurth, Sie haben die Worte einfach übernommen. Herr Flath sagte damals auch: “Was jetzt noch zu tun ist, müssen die Landkreise und kreisfreien Städte entscheiden, nicht ich. Die Schulen sollen sich wieder ohne Unruhe von außen auf die inhaltliche Arbeit und den Unterricht konzentrieren können.”

Auch das Schulschließungsmoratorium der FDP von 2010, im Übrigen zur Haushaltsdebatte und Beschlussfassung eingereicht, wo man auch einen Gesetzentwurf hätte einbringen können, hat nicht dazu geführt, dass keine Schulen mehr geschlossen wurden.

Im Schuljahr 2010/2011 wurden Verfahren zur Mitwirkung – das ist die Absicht zur Schulschließung – durch das SMK für 19 Mittelschulen und 22 Grundschulen eingeleitet. Im Schuljahr 2011/2012 wurden die Verfahren an 9 Grundschulen und 4 Mittelschulen eingeleitet. Zur Schließung waren vorgesehen Bad Elster, Seifhennersdorf und Kreischa.

Kreischa konnte sich noch retten, die anderen beiden haben geschlossen, obwohl z.B. in Seifhennersdorf 38 Schüler angemeldet waren. Diese Verfahren mussten nach Aussagen des SMK eingeleitet werden, weil es das Schulgesetz so vorsieht.

Werden nun im kommenden Jahr die Schulen und Träger wieder mit Verfahren der Mitwirkung rechnen müssen? Die Staatsministerin hat bereits mitgeteilt, dass ca. 33 Grundschulen und einige Mittelschulen betroffen wären. Oder werden die Schulen für ein Jahr bis nach der nächsten Wahl verschont?

Die Verschiebung der Änderungen im Schulgesetz, so wie es jetzt angekündigt wird, ist keine Lösung. Wir verlieren wieder mindestens zwei Jahre, wo es keine Rechtssicherheit für die Schüler, die Eltern, die Lehrer und auch die Schulträger gibt.

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Der Erhalt der Schulen im ländlichen Raum darf im Übrigen auch nicht dazu führen, dass die Städte noch mehr belastet werden. Frau Staatsministerin, wir erwarten von Ihnen hier und heute, dass Sie uns mitteilen, wie Sie finanziell und personell diese Verfahren absichern. Welche Maßnahmen wollen Sie einleiten, um junge Lehrerinnen und Lehrer auch auf dem Land einzustellen?

Nun noch einige Worte direkt zu Ihrem Antrag. Aus dem Antrag kann man nicht entnehmen, unter welchen Bedingungen Grund- und Mittelschulen erhalten bleiben sollen. Wenn Ihr Moratorium von 2010 lediglich weitergeführt wird, bedeutet das für die Grundschulen, dass jede Klasse 20 Schüler haben muss, und das ist schlechter als das, was das Schulgesetz bereits jetzt vorsieht, denn da sind es nur 15 Schüler. Sie hebeln sich mit Ihrem Antrag selber aus.”

Der CDU/FDP-Antrag “Sicherung eines qualitativ hochwertigen öffentlichen Schulsystems im ländlichen Raum”: http://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=12865&dok_art=Drs&leg_per=5&pos_dok=-1

Der Änderungsantrag der SPD als PDF zum download.

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